Anna Falth hat eine lange Anreise hinter sich. Die UN-Mitarbeiterin ist aus New York gekommen, um in Berlin eine Initiative vorzustellen, die hierzulande noch relativ unbekannt ist: die Women’s Empowerment Principles. Ende Mai hatte „UN Women“, ein Organ der Vereinten Nationen, zu einem zweitägigen Forum ins Haus der Deutschen Wirtschaft eingeladen. Dort diskutierten Teilnehmer aus Politik und Wirtschaft, wie die Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft beschleunigt werden könne.
Bei den Women’s Empowerment Principles (WEPs) handelt es sich um Grundsätze, die die Rolle von Frauen in Unternehmen stärken sollen. Mit der Unterzeichnung der Leitlinien verpflichten sich Firmen, Frauen und Männer am Arbeitsplatz fair zu behandeln, die Gesundheit, die Sicherheit und das Wohlergehen aller Beschäftigten zu gewährleisten sowie die Aus- und Weiterbildung und die berufliche Entwicklung von Frauen zu fördern. Zudem werden Unternehmen aufgefordert, Lieferkettenpraktiken einzuführen, die die Gleichstellung vorantreiben, und sie sollen über die gemachten Fortschritte berichten.
Dass solche Leitlinien noch immer notwendig sind, zeigt eine aktuelle Studie der Allbright-Stiftung: Demnach hat mehr als die Hälfte der großen Familienunternehmen in Deutschland noch immer keine Frau in der Geschäftsführung. „Manche Leute sprechen von Women’s Empowerment, als würde es bedeuten, dass jemand die Aufgabe für Frauen übernimmt“, sagt Falth, die bei „UN Women“ die Abteilung „Women’s Empowerment Principles“ leitet: „Aber darum geht es nicht. Es geht darum, ein Umfeld zu schaffen, das Frauen ermöglicht, die zu sein, die sie sein wollen.“
Bereits 2015 haben die Regierungschefs der G7 ihre Unterstützung für die Initiative erklärt und Unternehmen dazu aufgerufen, deren Grundsätze in ihr tägliches Geschäft zu integrieren. In Deutschland haben derzeit rund 140 Unternehmen die Leitlinien unterzeichnet. Zu ihnen gehören unter anderem Adidas, Daimler, die Deutsche Bahn, die Telekom und SAP. Weltweit seien es schon mehr als 9600 Firmen aus etwa 160 Ländern, erklärt Falth: „Das ist aber noch weit von dem entfernt, was wir erreichen wollen, wenn man bedenkt, dass es weltweit etwa 350 Millionen Unternehmen gibt.“
Laut dem Statistischen Bundesamt waren 2022 rund 46,3 Prozent aller Erwerbstätigen in der EU Frauen. In Führungsetagen sind sie aber noch deutlich unterrepräsentiert: Nur jede dritte Führungskraft (35,1 Prozent) war 2022 weiblich. Deutschland liegt mit 28,9 Prozent sogar noch unter dem EU-weiten Wert und damit im Vergleich zu anderen Mitgliedsstaaten nur im unteren Drittel. „Deutschland ist sehr gut darin, was Frauen in der Politik anbelangt“, sagt Falth, „aber in der Wirtschaft hinkt es dramatisch hinterher.“ Nur: Woher kommen diese Unterschiede?
Eine Erklärung sieht Falth darin, dass es im öffentlichen Sektor eine fortschrittlichere Politik als im privaten Sektor gebe, was Teilzeitarbeit aus familiären Gründen angehe. Wegen Geschlechternormen seien noch immer vorrangig Frauen für die Betreuung von Kindern, Kranken und älteren Menschen zuständig: „Dadurch werden sie am Arbeitsplatz weniger wahrgenommen, sowohl von ihrem Chef als auch von sich selbst, und haben geringere Chancen, in ihrer Karriere voranzukommen.“
Ungleichheit ist ein Risikofaktor
Die fehlende Gleichstellung sei vor allem in Familienunternehmen ein Problem, meint Falth: „Diese kommen oft aus alten Traditionen und stehen nicht unter demselben Druck wie Unternehmen, die an der Börse sind.“ Dabei könnten auch sie davon profitieren, sich weiblicher aufzustellen: Eine Studie von McKinsey aus dem Jahr 2020 hat gezeigt, dass Unternehmen mit diversen Führungsetagen mit höherer Wahrscheinlichkeit profitabel sind als die überwiegend männlich geführte Konkurrenz.
Für Falth ist dies kein überraschendes Ergebnis: „Investorinnen und Investoren betrachten die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zunehmend als einen großen Risikofaktor.“ Ein diverses – und somit attraktives – Unternehmen werde hingegen als risikoärmere Investition angesehen, sodass es zumeist mehr Finanzmittel erhalte und auch die besseren Talente bekomme. Denn: In vielen Ländern würde die Gen Z ihren Arbeitgeber schon nach dessen Wertesystem auswählen. Dasselbe gelte auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich stärker bewusst seien, „was ein Unternehmen für die Gleichstellung tut, wie der CO₂-Fußabdruck eines Unternehmens aussieht, und welche Geschäftspartnerinnen und Geschäftspartner ein Unternehmen hat“.
Aber wie kann es gelingen, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen? Allein mit der Einführung einer Quote sei es jedenfalls nicht getan, findet Falth: „Jedes Unternehmen ist einzigartig und muss selbst entscheiden, was für es am besten funktioniert.“ Es gebe kein Patentrezept zur Beseitigung von Vorurteilen und Diskriminierung. Die UN-Leitlinien könnten Firmen aber dabei helfen, diese Verantwortlichkeit selbst zu schaffen. Im weiteren Prozess unterstützt „UN Women“ die Firmen mit Beratungs- und Weiterbildungsangeboten, um das Versprechen auch in die Tat umzusetzen.
Einige Unternehmen unterzeichneten die Grundsätze, um ein öffentliches Bekenntnis abzulegen, und fühlten sich wohler, wenn sie davor schon eine Menge Arbeit geleistet hätten. Andere Unternehmen, vor allem in den von Männern dominierten Branchen, wendeten sich aber auch schon früher an „UN Women“, weil sie Beratung benötigten. „Prinzipiell heißen wir sie aber zu jedem Zeitpunkt willkommen.“ Das Wichtigste sei, den Unternehmen die Möglichkeit zu geben, sich untereinander auszutauschen: „Es geht darum, ihnen dabei zu helfen, die richtigen Fragen zu stellen und passende Ideen einzubringen.“