Süddeutsche Zeitung

Weltwirtschaft:Auch Trump kann die Globalisierung nicht aufhalten

  • Der wirtschaftsnationalistische Trend in Politik und Gesellschaft hat schon vor 15 Jahren und damit vor Donald Trump begonnen.
  • Verstärkt wurde der Trend durch Gründungen rechts- wie linkspopulistischer Parteien in aller Welt.
  • In fast allen der 20 großen Industrie- und Schwellenländer lassen sich wirtschaftsnationalistische Tendenzen finden.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Seit Donald Trump im Weißen Haus regiert, scheint die Weltwirtschaftsordnung auf den Kopf gestellt zu sein: Handelswege werden blockiert, Lieferketten zerstört, aus Partnern werden Gegner, aus dem Warenaustausch zum Wohle vieler Zäune zum Schutz einiger. Nie seit Öffnung des Eisernen Vorhangs stand die Welt vor einer so grundlegenden Weichenstellung: Stoppen Wirtschaftsnationalisten wie Trump die zunehmende Verflechtung von Politik, Gesellschaften und Ökonomien, die jahrzehntelang das Wachstum befeuerte, aber auch so viele neue Gerechtigkeitsfragen aufgeworfen hat? Oder überlebt die Globalisierung die Ära des Populismus, womöglich sogar geläutert und in besserer Form?

Auf den ersten Blick spricht viel dafür, dass sich jene durchsetzen werden, die den Wählern die Wiederansiedlung abgewanderter Industrien und eine allein am Eigeninteresse ausgerichtete Wirtschaftspolitik verheißen. Dabei hat Trump den Trend gar nicht ausgelöst, nach einer Studie des Washingtoner Peterson-Instituts setzte die Entwicklung schon vor 15 Jahren ein. Befeuert wurde sie durch die Gründung rechts- wie linkspopulistischer Parteien in aller Welt, anschließend sprangen etablierte Parteien auf den Zug auf. Mittlerweile gibt es in fast allen der 20 großen Industrie- und Schwellenländer wirtschaftsnationalistische Tendenzen.

Dem Schwenk vorausgegangen war eine lange Liberalisierungswelle, die staatliche Monopole knackte, die Finanzmärkte entfesselte und ganze Industriezweige auf neue Kontinente verschob. Viele profitierten: Schwellenländer wie China übernahmen die Herstellung zahlloser Waren vom reichen "Westen" und ermöglichten so Hunderten Millionen ihrer Bürger den Aufstieg aus bitterer Armut. In den Industriestaaten wiederum sanken die Preise für Produkte und Dienstleistungen, zudem gelang es, viele wegfallende Stellen durch neue, oft bessere zu ersetzen. Allerdings gibt es bis heute extreme regionale Unterschiede: Während Firmen mancherorts kein Personal mehr finden, veröden andere Landstriche regelrecht. Vor allem hier finden Populisten jene Menschen, die ihnen glauben, man könne sich mit Zöllen und Mauern vor Konkurrenz schützen.

Der Trend zur Abschottung und seine Folgen lassen sich an Zahlen ablesen. So meldete China am Freitag, dass das Wirtschaftswachstum 2019 mit 6,1 Prozent auf den niedrigsten Stand seit 1990 gefallen sei. Präsident Xi Jinping gibt sich auf großer Bühne gern als Hüter des Freihandels - etwa beim Weltwirtschaftsforum, das von Dienstag an wieder Hunderte Politiker und Manager nach Davos locken wird. Tatsächlich jedoch fährt er daheim einen ebenso wirtschaftsnationalistischen Kurs wie Trump in den USA. Laut Welthandelsorganisation (WTO) legte der gesamte globale Warenverkehr im vergangenen Jahr um gerade noch gut ein Prozent zu.

Allerdings: Derselbe WTO-Bericht besagt auch, dass schon für 2020 wieder ein Plus von fast drei Prozent zu erwarten ist. Grund ist, dass bei allem Getöse, das die USA und China veranstalten, gern übersehen wird, dass die Globalisierung andernorts weitergeht: So schloss allein die EU jüngst Handelsabkommen mit Japan, Kanada und den Mercosur-Staaten Südamerikas. Und die Pazifikanrainer um Kanada und Japan setzten ihren TPP-Vertrag einfach ohne die USA in Kraft, als Trump ausstieg. "Im Grunde wissen alle, dass es ökonomisch nicht sinnvoll wäre, wenn künftig jeder wieder alles selbst herstellen würde", sagt Wirtschaftsexperte Chad Bown.

Fachleute wie er und Sebastian Dullien, Chef des Düsseldorfer Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, glauben daher, dass sich die Verflechtung der Welt fortsetzen wird - allerdings in etwas anderer Form. "Die Phase der Hyperglobalisierung, die wir bis zur Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 gesehen haben, dürfte auf absehbare Zeit vorbei sein", sagt Dullien. "Unternehmen sind vorsichtiger geworden, weiter immer stärker auf grenzüberschreitende Lieferketten zu setzen, weil sie mit dem Brexit und den neuen Handelskonflikten erfahren haben, wie anfällig solche Konstruktionen sind."

Die Globalisierung dürfte also künftig vorsichtiger vonstattengehen - was Regierungen wie Kritikern die Chance eröffnet, die Veränderungen transparenter und sozialkonformer zu gestalten als bisher. Bown zufolge könnte auf lange Sicht paradoxerweise sogar Trumps Brachialpolitik dazu beitragen, den Welthandel zu stärken und gerechter zu machen. So zwingt etwa der neue nordamerikanische Handelsvertrag USMCA Mexiko dazu, im Wettbewerb nicht mehr allein auf Dumpinglöhne zu setzen, sondern seine Arbeiter besser zu bezahlen. China wiederum wird es nach Abschluss der jüngsten Handelsvereinbarung mit den USA schwerer als bisher haben, Technologien zu stehlen und ausländischen Firmen das Geschäft in der Volksrepublik zu erschweren. "Trump, der Globalist" - das wäre eine Pointe, die in diese wirre Zeit passen würde.

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SZ vom 18.01.2020/mxh
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