Gipfel in Cannes:G20 wollen Finanzsystem umbauen

Ein Gipfel, viele Fronten: Die G-20-Staaten haben sich in Cannes geeinigt, dem Treiben der Finanzmärkte nicht mehr untätig zuzusehen. Hedgefonds sollen stärker kontrolliert werden, Steuerzahler nicht mehr für die wichtigsten Banken zahlen und der IWF mehr Macht im Kampf gegen die Schuldenkrise bekommen.

Finanzmarktreform, Umbau der Großbanken, mehr Mittel für den Internationalen Währungsfonds (IWF): Die führenden Industrie- und Schwellenländer haben sich auf einen Aktionsplan für weltweites Wachstum geeinigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärt der Presse in Cannes, was für ein Erfolg der G-20-Gipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer ihrer Meinung nach war: "Sehr zufrieden sein kann man mit den Ergebnissen der Finanzmarktregulierung." Die Einigung im Überblick:

G20 Summit in Cannes

Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama verhandelten in Cannes - an einem Tag, an dem zumindest Europa eigentlich auf Athen schaut.

(Foto: dpa)

[] Schattenbanken: Um riskante Spekulationsgeschäfte einzudämmen, soll künftig der Bereich der sogenannten Schattenbanken überwacht werden. Dabei handelt es sich um Institutionen, die - wie einige Hedgefonds - im Prinzip wie Banken handeln, aber nicht genauso beaufsichtigt werden. Dafür wollen die G20 den Finanzstabilitätsrat FSB stärken.

[] Großbanken: Die G20 wollen, dass die weltweit größten Banken ihr Geschäfte sicherer machen. Diese 29 als systemrelevant eingestuften Banken sollen so umgebaut werden, dass Steuerzahler nicht mehr für Verluste aufkommen müssten, sagte Merkel. "Too big to fail" soll es nicht mehr geben, also staatliche Rettungsaktionen für die großen Institute. Diese sollen zusätzlich zu den geltenden Regeln noch einmal zwischen einem und 2,5 Prozent mehr Eigenkapital vorhalten - je nach Risikogehalt, Umfang und Struktur ihres Geschäfts. Bis Ende 2012 müssen die Großbanken einen Plan aufstellen, wie sie in einer existenzbedrohenden Krise ohne Schaden für das gesamte Finanzsystem wieder auf die Beine kommen oder abgewickelt werden können - also quasi ein "Testament" machen. Zu den betroffenen Finanzinstituten gehören laut Merkel die Deutsche Bank und die Commerzbank. Die Commerzbank hatte erst am Morgen einen dramatischen Quartalsverlust gemeldet. Der Grund ist, dass sie Griechenland-Anleihen in ihrem Besitz zu mehr als 50 Prozent abschreiben musste.

[] Finanztransaktionssteuer: Eine Nachricht dürfte Gegner liberalisierter Finanzmärkte besonders enttäuschen: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy scheiterte mit seinem Plan, eine globale Bankenabgabe auf Finanzgeschäfte einzuführen. Der Gastgeber will sich weiterhin für sie einsetzen: "Frankreich wird dafür kämpfen, dass diese Steuer Realität wird." Auch die deutsche Regierung befürwortet die Steuer.

[] Rolle des IWF: Merkel bestätigte auch, dass Italiens Wirtschaftsreformen künftig vom IWF überwacht werden. Das tat bisher nur die EU. Außerdem beschlossen die G20, dass der IWF neue, kurzfristige Kredite anbieten könne. Der IWF stützt die Staaten mit seinem Geld und seiner Glaubwürdigkeit: So sollten sich Regierungen vorbeugend schützen, damit die Schuldenkrise nicht auf sie übergreift und sie bei privaten Kreditgebern weiterhin als vertrauenswürdig gelten. Damit hat der Währungsfonds seine Rolle im Kampf gegen die Krise ausgeweitet. Außerdem sollen Länder künftig auch freiwillig ihre Einlagen beim IWF erhöhen können - möglicherweise in einem speziell dafür zu schaffenden Sondertopf. Sarkozy sagte, der IWF werde mehr Geld erhalten. Wie dies geschehen solle, würden die Finanzminister auf ihrer nächsten Sitzung im Februar entscheiden.

[] EFSF: Die beim EU-Gipfel vergangene Woche entschiedene Hebelung des Rettungsfonds EFSF für überschuldete Euro-Staaten kommt nur langsam voran. Unter anderem wollen Merkel, Sarkozy & Co. Anreize für Schwellenländer schaffen, den Krisenländern über den EFSF Geld zu leihen. Merkel sagte nun aber: "Es gibt hier eigentlich kaum Länder, die jetzt bereits gesagt haben, wir machen bei der EFSF mit. Länder wie China und Brasilien hatten aber ihre Hilfe in der Euro-Krise angeboten. Dennoch wollten sie feste Zusagen erst machen, wenn alle Unklarheiten über den EFSF und die europäischen Rettungspakete beseitigt sind.

Die Kanzlerin sagte, man sei sich auf G-20-Ebene einig, dass man Wachstum nicht nur durch Konjunkturprogramme, sondern vor allem durch Strukturreformen erreichen wolle. Dafür müssten protektionistische Schranken abgebaut werden, mit denen sich Staaten ihre Wirtschaftsräume gegen Konkurrenz abschotteten.

Kritik kam von Hilfsorganisationen: Ihrer Meinung nach habe sich das Treffen mehr mit den Problemen in der Euro-Zone als mit dem Hunger in der Welt beschäftigt. Die Schuldenkrise in Europa habe die Staats- und Regierungschefs der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer einige Tage lang so beschäftigt, "als ob es keine Ernährungskrise gäbe", erklärte Luc Lamprière von Oxfam Frankreich. Franck Gaye, ein Sprecher der Globalisierungsgegner, die parallel zum Gipfel in Nizza protestierten, bescheinigte den G-20-Teilnehmern: "Sie haben die Finanzmärkte beruhigt, aber die Völker versinken immer tiefer in der Wirtschaftskrise."

Jene Finanzmärkte reagierten kurzzeitig nervös nach Bekanntgabe der Beschlüsse zur Regulierung. Der Dax brach um mehr als zwei Prozent ein.

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