Süddeutsche Zeitung

Glücksspiel:Die urdeutsche Lotto-Tradition ist in Gefahr

Von Gibraltar aus arbeitet eine Firma am Umsturz des Lotteriemonopols. Und ist damit seit Jahren gefährlich erfolgreich.

Von Jan Willmroth, Gibraltar

Elicia Bravo steigt aus dem weißen Transporter und geht zum Fernrohr mit den Münzschlitzen für Euro und Pfund. Von hier oben auf dem Felsen, wo Touristen herkommen, um die Berberaffen Gibraltars zu begucken, blickt man hinunter auf den Mikrostaat Gibraltar und seine Hafenanlagen. Es ist der Blick auf ein Online-Glücksspielparadies mit traumhaft niedrigen Steuern, auf die Hauptsitze der Wett- und Kasinofirmen, die mehr als jeden fünften Euro im Überseegebiet erwirtschaften.

In dieser britischen Kronkolonie ist Bravo, 32, aufgewachsen, bis sie ihre Heimat verließ, Studium in Oxford, Karriere bei Linklaters, sieben Jahre internationale Anwaltskanzlei, lange Tage, kaum Freizeit. Mittlerweile ist sie zurück und Teil jener Branche, die inzwischen genauso für Gibraltar steht wie die Makaken auf dem Berg: das Geschäft mit dem Glück im Netz. Sie arbeitet bei Lottoland, einer Internet-Firma, die mit Wetten auf Lottozahlen so tut, als spielten Kunden dort "6 aus 49" oder andere Klassiker.

Bravo und ihre Kollegen arbeiten an einem Umsturz, Tag für Tag graben sie am Fundament eines bundesdeutschen Heiligtums: des Lotteriemonopols, des letzten echten staatlichen Monopols, das den Bundesländern Milliarden Euro garantiert und seit gut 70 Jahren Kultur, Sport und Denkmalpflege finanziert. Ohne dieses Geld sähe Deutschland anders aus.

Lottoland bietet seinen Spielern die Originale - aber eben in Kopie

Doch für die urdeutsche Lotto-Tradition könnte es eng werden: Mit Wetten auf die Ziehungen der größten Lotterien der Welt schaffte Lottoland im vergangenen Jahr 300 Millionen Euro Umsatz, doppelt so viel wie im Jahr zuvor, bislang jedes Jahr Faktor zwei. Lottoland verspricht seinen Spielern die gleichen Jackpots, das Angebot ist ein Lotto-Derivat, eine Kopie der Originale. In Deutschland wirbt die Firma aggressiv im Privatfernsehen. "Der Markt ist riesig", sagt Bravo, weltweit etwa 300 Milliarden Euro schwer. Allein in Deutschland spielen 17 Millionen Menschen pro Woche Lotto.

Die Umsätze der staatlichen deutschen Lottogesellschaften steigen allerdings kaum noch. Sie werfen Lottoland vor, Verbraucher zu täuschen und den Staat um Einnahmen zu bringen: Während das Staatslotto fast 40 Prozent seiner Einnahmen an Staat und Gemeinnutz weitergibt, durch Steuern und Stiftungsgelder, behält Lottoland fast alles, was die Spieler nicht gewinnen und zahlt in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen keine Steuern. Lottoland hat weder eine Lizenz noch die Chance, eine zu erhalten - aber der Staat tut sich schon lange schwer damit, etwas gegen das Internet-Geschäft ausländischer Glücksspielfirmen auszurichten.

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