Süddeutsche Zeitung

Glyphosat:Bayer einigt sich auf Milliarden-Vergleich

Bis zu knapp elf Milliarden Dollar zahlt der Konzern, um laufende und drohende Glyphosat-Klagen beizulegen. Vorstandschef Werner Baumann zeigt sich erleichtert.

Von Elisabeth Dostert

Die Erleichterung ist Werner Baumann in der Telefonkonferenz am Mittwochabend anzuhören. In einem Vergleich legt Bayer das Gros der in den USA eingereichten Klagen wegen des Unkrautvernichters Glyphosat bei. Für diese, aber auch mögliche künftige Fälle werde Bayer 10,1 bis 10,9 Milliarden Dollar zahlen. 75 Prozent der aktuellen Verfahren würden damit zum Abschluss gebracht. Die Zahl der eingereichten und drohenden Klagen bezifferte Bayer auf 125 000. Der Konzern werde 8,8 Milliarden bis 9,6 Milliarden Dollar zahlen, um aktuelle Roundup-Fälle beizulegen. Hinzu kommen 1,25 Milliarden Dollar, um eine separate Vereinbarung für potenzielle Klagen zu ermöglichen.

Die Vereinbarung mit der Gruppe möglicher künftiger Kläger bedürfe noch der Zustimmung des kalifornischen Richters Vince Chhabria, bei dem viele Klagen gebündelt sind. Der Vergleich mit den Anwaltskanzleien, die Kläger vertreten, war in den vergangenen Monaten unter Leitung des vom Gericht als Mediator bestellten US-Anwalts Ken Feinberg ausgehandelt worden.

Nicht Teil des Vergleichs sind die Berufungsverfahren im Fall von Dewayne Johnson, Ed Hardeman, Alva und Alberta Pilliod. Ihnen hatten Geschworenen in erstinstanzlichen Verfahren Summen von mehreren Hundert Millionen Dollar zugesprochen worden, die später von Richtern deutlich reduziert worden waren.

Der Konzern betont, dass diese Vereinbarung "keinerlei Eingeständnis einer Schuld oder eines Fehlverhaltens beinhaltet." Baumann verteidigte Glyphosat, es sei bei richtiger Anwendung ein sicheres Produkt, "die Wissenschaft ist auf unserer Seite." Der Vergleich nehme "Unsicherheit" vom Unternehmen, so der Vorstandschef. Bayer habe durchaus in Betracht gezogen, weiter zu prozessieren. Die Kosten eines potenziell negativen Ausgangs weiterer Rechtsstreitigkeiten wären "aber wahrscheinlich weit höher ausgefallen als beim jetzigen Vergleich", verursacht durch die "aggressive Fernsehwerbung" von US-Kanzleien um Klienten, eine weiter steigende Zahl von Klagen, mehr als 20 Prozesse pro Jahr und ungewisse Jury-Entscheidungen sowie "die damit verbundenen Schäden für die Reputation und das Geschäft."

Der Vergleich ist ein entscheidender Befreiungsschlag in dem Desaster, dass sich der Dax-Konzern mit der Übernahme des US-Konzerns Monsanto für rund 63 Milliarden Dollar eingehandelt hat. Offiziell fing es im Mai 2016 an. Werner Baumann ist da erst ein paar Wochen Vorstandschef von Bayer. Mitte September 2016 ist der Deal perfekt. Bayer bietet 128 Dollar je Aktie, einschließlich der Schulden sind das 66 Milliarden Dollar. Das die Summe später kleiner ausfällt, hängt damit zusammen, dass Monsanto bis zum Vollzug der Übernahme im Sommer 2018 Schulden abbaut. Da fängt der Ärger richtig an. In den USA klagen Hunderte von Bauern, Gärtnern und anderen Verbrauchern gegen die US-Tochter Monsanto, sie machen den Unkrautvernichter Roundup, er enthält den Wirkstoff Glyphosat, für ihre Krebsleiden verantwortlich.

Für Bayer folgt ein Tiefschlag nach dem anderen. Die Zahl der Klagen, die in den USA eingereicht werden, steigt von Monat zu Monat und der Aktienkurs fällt bis auf gut 56 Euro. Die Übernahme, die zu Baumanns Meisterstück werden sollte, wird sein bis dahin größter Kampf. Er bekommt Druck von den Aktionären, selbst professionelle Investoren verweigern ihm die Zustimmung. Auf der Hauptversammlung 2019 verweigern sie dem Vorstandschef die Entlastung. Das hat es für den amtierenden Chef eines Dax-Vorstands noch nie gegeben.

Es gab andere Übernahmen und Fusionen in der Agrochemie-Industrie: Chemchina übernahm Syngenta, Dupont und Dow Chemical schlossen sich zusammen. Aber keine heizt die gesellschaftliche Diskussion so an wie die von Bayer und Monsanto. Es geht um grundlegende Fragen. Welche Landwirtschaft sich die Menschen wünschen, welche Lebensmittel und wie eine Landwirtschaft aussehen soll, die eine wachsende Weltbevölkerung ernähren muss. Für Männer wie Baumann sind Konzerne wie Bayer die Lösung.

Der nun geschlossene Vergleich legt nicht nur die Rechtsstreitigkeiten um Glyphosat bei, sondern auch die Klagen gegen das Pflanzenschutzmittel Dicamba. Landwirte machen das Mittel für Ernteverluste verantwortlich, weil es auf ihre Felder verweht worden sei. Gegen Zahlung von bis zu 400 Millionen Dollar sollen auch die Dicamba-Fälle beigelegt werden. Der Vergleich umfasst eine weitere Altlast von Monsanto. Es geht um die längst verbotene Chemikalie PCB. Auch Kommunen wie Los Angeles hatten Monsanto verklagt und verlangt, dass sich das Unternehmen an den Kosten für Säuberungen beteilige.

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SZ vom 25.06.2020/jael
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