Süddeutsche Zeitung

Gipfelstürmer:Im Treibhaus

Der Italiener Riccardo Donadon fördert auf einer Farm bei Venedig Innovationen für die Digitalwirtschaft. Auch deutsche Unternehmen nutzen den Inkubator intensiv.

Von Ulrike Sauer, Ca’ Tron

Der Traum von Disneyland zerstob in den Neunzigerjahren. Der Standort Ca' Tron an der venezianischen Lagune, eines der größten Landgüter Italiens, flog in der Endrunde aus dem Rennen. Den Zuschlag erhielt Paris. 2005 tauchte dann Riccardo Donadon auf und setzte stattdessen eine digitale Denkfarm in die Äcker. Die Saat ging auf - seine H-Farm wurde zu einem Unikum in der Inkubatoren-Szene.

Heute pitchen hier Start-ups aus aller Welt mit ihren Geschäftsideen um die Gunst der Geldgeber. Das englische H im Namen steht für Human. Denn alles dreht sich um den Menschen und seine Beziehung zur Technologie. Rundherum Felder: Korn, Mais, Soja, Erbsen - ab und zu versperren hohe Pappelreihen als Windschutz den Horizont. Gezüchtet werden hier nicht nur Firmen und Innovationen. Seit zwei Jahren wird hier auch Nachwuchs für das digitale Zeitalter aufgezogen, vom Sandkasten bis zum Master. "Unser Ziel ist es, ein neues Bildungsmodell zu entwickeln und zu testen", sagt Donadon über H-Campus, sein ehrgeizigstes, 100 Millionen Euro teures Projekt.

Donadon sitzt unter einem grünen Blätterdach im Treibhaus. La serra ist mit den langen Holzbänken und -tischen der Mittelpunkt des Lebens auf Ca' Tron: Kantine, Besprechungsort, Pausentreff für 550 Mitarbeiter. Eine Oase der Modernität in einem konservativen, oft zukunftsvergessenen Land. Es gibt zwar viele dieser futuristischen Oasen in Italien. Doch die Farm im Hinterland Venedigs sticht mit Expertise, einem gewachsenen Netzwerk und Betreuer-Know-how heraus. "Als Start-up-Beschleuniger hat H-Farm eine einzigartige Erfahrung zu bieten", sagt Donadon. Er hat seit 2005 in 96 Start-ups investiert. Jährlich lädt die Farm zu 250 Veranstaltungen.

Der Entrepreneur hat seit 2005 in insgesamt 96 Start-ups investiert

Der hochgewachsene, schlanke Chef sieht in Jeans und blauem Pulli aus wie alle auf dem modernen Campus. Am Handgelenk lugt eines dieser geknüpften Armbänder aus dem Ärmel. Donadon ließ kleine Traktoren in rot und schwarz aneinanderreihen, das Logo von H-Farm. Der Trecker ist dem Sabbatjahr geschuldet, das der Gründer mit dem Rasenmähen in seinem 1,5 Hektar großen Garten verbrachte. "Es war die einzige Möglichkeit, Adrenalin abzubauen", sagt er. Donadon hatte früh Geschäftsinstinkt an den Tag gelegt. Mit 28 schuf er mit dem Modekonzern Benetton das virtuelle Einkaufszentrum Mail Italy Lab, Italiens erste Plattform für Onlinehandel. 1997 war das. Geträumt hat er immer davon, etwas Eigenes aufzubauen: Mit 31 gründet er mitten im Boom der New Economy den Web-Dienstleister E-Tree, der Italiens Unternehmenselite zum Debüt im Internet verhalf. Computerfreak Donadon war im richtigen Moment an der richtigen Stelle. 1999 stehen bei ihm im Büro die Schlafliegen hinterm Schreibtisch, es werden 1098 Pizzen verzehrt und drei Milliarden Lire Umsatz gemacht. Im Jahr darauf stellt er einen Koch ein. Anfang 2001 verkauft er seine Firma, 2003 verlässt er sie. Und legt einen Park an. "Nach der Zeit in einer No-sleeping-company war die Gartenarbeit perfekt zum Nachdenken", sagt er.

Das Ergebnis: Ca' Tron. Wenige Monate bevor in den Vereinigten Staaten der Inkubator YC Combinator startet, eröffnet Donadon 2005 die erste Brutstätte der Welt. Sein Ziel: Junge Talente anziehen und Start-ups fördern. Es geht richtig gut ab, H-Farm wächst flott. Jährlich steckt der Inkubator zwei bis drei Millionen Euro in innovative Ideen. Dennoch ist alles schwieriger als erwartet. Das Modell funktioniert, aber an Profite ist nicht zu denken.

