Globalisierung:Angst vor dem Kontrollverlust

Der freie Handel hat viel Wohlstand geschaffen, aber nicht für alle. Konzernchefs und Ökonomen fürchten daher den Protektionismus à la Donald Trump. Wird er die Welt umkrempeln?

Von Catherine Hoffmann, Berlin

Die Nato? "Veraltet." Nafta? "Das vielleicht schlechteste Handelsabkommen überhaupt." Überhaupt: Amerika sei viel zu nett zu Ausländern. "Wir können es nicht zulassen, dass China weiterhin unser Land vergewaltigt." Chinesische Waren müssten deshalb mit einer bis zu 45-prozentigen Zollgebühr belegt werden. Fremde Länder sind für Donald Trump keine Partner, sondern Gegner. Das hat er schon im Wahlkampf klar gemacht. Und im ersten Jahr seiner Amtszeit als US-Präsident hat sich daran wenig geändert. Trump hat damit gedroht, Handelsabkommen aufzukündigen, Verbündete im Stich zu lassen und die globale Ordnung zu sprengen. Über den Welthandel spricht er, als handele es sich um einen patriotischen Wettbewerb, bei dem ein Land dem anderen die Jobs wegschnappe. Der Präsident liebäugelt mit einer protektionistischen und isolationistischen Wirtschaftspolitik. Wie wird die Welt aussehen, wenn der US-Präsident in diesem Stil weitermacht? Und: Halten wir das aus? Vier Jahre Trump? Das war großes Thema auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel, der am Donnerstag in Berlin begonnen hat.

"Der neue US-Präsident hat gleich an seinem ersten Amtstag erklärt, dass er aus der Trans Pacific Partnership (TPP) aussteigen werde, einem ehrgeizigen Handelspakt, der zwölf pazifische Nationen umfasst", sagt Bernhard Mattes, Präsident der amerikanischen Handelskammer in Deutschland. "Ich halte das für einen geopolitischen Fehler, der schwer revidierbar sein wird." Amerika habe Einfluss auf den asiatischen Markt verloren. Jetzt sei es wichtig, dass die Europäer den Gesprächsfaden aufgriffen, um das Verhältnis zu China und auch die transatlantischen Beziehungen zu stärken. Damit der freie Handel keinen Schaden nimmt.

Die Globalisierung hat in den vergangenen Jahrzehnten zu einem eindrucksvollen Anstieg des "Wohlstands der Nationen" geführt. Je intensiver die internationale Arbeitsteilung wurde, desto deutlicher nahm die absolute Armut ab. Aber der weltumspannende Handel hat sich dabei aber längst nicht für alle Arbeitnehmer ausgezahlt. Innerhalb der Volkswirtschaften stieg die Ungleichheit der Einkommen, und die Lasten der Anpassung konzentrierten sich auf bestimmte Regionen und Branchen, die dem Wettbewerb mit China nicht standhielten.

Berlin: SZ-Wirtschaftsgipfel / Tag02

Vier Jahre Trump? Halten wir das aus? Das war das große Thema auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel, der am Donnerstag in Berlin begonnen hat.

(Foto: Johannes Simon)

"Nehmen Sie Deutschland: Ein großer Teil der Menschen hat lange Zeit keine Lohnsteigerung gesehen, der Niedriglohnsektor ist riesig, obwohl die Wirtschaft in guter Verfassung ist und die Zahl der Beschäftigung steigt", sagt Reiner Hoffmann, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Wenigstens 20 Prozent der Menschen litten deshalb am Fortschritt der vergangenen Jahre, den die Globalisierung und freie Märkte gebracht hätten. Hoffmann wirbt daher für eine "faire Globalisierung" und sagt: "Der freie Handel hat viel Wohlstand geschaffen, die Frage ist nur: Wie werden die Gewinne verteilt?" Dass es dabei nicht immer gerecht zugeht, ist nicht nur ein deutsches Problem, es trifft alle Industriestaaten.

Für die USA bedeutete der Import billiger Güter aus Fernost sinkende Löhne und Jobverluste in der Industriearbeiterschaft. Diese Globalisierungsverlierer waren empfänglich für Trumps protektionistische und nationalistische Tweets, sie verhalfen ihm schließlich zu seinem Wahlsieg. Plötzlich wurde die Mobilität von Waren, Kapital und Menschen als gefährlich erachtet. Das hat auch psychologische Gründe. Die Menschen haben auf dem Gipfel der Globalisierungswelle das Gefühl, alles werde unkontrollierbar, die Verflechtungen seien zu komplex, die Entfernungen zu groß. Trumps großspuriges Gerede von "America first" stieß da auf offene Ohren.

