Gipfelstürmer:Auf dem Fahrersitz

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Der Unternehmer Henrik Thiele will mit seinem Start-up Qwello bundesweit ein Netz von nutzerfreundlichen Ladesäulen aufbauen.

Von Dieter Sürig, München

Wer sein Elektrofahrzeug an einer Ladesäule mit Strom betanken möchte, kann mittlerweile auf eine ganze Reihe Apps zurückgreifen: Je nach Anbieter kann sich der E-Autofahrer per Karte anzeigen lassen, wo sich Ladesäulen befinden, welche frei sind und wie er am schnellsten dort hinkommt. Manche bieten auch an, sich eine Säule reservieren zu können - damit der Weg dorthin nicht umsonst war. Wer Pech hat, kann die Ladesäule aber trotzdem nicht nutzen, weil sich dort ein Falschparker breit gemacht hat.

Dies ist einer der Punkte, an dem das Münchner Start-up Qwello ansetzt: "Wir wollen eine intuitive, nutzerfreundliche Ladesäule anbieten, die deutlich besser als andere ist", sagt Gründer Henrik Thiele. In diesem Fall hat Qwello Sensoren in seine Ladesäule verbaut, die erkennen können, ob dort ein Auto steht, das gar nicht lädt, sondern nur parkt. "Ladesäulen sind von Elektrizitätsversorgern gebaut worden, die diese 'Kühlschränke' als notwendiges Übel für den Verkauf von Strom ansehen", sagt er und bittet vor das Bürogebäude im Münchner Norden, um den Beweis anzutreten. "Wir haben Nutzer erst einmal gefragt, was sie nervt".

Neben dem Gehweg stehen zwei Ladesäulen der Stadt, die wegen der vielen Büros im Umfeld auch gerne genutzt werden. Für Stammkunden ist es kein Aufwand, sich dort per Ladekarte anzudocken. Spontankunden müssen jedoch eine App auf ihr Smartphone laden und erst einmal die übliche Anmeldeprozedur über sich ergehen lassen - Identität und Bezahlprozess. Wer jedoch oft mit seinem E-Auto unterwegs ist, dürfte wohl meist Spontankunde an irgendeiner Säule sein. Thiele wirbt nun dafür, dass seine Kunden nur eine Ladekarte oder App brauchen, die dann sowohl an Qwello-Ladestationen als auch an Ladesäulen von Partnerunternehmen funktionieren. Viele E-Autofahrer hätten drei, vier verschiedene Ladekarten in der Brieftasche - das gehe doch einfacher.

Hauptprodukt von Qwello sind jedoch eigene Ladesäulen, einige sind seit einigen Tagen in München im Testbetrieb. Qwello bietet den Service an, dass der Autofahrer auch ein passendes 11-Kilowatt-Ladekabel vorfindet. Er muss sein eigenes Kabel also nicht aus dem Kofferraum holen. Die Säule erkennt den Kunden bei der Ankunft über das Smartphone, innerhalb von Sekunden wird das Kabel freigeschaltet.

Wie ist Thiele überhaupt auf die Idee gekommen, dafür ein Start-up zu gründen? "Ich wollte mal wieder etwas Unternehmerisches machen und versuchen, etwas aufzubauen, was das Potenzial hat, richtig groß zu werden", sagt er. Und das Ladeinfrastrukturthema habe ein Riesenpotenzial, findet er. Der heute 52-Jährige hatte nach seinem Wirtschaftsstudium in München und London bereits in zwei Start-ups gearbeitet, eines mit gegründet. 2005 ging er dann in das Unternehmen Knorr-Bremse seines Vaters Heinz Hermann Thiele, wo er zuletzt für die Bahnsparte in Asien verantwortlich war. 2015 sollte er Vorstand bei Knorr-Bremse werden, verließ dann aber den Konzern - "aus persönlichen Gründen", hieß es damals.