Bisher hat der 50-Jährige 25 Millionen Euro investiert. Durch Weiterverkäufe werden bald 15 Millionen Euro in die Kasse zurückgeflossen sein. "Das Problem ist, dass es keine Exits gibt. In Europa kaufen die Unternehmen keine Start-ups", sagt er. Das sei eine kalifornische Besonderheit. Zwar schätze man Dienstleistungen für den digitalen Wandel, doch zum Firmenkauf seien die Europäer kaum bereit.

Donadon hat darum den Fokus auf Industriedienstleistungen verschoben. "Wir begleiten Start-ups hinein in die traditionellen Unternehmen". H-Farm ging 2012 an die Börse, um das neue Standbein zu finanzieren. Es wurde Industry H-Farm gegründet. Donadon stellte 300 Mitarbeiter ein, die den Unternehmen bei der Digitalisierung helfen. Das stellte H-Farm finanziell auf eine solide Basis. Der Umsatz wird 2017 auf mehr als 40 Millionen Euro wachsen, für 2018 werden Gewinne angepeilt. Bis 2020 will Donadon das Geschäftsvolumen auf 100 Millionen Euro steigern und eine zweistellige Bruttomarge erzielen.

Die Farm tritt nun hauptsächlich als Accelerator auf. Für Unternehmen organisiert man in Ca' Tron viermonatige Förderprogramme für Ideengeber. So läuft im Auftrag der Deutschen Bank eine Auswahl fünf internationaler Teams, die ein neues Internet-Protokoll ausfeilen sollen. Deutsche Unternehmen nutzen Donadons Ideenschmiede rege. Zu den Auftraggebern zählen etwa Adidas, Bosch, Burda, Henkel. Besonders die bayerische Wirtschaft sei eng mit dem Nordosten Italiens verflochten. "Wir sind 50 Flugminuten von München entfernt und Lust auf einen Abstecher nach Venedig spüren viele", sagt er.

Am 5. Oktober präsentieren fünf Teams ihre Vorschläge zum Thema Internet of Things. Dabei sein wird Elena Pasquali. Die Italienerin hatte ihr Start-up Ecosteer 2012 in Großbritannien gegründet. 2017 wandelte sie es in eine italienische Firma um. "Im Augenblick bietet Italien mit einer extrem günstigen Besteuerung, dem Schutz des intellektuellen Eigentums und großzügigen Fördermitteln ideale Bedingungen", sagt Pasquali. Sie sei darum in ihre Heimat zurückgekehrt.

Hogwarts auf italienisch

Auf dem Acker hinter der Internetschmiede H-Farm bei Venedig werden in ein paar Wochen die Baumaschinen anrücken. Auf einer Fläche von 51 Hektar entsteht dort dann ein digitaler Campus, der H-Campus. Von September kommenden Jahres an sollen Kinder und junge Leute hier eine zeitgemäße Ausbildung erhalten. In den 13 gläsernen Gebäuden werden Schüler, Studenten, junge Startupper, Dozenten, Entrepreneure, Manager und Unternehmer zusammentreffen und im ständigen Austausch von Ideen und Erfahrungen lernen und arbeiten. Erklärtes Ziel: eine digitale Wissens-Community mit 4000 Menschen aufzunehmen. Den ersten Schritt in die Ausbildung machte H-Farm-Gründer Riccardo Donadon bereits 2010. Er hatte gemerkt, dass sich die nach 1998 Geborenen von den Vorgänger-Generationen grundlegend unterscheiden. "Die Jugend hat das Recht auf eine Bildung, die auf der Höhe der Zeit ist und die ihre Fähigkeiten fördert", sagt Donadon, der am Altsprachlichen Gymnasium in Treviso öfter eine Schulklasse wiederholen musste. Gleichzeitig erlebte der Internet-Pionier durch die Zusammenarbeit mit Unternehmen, dass die rasante Digitalisierung Mitarbeitern Kompetenzen abverlangt, die das traditionelle Schulsystem ignoriert. Also startete Donadon vor sieben Jahren einen Master in Digital Entrepreneurship. Außerdem organisierte er in den Schulferien auf dem H-Farm-Gelände den ersten Digital Summer Camp für Kinder. Vor zwei Jahren öffnete dann die International School, welche Schüler in englischer Sprache vom Kindergarten bis zum Abitur führt. Auf dem Stundenplan Zwölfjähriger stehen heute Fächer wie Soft Skills und Public Speaking. Oder die Magic Hour, in der sie einer Leitfigur begegnen. Grundschüler erhalten ein iPad, die Oberschüler ein Macbook ausgehändigt. Fehler werden nicht bestraft. Der Austausch mit Start-ups soll früh den Einfallsreichtum anregen. "Alles ist auf das Danach ausgerichtet", sagt Carlo Carraro, Präsident von H-Campus und früherer Rektor der Universität Ca' Foscari in Venedig. Und in der Welt von morgen würden Anpassungsfähigkeit und transversale Kompetenzen, Führungsstärke und Teamgeist zählen. Ulrike Sauer

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Quelle:
SZ vom 28.09.2017
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