Süddeutsche Zeitung

Gipfelstürmer:Überflieger

Beim SZ-Start-up-Wettbewerb "Gipfelstürmer" gewann Cargonexx. Das Logistikunternehmen aus Hamburg könnte den Lkw-Transportmarkt aufmischen.

Von Elisabeth Dostert, Berlin

Sie haben alle gekämpft. Gründen ist ein ständiger Kampf für die eigene Idee, um gute Mitarbeiter, um das Geld von Investoren. Es ist ein ständiger Pitch, auch beim "Gipfelstürmer", dem Start-up-Wettbewerb der Süddeutschen Zeitung, bei dem zum zweiten Mal ein Sieger gekürt wurde. Den Schaulauf vor den Teilnehmern des SZ-Wirtschaftsgipfels gewann am Samstag Cargonexx. In beiden Abstimmungsrunden landete das Logistik-Start-up aus Hamburg auf dem ersten Platz. Es setzte sich gegen fünf weitere Finalisten durch. Beworben hatten sich mehr als 100 junge Unternehmen aus ganz Deutschland. Gründer, die das Geschäftsmodell großer Konzerne angreifen, dürfen nicht bange sein. Rolf-Dieter Lafrenz, den Gründer des Siegers Cargonexx, hatten alle gewarnt. Er werde sich eine blutige Nase holen. Das Risiko sei zu groß, unkten Finanzinvestoren, das System kompliziert. Lafrenz ließ sich nicht beirren. Er arbeitet seit Jahren als Berater, kann ein Problem identifizieren und systematisch lösen. Die Geschichte von Cargonexx begann auf der Straße.

"Ich stand im Stau", erzählt Lafrenz. Er kennt die Marktdaten: Jeden Tag rollen eine halbe Million schwere Lkw über deutsche Autobahnen, in Europa sind es mehr als zwei Millionen. Und es werden immer mehr. Und dann die Emissionen. Lafrenz spricht in kurzen, eingängigen Sätzen und anschaulichen Bildern. Ein schwerer Sattelschlepper braucht etwa 30 Liter Diesel pro 100 Kilometer. "Alle Sattelschlepper zusammen in Europa stoßen so viel Kohlendioxid aus wie die Menschen in Berlin, München, Hamburg und Köln zusammen." Rechnerisch fahre jeder dritte Lkw leer, "weil die Transporte überwiegend noch so organisiert werden wie vor 30 Jahren, per Telefon."

Ein Jahr haben Lafrenz und seine Mitstreiter gebraucht, um die Software und einen lernenden Algorithmus zu entwickeln. Der Gründer will den Transport grundsätzlich verändern und nicht nur irgendein Broker sein. Er verbindet Speditionen, Lkw-Fahrer und Auftraggeber und optimiert die Touren mit den gewonnenen Daten: Transportzeiten, Verkehrswege, Auslastung und vieles mehr. Mit jeder Tour wird das System schlauer. "Wir bauen die erste künstliche Intelligenz im Transportgewerbe", sagt Lafrenz. "Wir machen Lkw-Transporte so einfach wie nur möglich. Bei uns können Sie einen 40-Tonner so einfach bestellen wie in Berlin ein Taxi." Seit Anfang 2017 ist die Software auf dem Markt. 3300 Unternehmen mit mehr als 50 000 Lkw haben sich schon registriert.

Mittlerweile läuft das System. "Seit acht Wochen haben wir eine 100-prozentige Leistungsquote. Jede Tour, die wir übernehmen, fahren wir zuverlässig." Seit acht Wochen sei Cargonexx profitabel. Mittlerweile kommen auch Dax-Konzerne auf das Start-up zu. Bis Ende 2018 soll die Zahl der registrierten Transportunternehmen auf 10 000 bis 12 000 steigen mit mehr als 100 000 Lkw. Lafrenz hat viel eigenes Geld in die Firma gesteckt. Mittlerweile hat er gut ein Dutzend private Investoren. Jetzt, wo es funktioniert, melden sich auch Finanzinvestoren. Je länger Lafrenz redet, um so euphorischer wirkt er: "Wir wollen es richtig rocken", sagt er und zieht große Vergleiche. Uber sei mit seiner Taxi-App eines der wertvollsten Unternehmen der Welt geworden. "Der Lkw-Transportmarkt ist etwa 20 Mal so groß."

Beim SZ-Wettbewerb "Gipfelstürmer" haben viele Unternehmen gute Ideen präsentiert, auch das Münchner Start-up Recup. "Wir wissen, dass Kaffeebecher nicht das größte Problem sind, das die Welt hat", sagt Recup-Geschäftsführer Fabian Eckert. Er und Florian Pachaly halten auf der Bühne Kaffeebecher aus Kunststoff in der Hand. Das ist ihr Produkt und die Dienstleistung dahinter. Recup hat ein Pfandsystem für Kaffeebecher entwickelt. "Während wir hier reden, werden 16 000 Coffee-to-Go-Becher weggeworfen", sagt Eckert. Recup hat nicht gewonnen und ist doch kein Verlierer. Solche Ideen sind ein Gewinn für eine Gesellschaft und eine Volkswirtschaft. So wie die von Volabo. In der Runde der letzten zwei musste sich das Start-up aus Ottobrunn bei München nur Cargonexx geschlagen geben.

Unternehmen, die groß werden wollen, dürfen nicht klein denken

Volabo arbeitet an einem Elektromotor im Niedervoltbereich. Die Idee entstand am Lehrstuhl für Elektrische Antriebstechnik und Aktorik der Universität der Bundeswehr in München. Die Präsentation von Florian Bachheibl und Adrian Patzak beginnt mit einem Foto. Es zeigt eine Stadt im Smog, und den gibt es nicht nur in Peking. "Das Prinzip der heutigen Motoren ist fast 130 Jahre alt", sagt Patzak. Das Foto auf den Monitoren über der Bühne zeigt eng gewickelte Kupferspulen. Deren Produktion sei extrem aufwendig und teuer, sagt Patzak. Jetzt ist Bachheibl dran: "Wir finden, dass es nach 130 Jahren Zeit ist für etwas Neues. Unser Ansatz ist disruptiv." Das Unternehmen greift die Autoindustrie an. Im Motor von Volabo ersetzen Käfige aus Aluminiumstäben die Kupferspulen, und die Elektronik wird im Motor integriert. "Volabo" heißt: "Ich werde fliegen." Volabo ist noch jung, gut ein Jahr alt. "Wir können in drei Jahren in Serie sein und in fünf Jahren sind wir dann in einigen Autos", sagt Bachheibl.

Wer groß werden will, darf nicht klein denken.

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Quelle:
SZ vom 20.11.2017
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