Gipfelstürmer-Wettbewerb:Platz in der Breite, Luft nach oben

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Nicht nur München und Berlin: Hannover zählt gemeinsam mit Oldenburg zu den sechs stärksten Gründerregionen in Deutschland. Wie ist das gelungen?

Von Katharina Kutsche, Hannover

Wer den "Hafven" besucht, kommt an dem Sinnspruch nicht vorbei. "Es ist egal wo du herkommst, egal wo du hinwillst - dies ist der Ort, an dem allein zählt, was du tust. In der Werkstatt, am Schreibtisch, für dich oder mit anderen." Mit der Inschrift, sorgfältig auf Augenhöhe auf eine Fensterscheibe geklebt, begrüßt der schicke Betonbau Gäste und Mitglieder. Und was draußen am Gebäude steht, wird drinnen gelebt.

Der Hafven ist Innovationsort, Co-Working-Space und Start-up-Hotspot in einem. In dem Haus in Hannovers Nordstadt arbeiten Freiberufler, Gründer und Kreative neben- und miteinander. Die einen nutzen mit einem Monatspass Schreibtisch und Wlan, die anderen haben ihren Unternehmenssitz hier angemeldet. Seit Januar ist der Hafven eines von acht Start-up-Zentren in Niedersachsen, Arbeitsschwerpunkt Smart Citys. Damit steht er sinnbildlich für den Gründerstandort Hannover.

Die Rahmenbedingungen sind gut. Hannover ist Landeshauptstadt und Messestandort. 1,1 Millionen Menschen leben in Stadt und Region, Konzerne wie Continental, Tui und Talanx haben hier ihren Sitz, es gibt große Familienunternehmen wie Bahlsen, Kind und Rossmann, die sich für die Region einsetzen. 47 500 Studierende sind an den Hochschulen eingeschrieben, die Leibniz-Universität gehört zu den Top Ten der Gründerhochschulen Deutschlands. Mittlerweile haben sich 71 Start-ups rund um Hannover angesiedelt. Damit hat es die Stadt gemeinsam mit Oldenburg im Start-up-Monitor des Bundesverbands Deutscher Start-ups unter die sechs stärksten deutschen Gründerregionen geschafft, gleichauf mit München.

Seit 2013 nennt sich Hannover Start-up-City. Die Strategie der Landes- und Kommunalpolitiker ist klar: Lust machen aufs Gründen, Unternehmen ansiedeln, Wegzug verhindern. Das niedersächsische Wirtschaftsministerium unterstützt den Aufbau der Start-up-Zentren im Land mit rund einer Million Euro. Kommunen, Banken und private Investoren steuern eine weitere Million bei. Die Förderbank des Landes hat einen Fonds für Beteiligungskapital mit vier Millionen Euro aufgelegt.

Freiheit und Flevibilität werden hier groß geschrieben: Der Hafven, Gründerzentrum und Coworking-Space in einem, ist vollständig privat finanziert – und selbst ein Start-up.Foto: (Foto: Frank Schinski/OSTKREUZ)

Doch öffentliche Mittel sind zweckgebunden, Ergebnisse müssen in einer bestimmten Zeit vorliegen. Das steht dem Hafven-Prinzip entgegen, dessen Arbeitsmodell "Work in Progress" heißt, also: Noch unfertig, aber es läuft. Der Bau ist kein städtisches Projekt, sondern selbst ein Start-up, entstanden 2015. Dahinter stehen zehn Menschen, die sich nach dem Studium selbständig machen wollten, aber kein Geld für Büros hatten. "Ausgangspunkt war die Frage: Was fehlt uns, wie wollen wir arbeiten?", sagt Geschäftsführer Jonas Lindemann. "Die spannende Frage war: Wie viele gibt es, die so denken wie wir?" Im Mai hat sich das tausendste Mitglied angemeldet.

Der Hafven finanziert sich auf vier Wegen: die Mitgliedsbeiträge, die Innovationsberatung, zu der der Smart City Hub gehört, das Veranstaltungsgeschäft mit mehr als 200 Workshops und Vorträgen im Jahr, und die Gastronomie, das "Cafve". Unternehmen wie die Deutsche Messe oder die Deutsche Bahn halten im Gebäude Strategiegespräche ab. Die Firma Bosch hat Mitgliedschaften für 30 Mitarbeiter abgeschlossen, die regelmäßig im Hafven arbeiten dürfen. "Für Unternehmen ist dadurch die Hürde nicht so groß, sich der Gründerwelt zu öffnen: Sie kommen erst mal in den Innovationsraum und sehen dann weiter", sagt Lindemann.

Der Innovationsraum Hannover lässt sich am ehesten beschreiben mit: Da geht noch was. Natürlich gibt es erfolgreiche Gründungen. Heinekingmedia etwa, 95 Mitarbeiter, seit 2006 am Markt. Das Unternehmen entwickelte erst ein digitales Schwarzes Brett für Schulen und baute dann mit Stashcat einen Messenger für Sicherheitsbehörden, den inzwischen die Landespolizei nutzt. Oder Peat, ebenfalls aus Hannover, erfolgreich mit einer App namens Plantix, mit der Landwirte und Gärtner weltweit Schädlinge identifizieren und ihre Ernte retten können. Durch die Geo-daten können Fachleute außerdem verfolgen, wie sich der schädliche Befall ausbreitet. 2017 gewann Peat den Innovation Award der IT-Messe Cebit.

