Wenige Tage vor Weihnachten machten die Koalitionäre in Hessen klar, dass sie nicht mehr viel Geduld haben. Auf Seite 68 im Koalitionsvertrag erzeugt die neue schwarz-grüne Landesregierung mit wenigen Worten einen ungeheuren Zeitdruck. Wenn bis Ende 2019 keine "zufriedenstellende Regelung" bei der Neufassung des Glücksspielstaatsvertrages gefunden sei, heißt es dort, werde Hessen das Regelwerk zu Ende 2019 aufkündigen und sein eigenes Glücksspielgesetz auf den Weg bringen. Und das würde, so viel ist sicher, sehr viel mehr erlauben als bislang.
Es kommt nicht zum ersten Mal vor, dass eines der 16 Bundesländer damit droht, aus dem gemeinsamen Regelwerk für Glücksspiele auszusteigen. In den Worten der Wiesbadener Koalition aber steckt mehr als der Versuch, die anderen Länder unter Druck zu setzen - sie skizzieren auch, was im neuen Jahr bevorstehen könnte: eine weit gehende Liberalisierung des bislang streng regulierten Glücksspielmarktes in Deutschland.
Denn die aktuellen Regeln, gültig seit 2012, passen schon lange nicht mehr zur Realität. Glücksspiele im Internet sind bis auf wenige Ausnahmen untersagt - aber die zuständigen Landesbehörden versagen dabei, die Verbote effektiv durchzusetzen. So kam es, dass eine Vielzahl illegaler Anbieter aus dem Ausland hierzulande glänzende Geschäfte macht: Mehr als 93 Milliarden Euro setzen Kunden in Deutschland pro Jahr aufs Spiel; mehr als 40 Prozent davon im nicht regulierten Bereich. Auch die Teilöffnung des Marktes für Sportwetten hat nicht funktioniert: Kein privater Sportwettanbieter hat eine der offiziell vorgesehenen Lizenzen erhalten. Immer mehr Landespolitiker streben deshalb eine grundlegende Reform an. Der Gedanke dahinter: Wenn man Online-Glücksspiele wie Poker, Blackjack und virtuelle Spielautomaten nicht effektiv eindämmen kann, dann muss man sie regulieren. In der Arbeitsgruppe der Staatskanzleichefs, das zeigen aktuelle Beschlussvorlagen, sollen bis Mitte Februar Vorschläge entstehen, wie künftig mit Sportwetten und Online-Casinos umzugehen sei. Eine gemeinsame Behörde der Länder soll mittelfristig bundesweit für das Glücksspiel zuständig sein. Über allem steht der Wunsch, das staatliche Lottomonopol zu sichern.
Die Branche dringt schon lange darauf, endlich ein einheitliches Regelwerk für alle Spielformen zu schaffen. "Wir brauchen ein Ende der Flickschusterei und den großen Wurf für den gesamten Glücksspielmarkt", fordert Georg Stecker, oberster Lobbyist der Spielhallenbetreiber und Automatenhersteller. Er hat immer mehr Verbündete: in Schleswig-Holstein, in Bayern oder in Nordrhein-Westfalen. Und in Hessen steht ein Teil seiner Wünsche jetzt im Koalitionsvertrag.