Nun befürchten viele Wirtschaftslenker und Ökonomen, dass der Handel zwischen den Staaten rapide schrumpfen könnte - und viele Güter für die Verbraucher dadurch in Zukunft merklich teurer werden. Wenn die internationale Arbeitsteilung zurückgedreht und wieder verstärkt vor Ort produziert wird, verlieren ganze Nationen spürbar an Wohlstand - die Verteilungskämpfe werden dadurch sicherlich nicht entschärft.

"Die Menschen fühlen sich unsicher. Eltern haben Angst, dass es ihren Kindern einmal schlechter gehen wird als ihnen selbst", sagt Emma Marcegaglia, italienische Unternehmerin und Vorsitzende des Arbeitgeberverbands Business Europe. "Vermutlich haben viele nicht verstanden, wie wichtig freier Handel ist, wie viele Jobs er schafft. Das müssen wir den Menschen besser erklären. Und wir müssen den Protektionismus bekämpfen." Dazu gehöre auch, den Verlieren der Globalisierung zu helfen mit Bildung und Sozialleistungen. Marcegaglia ist aber besorgt, dass in Europa zu viel über gemeinsame Sozialversicherungen gesprochen werde und zu wenig über Wettbewerbsfähigkeit: "Wir werden die soziale Lage nicht verbessern, wenn wir nicht wettbewerbsfähig sind."

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Um gegen andere bestehen zu können, braucht Europa auch gut ausgebildete Mitarbeiter, die mit der digitalen Welt vertraut sind. "Wir werden künftig gemischte Mannschaften haben", sagt Axel Weber, Verwaltungsratschef des Schweizer Finanzinstituts UBS. "Menschliche Beschäftigte und die künstliche Intelligenz der Maschinen werden zusammenarbeiten." Um diese gewaltige Aufgabe zu meistern, "müssen wir unsere Leute besser ausbilden", fordert Weber, "damit sie in dieser neuen Welt bestehen können und die Transformation der Wirtschaft gelingen kann."

Bei dem vielleicht größten Umbau der Weltwirtschaft seit Beginn der Globalisierung könnten auch internationale Institutionen helfen. Die große Leistung der USA in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg bestand ja darin, eine globale Ordnung zu etablieren: ein Gerüst aus Normen, Regeln und Institutionen, für deren Erhalt und Stabilität sich die Führungsmacht Amerika starkmachte: Uno, Nato, WTO, Währungsfonds, Weltbank. Nun zieht sich Amerika zurück als Weltmacht und hinterlässt ein Vakuum, das von anderen Mächten gefüllt wird.

China hat faktisch die Führungsrolle in der ökonomischen Integration Asiens übernommen. Ausgerechnet der chinesische Präsident Xi Jinping präsentiert sich nun als Retter offener Märkte ("Offenheit ist die Lebensader der regionalen Wirtschaft") und Bewahrer der Klimaziele. Dem Westen kann das nicht gefallen: Der Übergang von der alten US-Hegemonie zu einer neuen Machtbalance wäre schon unter den günstigsten Umständen ein schwieriges Unterfangen. Jetzt ahnt man, wie chaotisch und gefährlich es tatsächlich ablaufen könnte.

"Wir müssen realistisch sein: Die USA wollen globale Institutionen zerstören", sagt Arbeitgeber-Präsidentin Marcegaglia. "Europa muss die Führung in dieser Frage übernehmen, wir müssen die Globalisierung gestalten. Und wir müssen aufpassen, dass China diese Rolle nicht übernimmt." Andernfalls wäre die liberale Ordnung der Weltwirtschaft vielleicht bald Geschichte.

Die drängendste Aufgabe aber benennt Martin Richenhagen, Chef des amerikanischen Landmaschinenkonzerns Agco: "Meine Hoffnung ist, dass es Wirtschaft und Politik gemeinsam schaffen, dafür zu sorgen, dass jeder, der Vollzeit arbeitet, seine Familie ernähren kann. Dann haben die Populisten weniger Chancen."

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