Süddeutsche Zeitung

Globalisierung:Der Welthandel trotzt allen Krisen

Pandemie, Krieg, gerissene Lieferketten: Trotz allem wächst der globale Warenverkehr. Das zeigt eine McKinsey-Studie. Wer die Gewinner sind - und wer die Verlierer.

Von Marie Vandenhirtz

Die Globalisierung schien gerade noch stillzustehen. Die Pandemie und die gerissenen Lieferketten verlangsamten den Warenhandel. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine und die darauf folgenden Sanktionen riefen sogar den Eindruck hervor, die Welt würde sich gerade deglobalisieren. Schaut man allerdings auf die neusten Daten, so geben sie das nicht her. Eine Studie des McKinsey Global Institute zeigt gerade: Der globale Warenhandel hat nach einem anfänglichen Einbruch in der Pandemie zuletzt wieder ein Rekordniveau erreicht.

Die Forscherinnen und Forscher des Instituts begründen das so: In der Zeit, als die Verbraucher wegen Schließungen und der Anweisung, Abstand zu halten, viel Zeit zu Hause verbrachten, hatten sie ebenso viel Zeit, dieses auszugeben. Doch verlagerten sich ihre Ausgaben in dieser Zeit auf Waren statt auf Dienstleistungen. Etwa, weil sie nicht ausgehen konnten. Zusätzlich hätten Konjunkturmaßnahmen der Regierungen bewirkt, dass Verbraucher mehr Geld zur Verfügung hatten.

Eigentlich hatten gerade eben diese Dienstleistungen in der globalisierten Welt an Bedeutung gewonnen. Denn die Analyse zeigt vor allem eins: Die Globalisierung verändert sich, die Handelsströme haben sich verlagert. Statt von Waren wird sie nun maßgeblich von anderen Faktoren getrieben. Und zwar von Daten, geistigem Eigentum, Dienstleistungen oder Talenten. Der weltweite Austausch dieser Faktoren ist im Vergleich zu Warenströmen im Zeitraum von 2010 bis 2019 doppelt so schnell gewachsen. Allein Datenströme verzeichneten ein Wachstum von knapp 50 Prozent jährlich.

Der Gewinner auf dem globalen Weltmarkt ist dabei - nicht sehr überraschend - China. Das Land exportierte 2021 mehr als 60 Prozent der Produkte aus jener Kategorie, die ausschließlich von einem Land produziert werden. Elektronik und Textilien werden von hier aus in die Welt geschickt. Zusätzlich gewinnt China in fast allen Wertschöpfungsketten, die das Institut analysierte, an Bedeutung hinzu.

Zuletzt wurde viel über China und seine globale Rolle diskutiert. Etwa in der Debatte um die Beteiligung des chinesischen Konzerns Cosco an einem Terminal des Hamburger Hafens oder beim von der Regierung untersagten Verkauf einer Chipfabrik in Dortmund an eine Firma, hinter der chinesische Investoren stehen. Deutschland hat durch den Krieg in der Ukraine gemerkt, wie gefährlich eine starke Abhängigkeit sein kann. Jetzt will es sie verringern, fragt sich aber: Wie kann das gehen?

Auch die Analyse vom McKinsey Global Institute zeigt die große Abhängigkeit von China. Die Tochterfirma der Unternehmensberatung hat 30 globale Wertschöpfungsketten des Kapital-, Personen- und immateriellen Handels sowie rund 6000 global gehandelte Produkte untersucht. In vielen Branchen war China der Gewinner der Globalisierung der vergangenen Jahre und Jahrzehnte.

Eine ganz andere Position auf dem Weltmarkt hat Europa. Hierher wird vor allem importiert, ganz besonders Energie. 2021 kamen 50 Prozent des europäischen Energiebedarfs aus anderen Ländern, vor allem aus Russland.

"Russland war als Handelspartner relativ unbedeutend"

Lisandra Flach, Leiterin des ifo Zentrums für Außenwirtschaft, ist überzeugt: Kurzfristig seien die Einbrüche bei der Energie zwar ein schwerer Schlag für die deutsche Wirtschaft gewesen. Langfristig sehe sie die stärksten Folgen aber nicht in Deutschland oder der Europäischen Union (EU), sondern vor allem in Russland: "Russland war gesamtwirtschaftlich gesehen als Handelspartner für Deutschland relativ unbedeutend und hat rund zwei Prozent des deutschen Handels ausgemacht. Bedeutend war das Land vor allem bei Gas, Öl und Rohmaterialien", sagt sie. Die EU und die USA seien dagegen für Russland ein wichtiger Handelspartner gewesen. Russland habe vor allem Maschinen importiert. Jetzt wurde das Land abgeschnitten. Wahrscheinlich werde Russland versuchen, diese Lücken mit Handelspartnern wie China zu schließen. "Doch das wird es nicht komplett schaffen", sagt Flach.

Neue Handelspartner zu erschließen, das sehen auch die Forscher der McKinsey Studie als große Herausforderung: "Sie besteht darin, die Vorteile der Verflechtung zu nutzen und gleichzeitig die Risiken und Nachteile der Abhängigkeiten zu bewältigen", schreiben die Forscher. Vor allem dort, wo sich Güter konzentrieren, sei das besonders schwierig.

Und jetzt wird in Deutschland nach genau diesem neuen Angebot in anderen Ländern gesucht. Das aber braucht nicht nur Zeit, sondern auch die richtigen Anreize, sagt Lisandra Flach: "Die Diversifizierung unserer Handelspartner ist am Ende eine Entscheidung der Unternehmen." Deswegen müsse die Regierung Anreize setzen. Sie müsste Handelsabkommen und strategische Abkommen schließen, die dazu anregen, sich stärker zu diversifizieren und dadurch Risiken der Abhängigkeit zu verringern.

Auch der Rest Asiens ist bereits stark bei den Exporten. Der asiatisch-pazifische Raum trägt überproportional viel zu den Ausfuhren von Mineralien bei - darunter Lithium und Graphit.

"Die Globalisierung ist nicht zu Ende"

Klar ist aber auch: Keine Weltregion ist autark. Jedes Land ist abhängig von einem anderen. Die Analyse von McKinsey zeigt, dass jede Region mehr als 25 Prozent einer wichtigen Ressource oder eines Guts aus einem anderen Land importiert. Lateinamerika, Afrika, Osteuropa und Zentralasien etwa importieren mehr als 50 Prozent der Elektronik. Nordamerika ist auf die Einfuhr von Mineralien und Industriegütern angewiesen. Und auch der asiatisch-pazifische Raum importiert mehr als 25 Prozent seiner Energieressourcen.

Das alles zeichnet das Bild einer Welt, die heute globalisierter ist als je zuvor. Und angesichts dessen, dass sich viele Länder jetzt auf die Suche nach neuen Handelspartnern begeben, erwarten die Expertinnen und Experten auch für 2022 ein weiteres leichtes Wachstum.

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