Süddeutsche Zeitung

Gipfelstürmer:Höllenfeuer für Satelliten

Raumfahrt­ingenieure von der TU München entwickeln mit ihrer Firma Triebwerke, die kleine Trägerraketen ins Weltall schießen sollen. Die Wirtschaft sucht solche Lösungen.

Von Dieter Sürig

"Achtung, Achtung! Fünf-Minuten-Warnung am Prüfstand M11!", tönt es aus Lautsprechern der Anlage im Testzentrum für Raumfahrtantriebe. Der Münchner Gründer Daniel Metzler zeigt dieses Video, um die Wurzeln seines Start-ups Isar Aerospace zu veranschaulichen. Es spielt 30 Autominuten nordöstlich von Heilbronn, wo das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) am Standort Lampoldshausen seit 60 Jahren Raketentriebwerke testet, darunter auch für die Trägerrakete Ariane.

Auf dem Video sind Studenten der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft für Raketentechnik und Raumfahrt der Technischen Universität München zu sehen, die am Prüfstand M11 einen Hybridraketenmotor erproben, der mit flüssigem Sauerstoff gezündet wird. Nachdem sie das Triebwerk positioniert und die letzten Schrauben festgezogen haben, beobachten sie das Spektakel aus sicherer Entfernung an den Monitoren. Sie gleichen die Daten ab, ein kurzer Countdown - unter ohrenbetäubendem Lärm schießt das Höllenfeuer 15 Sekunden aus der Düse, dann grau-weißer Rauch. Raketenwissenschaft pur!

"In der Studentengruppe hat es schon lange die Idee einer Ausgründung gegeben", erzählt der 26-jährige Raumfahrtingenieur Metzler. Im März ist der Vorarlberger, der zum Studium nach München kam, gemeinsam mit seinem Team zum Amtsgericht gegangen, um die Firma anzumelden. Das Geschäftsmodell ergab sich aus der Arbeit am TU-Lehrstuhl für Raumfahrttechnik. "Wir haben als Vorreiter im Studentenbereich Triebwerke mit flüssigem Sauerstoff entwickelt". Diese sind leistungsstärker als Feststoffantriebe, aber bisher "ein sehr kritischer Punkt in der Raketentechnik".

Die sechs Ingenieure wollen sich auf den Markt der kleinen Trägerraketen, sogenannte Microlauncher, konzentrieren und dafür Antriebe anbieten. Weltweit zählt Metzler etwa 30 ernst zu nehmende Firmen, die Microlauncher entwickeln. Diese haben aber ein Problem: "Sie machen kaum Fortschritte im Antriebsbereich. Das Triebwerk ist das komplexeste einzelne Subsystem, das es an der Rakete gibt, mit dem das ganze Projekt steht und fällt." Hier wollen die Münchner ansetzen.

Das passt gut in die Zeit, weil der Bedarf nach solchen kleinen Raketen wächst. Die Ariane 5 kann etwa 20 Tonnen in den niedrigen Erdorbit transportieren, die Falcon 9 von Space-X 23 Tonnen. Das ist praktisch, wenn mehrere Galileo-Navigationsgeräte mit jeweils 700 Kilogramm Gewicht oder tonnenschwere Fernsehsatelliten in der Erdumlaufbahn platziert werden müssen. Für drei Kilogramm leichte Kleinsatelliten wie die Cubesats sind sie aber überdimensioniert. Die Folge: Absender der kleineren Raumfracht müssen lange auf eine Mitfluggelegenheit warten. Ist im Laderaum der großen Trägerraketen noch ein Plätzchen frei, dann kann es ins All gehen. Es gibt Firmen, die solche Transportkapazitäten verkaufen, doch oberste Priorität haben diese Kleinprojekte aus Forschung und Industrie nicht. Das bedeutet, dass sich Auftraggeber meist weder den Starttermin noch die Umlaufbahn aussuchen können, wo die Ladung ausgesetzt wird. Kleine Raketen haben dagegen eine Kapazität von mehreren Hundert Kilogramm und bieten den Kunden Flexibilität. "Pro Kilo ist es zwar ein bisschen teurer, aber der Kunde hat die Orbitwahl und ist schneller - in zwei bis vier Wochen ist die Rakete startbereit."

