Gipfelstürmer:Antriebe für den interstellaren Raum

Das Dresdner Start-up Morpheus entwickelt elektrische Mini-Triebwerke für Satelliten, die einst das Sonnensystem verlassen könnten.

Von Dieter Sürig

Gipfelstürmer: Je nach Anforderung und Größe kann Morpheus seine elektrischen Minitriebwerke gebündelt im Satelliten verbauen.

Je nach Anforderung und Größe kann Morpheus seine elektrischen Minitriebwerke gebündelt im Satelliten verbauen.

(Foto: oh)

Daniel Bock hält einen kleinen silbernen Zylinder vor die Webcam. In Zeiten von Corona können Produkte auch mal per Videokonferenz vorgeführt werden. Selbst wenn es sich um ein ausgewachsenes Triebwerk handelt, so ist es doch nur so groß wie das erste Glied eines Daumens, wie der Chef des Dresdner Start-ups Morpheus Space sagt. Er spricht vom weltweit kleinsten Triebwerk - für Satelliten wohlgemerkt - mit dem nüchternen Namen Nano FEEP. Das steht für "Field-emission electric propulsion" - ein Elektro-Triebwerk, das Morpheus bereits bei zwei Missionen testen konnte. Eine Rakete kann es nicht starten, dafür aber eine Kollision von Satelliten im All abwenden. Beim Einsatz eines Ein-Kilo-Forschungssatelliten der Uni Würzburg korrigierte der Antrieb im Juli die Bahn, um den Zusammenstoß mit einem amerikanischen Kommunikationssatelliten zu verhindern.

Die Dresdner haben aber schon vorher in der Branche Aufsehen erregt. Ein Mini-Triebwerk, das je nach Bündelung auch tonnenschwere Satelliten im All bewegen kann, und das den Treibstoff schon in sich hat, das hat es nach Angaben des Gründers bislang nicht gegeben. "Das große Problem bei Antrieben ist, dass sie sehr stark in das Design eingreifen", sagt Bock, 33. "Das schreckt viele Satellitenbetreiber davon ab, überhaupt Antriebe an Bord zu haben." Bisher waren Tanks, Zuleitungen, Ventile nötig, um das Triebwerk zu zünden. Das kostet Platz und Gewicht - und treibt so den Preis eines Starts ins All.

In dem Kleinst-Triebwerk befinden sich einige Gramm des Elements Gallium. Ein Metall, das mittels Solarenergie bei 30 Grad Celsius flüssig wird und dann den Schub für den Rückstoß des Ionenantriebs erzeugt, was den Satelliten bewegt. "Wenige Gramm Gallium reichen, um Triebwerke mehrere Jahre lang betreiben zu können", sagt Bock. Ein Kilogramm Gallium koste derzeit 200 Dollar, das Triebwerk könne mit weniger als einem Watt arbeiten, eine Energiesparlampe braucht sieben Watt - und Gallium sei nicht giftig. Wieso ist bislang niemand darauf gekommen? "Es kommt auf sehr viele kleine Details bei dieser Technologie an, welche in Summe zusammen funktionieren müssen", sagt Bock.

Die Nasa hat Interesse an der Technologie aus Dresden

Er hat mit einem Team fast zehn Jahre an der Uni Dresden an dem Antrieb getüftelt. Es folgten das Patent und die Ausgründung von Morpheus im Juni 2018. Neben der Grundversion bietet die Firma eine Einheit an, in der sieben Minitriebwerke gebündelt werden. Wie gesagt, die Kraft reicht nicht aus, um eine Rakete der Erdanziehungskraft zu entreißen. Solche Triebwerke sind aber auch interessant für die letzte Raketenstufe, um Satelliten in den Zielorbit befördern zu können.

Großes Interesse an der Dresdner Technologie hat die US-Raumfahrtbehörde Nasa, die mit der kalifornischen Aerospace Corporation die interstellare Mission Solar Gravity Lens plant: Mehrere Hundert Satelliten sollen sich außerhalb des Sonnensystems zu einem gigantischen Teleskop formieren, um damit mögliche Exoplaneten zu erforschen. Da die Satelliten bis zu zwei Jahrzehnte unterwegs sind, bis sie an ihren Einsatzort gelangen, ist die Gallium-Technologie nützlich, weil sie ohne Tanks auskommt, die lecken könnten. Die Satelliten müssen unbeschadet etwa 550 astronomische Einheiten überwinden, sagt Bock - also 550 mal die mittlere Entfernung zwischen Erde und Sonne. "Nasa und Aerospace Corporation erstellen gerade eine Liste mit Anforderungen, die dann im Labor getestet werden", sagt Mitgründer István Lőrincz, 33.

