Süddeutsche Zeitung

Gipfelstürmer:Der Bienen-Retter

Der Biotech-Unternehmer Stefan Hannus kämpft gegen die Varroa-Milbe. Doch er tut sich schwer, Partner zu finden.

Von Hans von der Hagen

Als sich Stefan Hannus auf seinem Balkon den weißen Imkeranzug überstreift, entschuldigt er sich vorsorglich: "Ich sehe gleich komisch aus. Aber es ist besser, wenn ich den trage, denn ich bin allergisch gegen Bienen". Lebensbedrohlich scheint die Allergie dann aber doch nicht zu sein: Auf Handschuhe verzichtet Hannus, als er sich einem hölzernen Kasten nähert. Es ist ein Bienenstock, der nicht nur Zehntausende Bienen beherbergt, sondern auch einige kleinere Tiere: Varroa-Milben. Hannus zieht den Boden aus dem Holzkasten, auf dem sich die Abfälle des Bienenstocks sammeln. Er ist weiß, um die Milben erkennen zu können: braune Pünktchen, kaum mehr als einen Millimeter groß. Jahr für Jahr raffen sie Millionen Bienen dahin - saugen die Bienenlarven aus und übertragen Viren, die Bienen verstümmeln. Die Pünktchen sind die Geißel der Imker - und für Hannus, der zwei Start-ups mit aufgebaut hat, womöglich ein neues Geschäftsfeld. Eines, von dem er zunächst dachte, es würde hervorragend zu einem seiner Biotech-Firmen passen. Nun ist er sich da aber nicht mehr sicher.

Konfrontiert wurde Hannus mit den Milben zufällig: Er schenkte seinem Vater zum Geburtstag eine Imkerausrüstung - und begann dann gleich selbst mit der Imkerei. Der Biochemiker hatte einst bei GPC Biotech gearbeitet, Anfang der 2000er Jahre eine der Ikonen der deutschen Biotech-Industrie. Doch GPC ging 2008 Pleite und Hannus gründete mit seinem früheren Chef das Start-up Intana. Fünf Jahre später folgte- dann mit seinem Bruder - ein weiteres Startup mit dem Namen Sitools. Es hat sich auf eine Technologie spezialisiert, mit der sich einzelne Gene ausschalten lassen. Aber nicht, indem im Erbgut selbst die Gene verändert werden, wie das heute mit der Genschere, der Crispr-Technik, gemacht wird, sondern mit Hilfe spezieller Moleküle, welche die in den Zellen erzeugten Abschriften des Erbguts löschen und damit wirkungslos machen.

Als Hannus am Boden seines Bienenstocks zum ersten Mal die braunen Pünktchen entdeckte, "war es schon komisch". Bis dahin hatte er von den Milben nur gelesen. Sind die Bienen infiziert, heißt es zählen: Sammeln sich pro Woche zehn Milben am Boden, ist es noch nicht so schlimm. Sind es aber eher zehn am Tag, muss ein Imker eingreifen. Es gibt einige Medikamente. Doch die müssten oft eingesetzt werden, um zu wirken, sagt Hannus. Zudem seien manche "brutal toxisch". Er fragte sich, ob vorhandene Therapien nicht verbessert werden könnten, durchforstete die Literatur, las von Hopfensäure und von Bienensaunen, mit deren Hilfe die Milben vielleicht auch erlegt werden könnten. Dann aber stolperte Hannus über einen Aufsatz von Wissenschaftlern aus Israel. Die rückten der Milbe mit der gleichen Technologie zu Leibe, mit der er bei Sitools arbeitete. Dummerweise funktionierte sie bei den Forschern nicht so wie erwartet. "Aber ich fand ihren Ansatz so gut, dass ich dachte: Das wäre phänomenal, wenn das funktionieren könnte." Hannus beschloss, die Methode zu verbessern. Unterstützung bekam er von einem Professor der Universität Hohenheim, der rund 200 Bienenvölker für Forschungszwecke hat. Er fütterte die Insekten mit den Molekülen von Hannus. Die Idee: Da die Milben wie Zecken an den Bienen sitzen und sie aussaugen, gehen die Moleküle in die Milben über und schalten dort bestimmte Gene aus. Nach drei Tagen seien alle Milben tot gewesen. Selbst der Professor sei beeindruckt gewesen, sagt Hannus. Immerhin habe es seit 30 Jahren keinen neuen Wirkstoff gegen die Varroamilbe mehr gegeben. Um herauszufinden, ob es tatsächlich die Moleküle waren, die den Milben so zusetzten, wurden die Bienen anschließend mit Molekülen gefüttert, die in Milben nichts anrichten konnten, weil sie auf das Genom von Quallen abgestimmt waren. Doch nach drei Tagen waren wieder alle Milben tot. Für Hannus war das ein Schock - offenbar waren gar nicht die Moleküle für den Tod der Tiere verantwortlich. Es dauerte Wochen, bis klar war, dass ein Stoff, der bei der Produktion der Moleküle verwendet worden war, den Tod der Milbe verursacht hatte: Lithiumchlorid, also ein Lithiumsalz - eine Kontamination als Medikament. "Es war ein gewaltiger Umweg, den wir gegangen sind", sagt Hannus. "Trotzdem war es ein Glücksgriff." Lithiumchlorid - da stecke keine Gentechnik dahinter und es sei "billig wie Viehsalz". Zudem sei Lithium überall in der Natur vorhanden.

Die Bayerische Forschungsstiftung gab Geld, Experimente mit den Hohenheimern folgten - dann war klar: Es könnte sich lohnen, Lithiumsalz für die Anwendung an Bienen patentieren zu lassen. Doch der Weg zur Zulassung als veterinärmedizinisches Medikament dürfte weitere drei bis fünf Millionen Euro verschlingen. Damit wächst das Vorhaben Hannus und der Firma Sitools, unter deren Dach das Projekt angesiedelt ist, über den Kopf. Nicht nur finanziell: "Ich habe noch nie zusammen mit Behörden veterinärmedizinische Studien gemacht, noch nie selbst ein Medikament auf den Markt gebracht", sagt Hannus. "Da fehlt mir das Know-how." Darum führt Hannus nun Gespräche mit möglichen Industriepartnern - und merkt dabei auch, wie die wirtschaftlichen Zwänge die wissenschaftliche Euphorie langsam zerreiben. Manche Gespräche verlaufen vielversprechend, andere weniger. Ist es problematisch, dass Lithiumsalz so billig ist wie Viehsalz ? "Ein solches Medikament wird nie wahnsinnig teuer werden", sagt Hannus. "Aber gerade deswegen glaube ich, dass sich kaum jemand die Mühe machen wird, die Wirkstoffe selbst zusammen zu rühren, nur um ein paar Euro zu sparen."

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SZ vom 20.09.2018
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