Süddeutsche Zeitung

Gipfelstürmer:Bauunternehmen für Start-ups

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Die junge Schweizer Firma Stryber gründet im Auftrag von Unternehmen, die Neues aufbauen wollen.

Von Katharina Kutsche, Hannover

Wer "schlüsselfertig" baut, erwartet ein Haus, das sofort bezogen werden kann. Insofern ist es schon etwas schräg, wenn Alexander Mahr sagt, er könne Start-ups schlüsselfertig liefern. Der CEO von Stryber hat 2016 einen sogenannten Corporate Venture Builder gegründet. Er will Firmen zu mehr Innovation verhelfen, indem er passende Start-ups neben deren eigentlichem Geschäft aufbaut. Diese sollen dann neue Ideen vorantreiben, Geschäftsmodelle, Prozesse - Dinge eben, die man nicht intern und mal eben nebenbei machen kann. "Ein großes Unternehmen ist nicht dafür ausgerichtet zu machen, was Start-ups machen: Es hat zu lange Entscheidungswege", so Mahr.

Stryber wurde in der Schweiz gegründet, hat seinen Sitz in Zürich und Standorte in München und Kiew, letzterer ist der Tech-Schwerpunkt. Mahr und Mitgründer Jan Sedlacek kennen sich seit 15 Jahren. Sie kommen aus der Gründerszene, genauso wie ihre 80 Mitarbeiter, die sie Stryborgs nennen. Mahr, 43, spricht das übliche Gründer-Denglisch: Unternehmen sind "Corporates", Erkenntnisse muss man "shapen". Er studierte Wirtschaftsinformatik und Finanzen, gründete selbst mehrmals, war Unternehmensberater bei Roland Berger und Innovationsmanager beim Telekom-Anbieter Swisscom.

In der Zeit habe er gelernt, wie Innovation in Unternehmen nicht funktioniert, so Mahr: "Dafür müsste man kurzfristig viel Aufmerksamkeit auf ein unsicheres Geschäft legen, das noch keinen Umsatz einbringt. Manager werden aber daran gemessen, ob das Kerngeschäft weiter jedes Jahr um ein paar Prozent wächst." Innovation könne auf drei Arten entstehen: im bestehenden Prozess, etwa durch neue Produkte und neue Techniken; durch Übernahmen und Zukäufe von anderen Firmen; durch eigene Gründungen. Für diese dritte Variante schaut das Stryber-Team gemeinsam mit den Entscheidern des Unternehmens auf Kennzahlen und Abläufe und überlegt, an welchen Stellen man ansetzen könnte. Wichtig ist dabei, welche Ziele der Kunde verfolgt: Will er etwa seinen Umsatz um eine bestimmte Größe steigern? In welche Trends und Technologien möchte er investieren?

Der Venture Builder greift auf eine Datenbank zu, in der zwischen 80 000 und 100 000 internationale Start-ups mit ihren Geschäftsmodellen erfasst sind. Diese Daten werden für eine Analyse genutzt, nicht zum Abkupfern. Aus den Produkten, an denen die jungen Firmen weltweit arbeiten, schließt Stryber, welche Kundenprobleme es gibt, die so gelöst werden - und dass Investoren bereit sind, dafür viel Geld auszugeben. Teil der Analyse sind aber auch die Rahmenbedingungen. Ein Handelsmodell etwa aus den USA - 320 Millionen Einwohner mit einer Amtssprache - passt wohl nicht zur Schweiz, wo 8,5 Millionen Menschen leben, die vier Sprachen sprechen.

Dieser Prozess kann drei bis neun Monate dauern, je nachdem wie komplex die Branche ist. Dann entwickelt das Team ein "minimum viable product" (MVP), also eine sehr einfache Mindestanforderung des Produkts. Ziel ist es, damit so schnell wie möglich an den Markt zu gehen, um Kundendaten und -feedback zu bekommen. Ist dieser Schritt erfolgreich - was nicht immer klappt, so Mahr - gründet Stryber ein Start-up für den Kunden und bestückt es mit Personal. Dieses Start-up kann dann eigenständig arbeiten und das MVP weiterentwickeln, als Tochtergesellschaft des Kunden. Die Mitarbeiter für die Neugründung werden gezielt gewonnen. Und manchmal sind es auch Stryborgs, die ins Profil passen, sagt Mahr: "Viele sind bei uns, weil sie gerade keine Idee, kein Geld oder kein Team für eine eigene Gründung haben."

Für die Migros-Gruppe, ein großes Schweizer Handelsunternehmen, untersuchte Stryber den Markt des digitalen Einkaufs. Bisher sind dessen Anteile gering, trotz des Trends zum Onlineshopping auch von Lebensmitteln. Das Team fand ein Beispiel, bei dem die Marktanteile höher waren, und analysierte, warum. Heraus kam, dass solch ein Modell dann erfolgreich ist, wenn der Mindestbestellwert niedrig und das Zeitfenster möglichst präzise ist. Die neu gegründete Migros-Tochter Miacar liefert nun mit einem Elektrovan auf einer festen Route Lebensmittel aus - ein Milchmannprinzip mit verlässlichen Zeiten und geringen Lieferkosten.

Mit Ausgründungen wie dieser endet auch die Arbeit von Stryber. Bezahlt wird nach Tagessätzen, am neuen Start-up hält das Team keine Anteile. Es ist damit auch fein raus, sollten Idee und Produkt scheitern. Mahr aber sagt, seine Kunden bevorzugten den befristeten Beratungsvertrag - aus seiner Sicht wäre eine Beteiligung durchaus wünschenswert.

Bisher hat das Team ein gutes Dutzend Start-ups für seine Kunden schlüsselfertig gebaut. Stryber ist profitabel, die Umsatzzahlen achtstellig. Der CEO möchte mit seinem Unternehmen der größte Venture Builder in Europa werden; Wettbewerber sind etwa die Venture-Ableger der Beratergesellschaften BCG und EY. Auf dem Markt sei aber genug Platz für alle, so der Gründer. Eine Herausforderung sei eher, dass vielen Unternehmen noch der Mut fehle: "Wenn man Innovationen anpackt, muss man damit rechnen, zu scheitern. Das gehört zur Kultur."

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SZ vom 03.06.2020
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