Globaler Gesundheitsmarkt:Pharmariesen im Kaufrausch

Die Pharmaindustrie sortiert sich neu: Denn nur wer selbst Medikamente entwickelt und vermarktet, schafft es in den Kreis der "Big Pharma". Das Geschäft mit der Gesundheit folgt ganz eigenen Gesetzen - nicht immer im Sinne der Patienten.

Von Helga Einecke

Die Geografie der Pharmabranche verschiebt sich und das über Kontinente hinweg. Viel Geld spielt eine Rolle, das Steuersparen, unterschiedliche Strategien, auch Eitelkeiten. Den größten Coup reklamiert der amerikanische Konzern Pfizer für sich und zelebriert seit Wochen einen Megadeal.

Er bietet für die Übernahme des britischen Rivalen Astra-Zeneca mehr als 100 Milliarden Dollar, eine ungewöhnlich hohe Summe. Das Management des Rivalen winkt ab, die Briten fürchten den Ausverkauf ihrer Pharma-Expertise. Die Deutschen dürften diese Ängste kennen, verschwand doch die Pharmafirma Hoechst vor einigen Jahren von der Bildfläche und ging in französische Hände über. Bis 26. Mai hat Pfizer noch Zeit, dann läuft die Angebotsfrist ab. Die Amerikaner sind aber nicht die Einzigen, die sich neu aufstellen.

  • Die Schweizer Novartis, derzeit die Nummer eins in der Pharmawelt, kauft für 16 Milliarden Dollar die Krebssparte der britischen Glaxo-Smith-Kline.
  • Glaxo übernimmt im Gegenzug von Novartis die Impfstoffe für sieben Milliarden Dollar.
  • Glaxo und Novartis gründen eine gemeinsame Firma für ihre rezeptfreien Medikamente.
  • Bayer sichert sich die rezeptfreien Medikamente der US-Firma Merck zum Preis von 13,5 Milliarden Dollar.
  • Die kanadische Firma Valeant will die Botox-Firma Allergan zum Preis von 46 Milliarden Dollar übernehmen.

Hat der Konzern Pfizer, bekannt durch den Verkaufsschlager Viagra, es nötig, so viel Geld in die Hand zu nehmen, um einen Rivalen zu schlucken? Ja, er hat. Denn er droht gewaltig abzurutschen im Kreis von "Big Pharma", wie die größten der Branche genannt werden. Er muss sich Know-how zulegen, das er selbst nicht besitzt. Im globalen Gesundheitsmarkt muss man Medikamente entwickeln, vermarkten, genehmigungsfähig machen. Das ist in jedem Land anders geregelt.

Der mit Abstand größte Pharmamarkt der Welt sind die USA. Die Amerikaner geben mehr als doppelt so viel wie die Europäer für ihre Gesundheit aus, beanspruchen die technologische Führung in Medizin und Pharmazie. Mit mäßigem Erfolg. Denn die eigene Bevölkerung ist von Zivilisationskrankheiten geplagt, schlecht versichert, muss deshalb privat für Krankenhaus, Medizin und Ärzte viele Dollars zahlen. All das verlängert die Lebenserwartung der Amerikaner keineswegs.

Aber für die Anbieter sind die hohen Preise, die sie in Nordamerika für ihre Arzneien verlangen können, ein starker Anreiz, diesen Markt zu bedienen. Etwa die Hälfte der 20 größten Pharmazeuten hat ihren Sitz in den USA. Die andere Hälfte arbeitet von Europa aus, wo Politik und Versicherungen den Daumen auf die Kosten für Medizin und Arzneien halten.

Hoch im Kurs stehen Mittel gegen Allergien und Demenz

Künftig versprechen sich die Pharmaexperten die Zuwachsraten nicht mehr nur in den USA und Europa, sondern in Lateinamerika und Asien, wo der westliche Lebensstil neue Krankheiten nach sich zieht und mehr Geld für Gesundheit zur Verfügung steht. Hoch im Kurs in der Pharmaforschung stehen Mittel gegen Krebs, Diabetes, Immunkrankheiten, Allergien und Demenz, weil die Anzahl der Kranken in diesen Bereichen teils rasant zunimmt. Und wer auf diesen Gebieten nicht fit ist, also keine gewinnträchtigen Medikamente zu bieten hat, muss sich diese entweder zukaufen oder fällt im Wettbewerb zurück.

Pfizer lebt schon seit Langem von Übernahmen, verleibte sich nacheinander die amerikanischen Unternehmen Warner-Lambert, Pharmacia, Wyeth ein. Dann war man durch diese Zukäufe zu fett geworden, verkaufte die Babynahrung, brachte die Tiermedizin an die Börse und konzentrierte sich auf Arzneimittel, ohne aus eigener Kraft ganz vorne mitspielen zu können. Bei Astra-Zeneca will man vor allem Zugriff auf Wirkstoffe gegen Krebs bekommen. Nicht zuletzt sitzt Pfizer auf 40 bis 70 Milliarden Dollar, die versteuert werden müssten, wenn sie nicht außerhalb der USA neu angelegt werden.