Zum dritten Mal zeichnet der Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung mit dem Start-up-Wettbewerb „Gipfelstürmer“ die besten Gründer aus Deutschland aus. Die Ausschreibung läuft bis zum 31. August. Eine Jury aus Mitgliedern der SZ-Wirtschaftsredaktion wählt aus allen Bewerbern die sechs Finalisten aus. Diese dürfen im November am SZ-Wirtschaftsgipfel in Berlin teilnehmen und dort ihre Firma vorstellen. Die Teilnehmer des Gipfels küren den Sieger. Einzelheiten und Bewerbungen: www.sz-wirtschaftsgipfel.de/gipfelstuermer. SZ (Foto: SZ-Grafik)

Doch während Start-ups in anderen Städten schnell Kontakt zu Investoren hatten, fehlte es in Hannover zunächst an einer gezielten Förderung. Inzwischen hat die Stadt Platz für Gründer geschaffen. Etwa im Technologiezentrum, einem Gebäude im Wissenschaftspark mit 78 Büros, Laboren und Werkstätten. Oder auf der Cebit, einer der wichtigsten Messen Hannovers, wo mit "Scale 11" eine Halle den Start-ups vorbehalten ist. Und auf dem ehemaligen Produktionsgelände des Baumaschinenherstellers Hanomag hat in Halle 96 die Kreativwirtschaft Platz gefunden: Architekten, Künstler, Entwickler. Aber ein Blick am Marketing vorbei zeigt: Manche Maßnahme ist eher für Solo-Selbständige und Freischaffende interessant, nur ein Teil richtet sich an wirkliche Start-ups.

Das muss aber kein Nachteil sein, denn gerade im Hafven zeigt sich, wie aus Kleinem etwas Größeres werden kann. Am greifbarsten ist das im Maker Space, wo zwei Mitglieder in T-Shirts und Cargoarbeitshosen gerade kleine Holzkästen verleimen. Auf eine Glasfläche hat jemand mit buntem Marker geschrieben, welches Mitglied wann an welche Maschinen möchte. Deren Auswahl ist groß, Hunderttausende Euro wert und hochprofessionell. Wer hier an CNC-Fräse, 3-D-Drucker oder Lasercutter zugange ist, baut vielleicht gerade einen Prototyp oder ist ein Handwerksmeister, der Aufträge abarbeitet.

Der Hafven ist ein smartes Städtchen in sich, alles greift ineinander. Die Küche des Cafve ist Teil der Werkstatt, sie wird an Food-Start-ups vermietet. Schreibtische, Raumteiler, Bänke sind im Maker Space entstanden. Ein Biomüsli-Start-up organisiert seinen Vertrieb im Open Space und testet seine vier Sorten im Cafve. Auf den Freiflächen draußen wachsen in Holzkästen Kräuter, die die Küche verarbeitet. Und wie im besten Start-up-Klischee gibt es auch hier einen Kicker, aber die Teilnehmer eines Holzworkshops haben ihn selbst gebaut. Wer eine Idee entwickelt, kann sie sofort testen. Jeder fragt jeden nach seiner Meinung, offenes Feedback ist garantiert. "Das Zusammenspiel baut Beschränkungen ab, sich selbständig zu machen", sagt Jonas Lindemann.

Dabei hilft auch die Venture Villa, die in einem schmucken Altbau am Stadtwald Eilenriede untergebracht ist. Sie bietet Gründern eine Frühphasenfinanzierung. Bewerber müssen ein Konzept vorweisen, sich Vollzeit einbringen ( siehe Interview ). Wer in das Accelerator-Programm aufgenommen wird, dessen Geschäftsidee wird innerhalb von hundert Tagen geprüft. Es gibt Startkapital von bis zu 100 000 Euro, Mentoren, Coaching. Für spielerisches Ausprobieren ist kein Platz.

Das ist eher im Gründercamp Lean Lab zu haben, bei dem Kreative in "48 Stunden von der Idee zum Geschäftsmodell" kommen und Büroplätze gewinnen können. So wie Innocado. Das Team entwarf eine Plattform, auf der sich Mitarbeiter in einem Betrieb vernetzen können. Nun sitzt Mitgründer Ferry Nesenhöner im Idea Space des Hafven, dessen Räume er für sechs Monate kostenfrei nutzen kann. Der Wirtschaftspsychologe arbeitete in einer Unternehmensberatung, wo ihn zunehmend störte, dass die Arbeit wenig mitarbeiterzentriert organisiert war. "Wir möchten Software als Instrument nutzen, um einen Kulturwandel in Unternehmen umzusetzen", sagt er. Auf Innocado können sich Kollegen über Abteilungsgrenzen hinweg austauschen, ein Algorithmus verknüpft sie je nach Wunschthema. Im Juni startet ein Test, den die Gründer im Hafven laufen lassen. "Das ist die perfekte Pilotierungsmöglichkeit", sagt Nesenhöner, "wir können Kinderkrankheiten ausmerzen."

Innocado ist eines von vier Start-ups im Smart City Hub des Hafven. Der Accelerator betreut die Projekte für sechs Monate, gefördert vom Land, unterstützt von Investoren wie der Nord-LB oder VW Financial Services. Danach sollen die Gründer in der Lage sein, eine erste Finanzierungsrunde zu veranstalten. Das bedeutet auch, dass sie bis dahin keine Unternehmensanteile abgeben - anders als in der Venture Villa, die Kapital gegen eine Beteiligung von sechs Prozent am Start-up vergibt.

Diese Freiheit ist dem Hafven-Team wichtig. Start-ups und Investoren sollen sich auf Augenhöhe begegnen, sich umeinander bewerben. Auch der Hafven ist vollständig privat finanziert. Das Gründerzentrum will ein Labor für die neue Arbeitswelt sein, flexibel, individuell. "Die Vision ist, dass sich alles stetig verändert", sagt Jonas Lindemann. Nur die Unabhängigkeit von anderen, die soll bleiben.

© SZ vom 19.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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