Reicht das Geld noch am Monatsende? Viele Deutsche müssen sich diese Frage eigentlich nicht stellen - aber trotzdem haben sie Angst vor ihr. Sie fürchten, dass der steigende Wohlstand bei ihnen nicht ankommt. Vier von fünf Deutschen gehen davon aus, dass das Risiko, sozial abzusteigen, heutzutage größer ist als bei früheren Generationen.
Das geht aus einer Umfrage hervor, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag des Forum New Economy im Oktober unter 1009 Personen vorgenommen hat. Das Forum New Economy ist eine neu gegründete Denkfabrik und wird von verschiedenen Stiftungen finanziert. Thomas Fricke ist der Direktor des Instituts, er schreibt auch für verschiedene Medien, darunter die SZ. Fricke veröffentlicht die Ergebnisse der Umfrage in der einflussreichen Zeitschrift Wirtschaftsdienst, die dieser Tage erscheint.
Die Umfrage möchte sich der Frage nähern, wie zufrieden die Deutschen mit der Marktwirtschaft, der Politik und der Globalisierung sind. Stimmt Ludwig Erhards Versprechen vom Wohlstand für alle im 21. Jahrhundert noch? Ja, die meisten gehen davon aus, dass eher und vollumfänglich alle profitieren, wenn es der Wirtschaft gut geht. Rund ein Viertel zweifelt an dieser Behauptung. Auf die Frage, ob das Prinzip des sozialen Ausgleichs heute noch funktioniere, antworteten 57 Prozent mit Nein und 36 Prozent mit Ja.
Kritisch äußern sich die Befragten über die Schere zwischen Arm und Reich. Vollständig oder zumindest tendenziell stimmen 87 Prozent der Aussage zu, dass die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen zunehmend zum Problem für den Zusammenhalt der Gesellschaft in Deutschland wird. Dabei sind sich die Fachleute in dieser Frage gar nicht einig: Das arbeitgeberfinanzierte Institut der deutschen Wirtschaft Köln hat diese Woche verschiedene Ungleichheitsberechnungen verglichen und kam zu dem Ergebnis, dass die Vermögensungleichheit in den vergangenen 15 Jahren relativ konstant geblieben sei. Andere Ökonomen weisen darauf hin, dass dies allerdings auf einem relativ hohen Niveau geschehe.
Und Vermögende haben nicht den besten Ruf in Deutschland: Nur rund jeder Dritte stimmte in der Umfrage der Aussage zu, dass diejenigen, die reich sind, dies in der Regel auch verdient haben. Ebenfalls skeptisch äußern sich die Umfrageteilnehmer über Privatisierungen. Die Privatisierung öffentlicher Leistungen in den vergangenen Jahrzehnten ging 78 Prozent zu weit. Sechs Prozent fordern weitergehende Privatisierungen.
Deutsche sehen sich selbst häufiger links von der Mitte
Der soziale Ausgleich klemmt, der wirtschaftliche Abstieg droht, Privatisierungen sind abzulehnen - die Deutschen äußern sich in der Umfrage deutlich linker, als sie bei Bundestagswahlen abstimmen. Natürlich werden Umfrageergebnisse davon beeinflusst, wie gefragt wird. Die Tendenz, dass die Deutschen sich selbst linker einschätzen, als es Wahlergebnisse vermuten lassen, findet sich in anderen Befragungen wieder. So verorten sich etwa in der German Longitudinal Election Study deutlich mehr Wähler links der Mitte als rechts davon (und ein großer Teil sieht sich dabei neutral in der Mitte). Andere Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass Menschen die Welt als ungerechter wahrnehmen, wenn es wirtschaftlich gut läuft. Das könnte daran liegen, dass es mehr Geld zu verteilen gibt, wenn es konjunkturell bergauf geht so wie in den Vorjahren - dann wollen die Menschen davon etwas abhaben. In Krisenzeiten dagegen sind sie zufriedener mit dem, was sie schon haben.
Die Vermögensungleichheit verunsichert die Umfrageteilnehmer mit einem Nettoeinkommen von weniger als 1500 Euro monatlich beinahe ebenso wie die, die doppelt so viel Geld haben; die Prozentwerte liegen nur leicht auseinander (85 zu 92). Deutlichere Unterschiede zwischen den Einkommensgruppen gibt es bei der Frage, ob die Regierung die Menschen stärker vor Arbeitsplatzverlusten schützen soll, die wegen Digitalisierung und Globalisierung drohen. Bei den Besserverdienenden schließen sich dem nur 17 Prozent vollständig an, bei den Wenigerverdienenden sind es dagegen 48 Prozent.
Einen guten Stand haben Globalisierung und Kapitalismus in einer gesellschaftlichen Gruppe: bei den Jüngeren. 70 Prozent der 18- bis 29-Jährigen sagen, dass die Globalisierung für sie persönlich mehr Vor- als Nachteile gebracht hat. In der Gruppe 60 plus waren es nur 37 Prozent. Auch Vermögenden gegenüber sind die Jüngeren milder. 43 Prozent von ihnen sagen, sie hätten ihren Reichtum in der Regel verdient; bei Ü60 sind es nur 26 Prozent. Und auch der soziale Ausgleich funktioniere eben doch noch, sagt jeder zweite Jüngere.