Bayer setzt auf Produkte ohne Rezept: Aspirin und Fußpflege

Auch Novartis hatte sich in der Vergangenheit einen Gemischtwarenladen zusammengekauft, stößt deshalb gleich vier Sparten wieder ab. Der Schweizer Konkurrent Roche dagegen hat sich längst auf ein zentrales Krankheitsthema spezialisiert, er liefert die meisten neuen Medikamente gegen Krebs und forscht auf diesem Gebiet intensiv. Da will Novartis mit dem Zukauf bei Glaxo aufholen.

Bayer legt den Fokus auf ein anderes Feld: auf Produkte ohne Rezept, wie Aspirin, Scholls Fußpflege oder Rennie. Auch diese Strategie könnte sich auszahlen, denn es handelt sich um Markenprodukte wie in der Kosmetik, und die lassen sich global gut verkaufen, werfen allerdings nicht so hohe Gewinne ab wie die forschungsintensiven, später aber durch Patente geschützten Medikamente. Analyst Olaf Tölke von Standard & Poor's nennt drei Gründe für die aktuelle Übernahmewelle.

  • Erstens ist das Geld billig, es herrscht Anlagenotstand, da finanzieren Investoren gerne das Geschäft der Gesundheitsbranche.
  • Zweitens wollen vor allem amerikanische Firmen Steuern sparen, indem sie ihre Gewinne aus dem Ausland nicht zurückholen, sondern draußen anlegen.
  • Drittens wollen sich die meisten Pharmakonzerne spezialisieren, also in einigen lukrativen Bereichen weltweit ganz vorne mitmischen und dafür andere vernachlässigen.

Die aufgerufenen Preise bezeichnet Tölke als "sehr sportlich". Die Beraterfirma Ernst & Young sieht noch keine Ende des Kaufrauschs, sondern schätzt das Volumen der Pharmaübernahmen in diesem Jahr auf 265 Milliarden Dollar.

Die Wachstumsraten der weltweiten Gesundheitsindustrie werden als robust eingeschätzt. Treiber der stetig steigenden Ausgaben für Körper und Seele sind die alternde Bevölkerung und der ungesunde Lebensstil. Obwohl die Menschen inzwischen gesünder altern, häufen sich zum Ende des Lebens Krankheiten, Ausgaben für Klinikaufenthalte, Arzneien und medizinische Hilfsmittel. Der ungesunde Lebensstil, also zu viel und falsche Ernährung gepaart mit zu wenig Bewegung, mündet schon in jungen Jahren in Zivilisationskrankheiten wie Diabetes.

Die großen Pharmakonzerne konnten zuletzt vor allem mit Medikamenten gegen Krebs und Immunerkrankungen punkten. Der Umsatz im vergangenen Jahr wird auf 88 Milliarden Euro geschätzt. "Der Bedarf an neuen Medikamenten ist riesengroß, die Krankenkassen übernehmen die Kosten bereitwilliger als in vielen anderen Gebieten", sagt Gerd Stürz, Pharmaexperte von Ernst & Young. Krebsmedikamente gehörten zu den teuersten Präparaten überhaupt. Behandlungen, die pro Monat mehr als 10 000 Dollar kosten, sind in den USA keine Seltenheit mehr.

Auf anderen Gebieten wird weniger geforscht - aus ökonomischen Gründen

Diese Preisspirale nach oben bedeutet zweierlei: Künftig werden die Verhandlungen zwischen Arzneianbietern und Krankenkassen härter, denn einerseits wollen Patienten die wirksamsten Therapien, und andererseits müssen die Versicherungen auf die Kosten achten. Außerdem wird auf anderen Gebieten weniger geforscht. Zum Beispiel spielen die Medikamente gegen die Schwäche von Herz, Kreislauf und Stoffwechsel in den Forschungslaboren nicht mehr die wichtigste Rolle.

Das knallharte Geschäft mit der Gesundheit folgt eigenen Gesetzen. Finden Forscher einen neuen Wirkstoff, der den Patienten tatsächlich nützt, so müssen sie eine Reihe von Hürden überwinden. Sie müssen ihn in mehreren Phasen testen und zum Patent anmelden. Das kostet und gelingt relativ selten. Wenn es aber gelingt, dann pochen die Pharmaunternehmen auf ihr Recht, zehn bis zwölf Jahre lang hohe Preise zu verlangen, um die Kosten für die Vorarbeiten wieder hereinzuholen.

Läuft das Patent für ein Medikament ab, wird es umgehend kopiert und für einen Bruchteil des Preises angeboten. Auch davon lebt ein Teil der Pharmaindustrie, in Indien haben sich zum Beispiel große Firmen auf dieses Geschäftsmodell spezialisiert. Allerdings basieren die neuen Medikamente nicht mehr auf Chemie, sondern auf Biologie. Das Nachahmen dieser Wirkstoffe ist erheblich aufwendiger, sodass sich auch die Generika-Branche, wie die Kopisten in der Fachsprache heißen, auf neue Zeiten einstellen muss.

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