Um selbst loslegen zu können, brauchen die Gründer Geldgeber, nötig ist ein "Startkapital im einstelligen Millionenbereich". Gespräche mit Investoren aus Amerika und Deutschland laufen bereits. "Wir brauchen Teststände, müssen Prototypen bauen, Leute einstellen - dafür brauchen wir Investoren", sagt Metzler. Die junge Firma wird von der europäischen Raumfahrtagentur Esa unterstützt und darf zwei Jahre lang Räume des Esa-Business Incubator Centres in Gilching bei München nutzen. Know-how für Gründer bekommen sie auch vom Inkubator Unternehmertum an der TU München. Es dürfte auch helfen, dass Metzler 2017 zum deutschen Siegerteam eines Wettbewerbs von Nasa und DLR gehörte, das ein emissionsarmes Flugzeug mit Hybridantrieb entwickelte.

Die Gründer hatten sich überlegt, in die USA zu gehen, "dort ist es wohl einfacher, Geld zu bekommen", sagt Metzler, der sich schon als Junge für Raumfahrt begeistert hat. Dann haben sie sich aber auf ihre Heimat besonnen: "Es kann nicht sein, dass überall auf der Welt etwas in dem Bereich passiert, nur in Europa nicht". Zumal vieles auf europäischer Technologie basiere.

Isar Aerospace will zunächst zwei Triebwerke entwickeln. Metzler hofft, bereits Ende des Jahres einen kleinen Motor testen zu können. Der soll dann eine Schubkraft von zwei Kilonewton haben, das sind 0,2 Tonnen. Eine Ariane 5 mit zwei Boostern und zwei Stufen hat einen Schub von knapp 12 000 Kilonewton. Ein zweites Triebwerk mit 40 Kilonewton soll in zwei Jahren fertig sein. "Unsere große Chance ist es, dass wir durch kommerziell verfügbare Motoren, die es bisher nicht gibt, den Markt vorantreiben und die Kosten senken können", sagt Metzler. Der weltweite Launchermarkt habe bereits ein Volumen von knapp sechs Milliarden Dollar und werde bis 2015 um 40 Prozent wachsen, schätzt er. "Einen riesengroßen Anteil werden die kleinen Trägerraketen ausmachen."

Praktische Erfahrung haben die Gründer ja bereits sammeln können. In der Studentenzeit haben sie viele Tests mit flüssigem Sauerstoff gemacht. "Volle Konzentration von neun bis 22 Uhr - da lernt man natürlich einiges", sagt Metzler. Dazu gehören auch die Sicherheitsvorkehrungen: "Im Umkreis von zehn Metern ist allein die Schallentwicklung tödlich". Zum Glück ist bisher nie etwas Größeres passiert. Gut möglich, dass das Team bald nach Lampoldshausen zurückkehren wird - als kommerzielle Anbieter von Triebwerken.

Zum dritten Mal zeichnet der Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung mit dem Start-up-Wettbewerb "Gipfelstürmer" die besten Gründer aus Deutschland aus. Die Ausschreibung läuft bis zum 31. August. Eine Jury aus Mitgliedern der SZ-Wirtschaftsredaktion wählt aus allen Bewerbern die sechs Finalisten aus. Diese dürfen im November am SZ-Wirtschaftsgipfel in Berlin teilnehmen und dort ihre Firma vorstellen. Die Teilnehmer des Gipfels küren den Sieger. Einzelheiten und Bewerbungen: www.sz-wirtschaftsgipfel.de/gipfelstuermer

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Quelle:
SZ vom 24.05.2018
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