Gipfelstürmer:Immer auf Achse

Unübersichtlicher Markt, viele Leerfahrten: Lkw-Transporte sind nicht immer effektiv unterwegs. Das will das Start-up Cargonexx ändern.

Von Katharina Kutsche

Als Rolf-Dieter Lafrenz auf der Rückfahrt von einer Feier in einen Stau geriet, nutzte er die Zeit, um sich umzusehen, mit wem er da eigentlich auf der Straße unterwegs war. Und stellte gemeinsam mit seinem Begleiter und späteren Mitgründer fest, dass da sehr viele Lkw mit ihnen im Stau standen. Beiden ging die Beobachtung nicht mehr aus dem Kopf, sie beschäftigten sich näher mit dem Markt und stießen auf interessante Zahlen: Etwa, dass Lastwagen rund 1,6 Millionen einzelne Fahrten auf deutschen Straßen zurücklegen - pro Tag. Und dass mehr als jeder dritte davon leer unterwegs ist.

Der Logistikmarkt innerhalb der Europäischen Union macht rund eine Billion Euro aus, ist allerdings stark fragmentiert. Kaum jemand hat einen Überblick darüber, wo Fracht auf ihren Transport wartet und wo Lkw stehen, die sie aufnehmen könnten. So kommt auch die hohe Leerfahrtquote zustande. Die kann entweder saisonal entstehen, etwa wenn Tomatenernte in Italien ist und mehr als sonst ausgeliefert werden muss. Oder regional, die Stadt Berlin etwa produziert wenig, wird aber stark beliefert. "Das sind strukturelle Leerkapazitäten", sagt Lafrenz. Er fragte sich, wie man die Transporteure besser auslasten und weniger Lkw auf die Straße bringen könnte. Gemeinsam mit seinem damaligen Beifahrer gründete er das Start-up Cargonexx, finanziert von privaten Investoren.

LKW Fahrer im Führerhaus auf der Autobahn Truckdriver

Fahrn, fahrn, fahrn, auf der Autobahn: Mehr als jeder dritte Lkw ist leer unterwegs – das Start-up Cargonexx will das ändern.

(Foto: imago/Jürgen Ritter)

Cargonexx verkauft Aufträge an Transportunternehmen und Lkw-Fahrer. Das Unternehmen haftet als Spediteur gegenüber seinen Auftraggebern und schließt seine Verträge mit den Frachtführern. Diese können so ihre Touren besser planen und ihre Lkw stärker auslasten. Das Start-up kalkuliert die Preise mithilfe künstlicher Intelligenz (KI), basierend auf neuronalen Netzen. Jede Tour, die zu vergeben ist, wird ins System eingegeben und von der selbstlernenden Maschine durchgerechnet. Dafür erfasst das Team die täglich neu gewonnenen Daten und Erfahrungswerte - Verkehrswege, Transportzeiten, das aktuelle Wetter. Die KI arbeitet mit einem Trainingssatz von einer Million Daten und optimiert die Rechenwege so lange, bis sie das beste Ergebnis für den jeweiligen Tag ermittelt hat. Das System errechnet nicht nur Preise, sondern auch die optimale Beladung der Lkw, schließlich stellen die Transportunternehmer den Preis für den Lkw in Rechnung, nicht die Lademeter, die tatsächlich genutzt werden. "Das ist ein bisschen wie Tetris spielen", sagt Lafrenz.

Eigentlich ist Lafrenz, 50, kein "Logistikmensch", sondern geschäftsführender Gesellschafter von Schickler, einem Beratungsunternehmen für Medienhäuser. Doch die Digitalisierung, der Umgang mit Big Data sind Schwerpunkte in seiner Arbeit, künstliche Intelligenz ein vertrautes Thema. Bei seiner Recherche erfährt er, dass Lkw-Transporte heute immer noch so organisiert werden wie vor 20 Jahren - immerhin per E-Mail, nicht mehr per Fax. Der Ablauf: Ein Verlader, etwa ein Möbelunternehmen, beauftragt einen Spediteur mit dem Warentransport. Der Spediteur wiederum beauftragt einen Transport-Fahrer mit der eigentlichen Fuhre. Hat dieser Fahrer keinen Lkw frei, weil er bereits ausgelastet ist oder nicht verbindlich planen kann, beauftragt er einen Sub-Unternehmer. "Ein Transportauftrag kann so durch die Hände von bis zu fünf Menschen gehen, bis die Ware tatsächlich gefahren wird", sagt Lafrenz. "Auch die Frachtpapiere werden so weitergereicht, jeweils zu dem, den man selbst beauftragt hat."

"Wir funktionieren gut, wenn der Algorithmus gut funktioniert."

Die Hälfte aller Transport-Unternehmen hat nur drei Lkw oder weniger, zum Teil sind es Ein-Mann-Betriebe. Umfangreiche Aufträge könnten sie nicht bewältigen, große Unternehmen vergeben ihre Aufträge ohnehin nur an große Spediteure. Kleine Transporteure kommen bestenfalls als Sub-sub-Unternehmer in Frage. "Aber jeder Auftraggeber in der Kette nimmt zehn Prozent Marge für den Auftrag, da bleibt nicht mehr viel übrig für den, der am Ende tatsächlich fährt." Lafrenz möchte den Logistikmarkt transparenter und demokratischer machen: Wer bei dem Start-up einen Auftrag übernimmt, ist auch derjenige, der die Ware transportiert. Cargonexx versucht, die Touren etwas teurer zu verkaufen, als es sie einkauft. Alles Weitere regelt der selbstlernende Algorithmus. Kostendeckend ist das Modell nicht, Lafrenz rechnet mit zwei weiteren Jahren, in denen das so bleibt. "Wir funktionieren gut, wenn der Algorithmus gut funktioniert. Da er auf Daten basiert, werden wir jeden Tag besser", sagt der Gründer.

Gipfelstürmer

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Die Branche tue sich schwer, Veränderungen anzunehmen. "Am Ende ist es jeder einzelne Disponent, der entscheidet, wie er arbeitet. Und wir müssen jeden einzelnen überzeugen", so der Gründer.

Und natürlich gibt es auch Konkurrenz. Uber, der amerikanische Fahrdienst, hat mit Uber Freight eine App auf den Markt gebracht, die ebenfalls Fahrer, Verlader und Spediteure zusammenbringt. Drohender Eins-zu-eins-Wettbewerb, auch wenn Uber Freight zurzeit hauptsächlich in Texas aktiv ist. Dann sind da noch Online-Speditionen wie Instafreight, ein Start-up aus dem Hause Rocket Internet, und Saloodo, eine digitale Plattform der Post-Tochter DHL. Saloodo ist im Bereich der Auslieferungslogistik aktiv, vermittelt Frachtfuhren vom Versender zum Kunden - im Unterschied zu Cargonexx, die an Zwischenlager liefern.

Rund 2700 Transportunternehmen mit im Schnitt bis zu 20 Lkw sind bei Cargonexx registriert, dazu kommen 300 Betriebe, die gleichzeitig Spediteure und Frachtführer sind, auch Branchengrößen wie Schenker oder Kühne + Nagel. Ihnen stehen 575 Auftraggeber gegenüber. Lafrenz' Vision: Er möchte das größte Transportnetz Europas aufbauen und Lkw-Transporte so einfach machen wie Taxifahren.

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