Ansonsten komme die Mehrheit der Kunden aus dem New-Space-Bereich, sagt er. "Wir streben nach solchen Kunden, weil New-Space-Firmen offener dafür sind, neue Technologien zu nutzen, um konkurrenzfähig zu sein." Dies sei der Hauptvorteil eines offenen Marktes. "Institutionen wie die Esa sind nicht unsere Hauptzielkunden, weil die Prozesse dort sehr langsam sind", ergänzt Bock. Die beiden Raumfahrtingenieure suchen Kunden, die große Konstellationen aufbauen, um eine Massenproduktion vorantreiben zu können.

China ist für das Unternehmen tabu

Das Schweizer Unternehmen Astrocast etwa plant eine Konstellation mit 80 Nanosatelliten für das Internet der Dinge. "Unternehmen wie Morpheus Space entwickeln neue Technologien, die Unternehmen wie Astrocast dabei helfen, mit gutem Beispiel bei der Nachhaltigkeit voranzugehen", so Astrocast-Chef Fabien Jordan. Zur Nachhaltigkeit gehört für Morpheus auch die Option, Satelliten zum Ende ihrer Lebenszeit zum Verglühen in die Atmosphäre zu lenken. "Wir decken mit unseren Triebwerken die gesamte Missionszeit ab, brauchen also kein Extrasystem, um den Satelliten zum Verglühen zu bringen", sagt Bock.

Morpheus hat Kunden in Nordamerika, Europa, Indien und Japan. China wollen die Gründer außen vor lassen, "aus politischen Gründen", wie Lőrincz sagt. "Das ist für mich persönlich wichtig, weil ich aus Osteuropa stamme und dort das Ende des Kommunismus erlebt habe." Bocks Familie lebte in der früheren DDR. "Wir wollen keinen Beitrag dazu leisten, ein diktatorisches Regime zu unterstützen", sagt er.

Bisher hat sich Morpheus auch mit Mitteln des Exist-Förderprogramms der Bundesregierung finanziert, nun hat das Start-up seine erste private Finanzierungsrunde abgeschlossen, in der vor allem US-Investoren vertreten sind. Die Höhe des Volumens bleibt vertraulich. Ein Konsortium unter Führung des Münchner Investors Vsquared Ventures vereint neben Airbus Ventures die US-Geldgeber Lavrock Ventures, Pallas Ventures und Techstars sowie die CIA-nahe In-Q-Tel. Zudem geht der frühere Marine-Minister und jetzige Pallas-Direktor Richard V.Spencer in den Morpheus-Verwaltungsrat. Herbert Mangesius, Gründungspartner bei Vsquared, freut sich über die Kooperation mit den Amerikanern. "Die USA als treibende Kraft hinter New Space ist von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, High-Tech-Konzepte auf den Markt zu bringen."

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(Foto: SZ)

Einen Umzug der Firma in die USA kann sich Bock nicht vorstellen. "Mit der Finanzrunde wollen wir die Massenproduktion in Dresden aufbauen." Und Morpheus will den Erdorbit noch zugänglicher machen: "Space-X hat bei Satellitenstarts den Kilogrammpreis signifikant reduziert, doch das ist erst der Anfang", sagt Bock. Um Satelliten-Netzwerke effizient nutzen zu können, will Morpheus eine Autopiloten-Software entwickeln, die das Navigieren und Steuern von Satelliten automatisieren soll. "Wir sind nicht nur ein Antriebs-Start-up", sagt er selbstbewusst.

Der Gründerwettbewerb Gipfelstürmer ist ein Projekt des Wirtschaftsgipfels der Süddeutschen Zeitung. Er findet in diesem Jahr virtuell und physisch statt. Der Gründerwettbewerb muss dabei pausieren, denn ein Finale in Berlin wie in den vergangenen Jahren kann es dieses Mal wegen der Corona-Pandemie nicht geben. Die Berichterstattung über Gründer und ihre Ideen geht weiter. Alle Beiträge unter https://www.sueddeutsche.de/thema/Gipfelstürmer

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