Henrik Thiele hat diese Zeit hinter sich gelassen, "zu meinem Vater äußere ich mich in der Öffentlichkeit überhaupt nicht", sagt er. Nur, dass er sich in Großkonzernen nicht besonders wohl fühlt. "Wenn Sie dort unterwegs sind, dann ist da auch viel Politik im Spiel, insbesondere in Zentralen", sagt er. "Man macht viele Dinge, aber unternehmerisch handeln tut man nur am Rande". Und Knorr-Bremse sei da gar kein besonderes Negativbeispiel, fügt er hinzu. Nach einer einjährigen Auszeit heuerte er bei einer Investmentfirma an, bis er 2017 was Eigenes machen wollte: "Wenn Sie als Investor tätig sind, dann sind Sie bestenfalls auf dem Beifahrersitz, meistens auf dem Rücksitz und können die Geschicke eines Unternehmens nicht selbst in die Hand nehmen".

"Ich glaube, dass wir eine dekarbonisierte Wirtschaft brauchen."

Nun also entwickelt er mit 14 Mitarbeitern Ladesäulen, weil es auch etwas für ihn Sinnvolles ein sollte, wie er betont. "Wenn ich mit einer Verkaufsplattform für Schuhe ab Größe 47 wahnsinnig viel Geld verdienen könnte, dann würde mich das trotzdem nicht reizen", sagt er. Nun könne er einen Beitrag leisten, um die Klimaziele zu erreichen. "Das Schlimmste, was wir gerade unseren Kindern hinterlassen, ist diese halb zerstörte Welt. Ich glaube, dass wir eine dekarbonisierte Wirtschaft brauchen, und zwar sehr, sehr schnell". Eine der Schlüsselfaktoren sei dabei der Verkehr.

Und in den Ladesäulen sieht er großes Potenzial, weil mindestens die Hälfte aller künftigen E-Autofahrer keinen vernünftigen Zugang zu nicht-öffentlichen Ladesäulen habe. "Zu glauben, die können ihr Auto alle zuhause oder am Arbeitsplatz laden, ist völlig utopisch", sagt er. Dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft zufolge gibt es bundesweit knapp 17 800 öffentliche Ladesäulen.

Beispiel München: Dort sind es etwa 1100 Ladestationen. "Ich gehe davon aus, dass im Jahre 2030 in München 10 000 bis 15 000 öffentlich zugängliche Ladepunkte existieren", sagt Thiele, Qwello will dazu im großen Stil beitragen und beteiligt sich an Ausschreibungen, auch in anderen Großstädten. "Langsam setzt sich bei den Behörden die Erkenntnis durch, dass deutlich mehr getan werden muss", sagt Thiele.

(Foto: SZ)

Im Wettbewerb seien der Preis, der Ort der Ladestation und die Einfachheit der Bedienung entscheidend. Qwello will mittelfristig auch in andere europäische Länder gehen, über lokale Investoren gebe es bereits Gespräche mit Städten in Österreich, Italien, Frankreich und Spanien. "Wir brauchen Märkte, die nicht so weit fortgeschritten sind, wie die Niederlande oder Norwegen." Apropos Investoren: "Wir reden mit großen Infrastrukturfonds, um Unterstützung für die Finanzierung der Ladeinfrastruktur zu bekommen". Es gehe um größere zweistellige Millionenbeträge. Außerdem stehe gerade eine Finanzierungsrunde mit einem Volumen von zwei bis drei Millionen Euro an. Thiele hat nach eigenen Angaben einen niedrigen einstelligen Millionenbetrag investiert. Er und seine Mitarbeiter halten 94 Prozent an Qwello. Die Investoren werden wohl länger in Vorleistung gehen müssen, bevor nennenswerte Gewinne reinkommen. "Uns war schon bewusst, dass dies ein Markt ist, wofür man ein gewisses Durchhaltevermögen braucht", sagt Thiele.

Der Gründerwettbewerb Gipfelstürmer ist ein Projekt des Wirtschaftsgipfels der Süddeutschen Zeitung. Dieser findet 2020 als hybride Veranstaltung statt, also sowohl physisch als auch virtuell. Der Gründerwettbewerb muss in diesem Jahr pausieren, denn ein Finale in Berlin wie in den vergangenen Jahren kann es wegen der Corona-Pandemie nicht geben. Aber die Berichterstattung über Gründer und ihre Ideen geht weiter. Alle Beiträge hier.

© SZ vom 17.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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