SZ-Wirtschaftsgipfel:Wenn heimliche Weltmarktführer plötzlich sichtbar werden

BERLIN: WIGI - Jubiläumsgipfel; SZ-Wirtschaftsgipfel Panel Mittelstand

Nur räumlich auf Distanz wegen Corona: Joachim Kuhn (von links), Eva van Pelt und Ralf Wintergerst.

(Foto: Johannes Simon)

Was genau macht eigentlich den deutschen Mittelstand aus? Zumindest eins scheint klar: Die Firmen definieren sich nicht über Zahlen, sondern über ein Gefühl und eine Haltung.

Von Elisabeth Dostert, Berlin

Was haben die drei auf der Bühne jetzt gemein? Sieht so der deutsche Mittelstand aus, das, was Politiker, Ökonomen, Lobbyisten und sie selbst als das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bezeichnen? Da ist der Physiker Joachim Kuhn, Mitgründer des Würzburger Unternehmens Va-Q-Tec, gegründet 2001, rund 100 Millionen Euro Umsatz, etwa 600 Mitarbeiter, börsennotiert, die Gründerfamilien halten zusammen noch etwa ein Viertel des Kapitals. Da ist die Diplom-Kauffrau Eva van Pelt, Co-Vorstandschefin des Hamburger Familienunternehmens Eppendorf, gegründet 1945, gut eine Milliarde Euro Umsatz, fast 5000 Mitarbeiter. Und da ist dann noch der Betriebswirt Ralf Wintergerst, Chef des Münchner Familienunternehmens Giesecke + Devrient, gegründet 1852, knapp 2,4 Milliarden Euro Umsatz und fast 12 000 Mitarbeiter weltweit.

Drei Firmen aus ganz unterschiedlichen Gründergenerationen mit unterschiedlichen Führungsmodellen. Bei Va-Q-Tec leitet noch ein Gründer die Firma, was für die erste Generation eines Unternehmens recht typisch ist. Van Pelt und Wintergerst sind reine Angestellte, Nachfahren der Gründer sitzen im Aufsichtsrat.

BERLIN: WIGI - Jubiläumsgipfel

Joachim Kuhn ist Mitgründer der Würzburger Firma Va-Q-Tec.

(Foto: Johannes Simon)

Va-Q-Tec und Eppendorf haben von der Pandemie profitiert, obwohl sie das Wort "profitieren" gar nicht so gern hören. Es waren Hidden Champions, die plötzlich sehr sichtbar wurden. Von diesen heimlichen Weltmarktführern gibt es in Deutschland besonders viele. Va-Q-Tec produziert und vermietet Thermoboxen und -container. In den Behältern werden unter anderem die Impfstoffe gegen das Coronavirus transportiert. "Bei uns geht es jetzt erst richtig los", sagt Kuhn: "Wir fangen jetzt an, die Impfstoffe an die Staaten zu verteilen, die bei der ersten Runde nicht dabei waren." Eine Milliarde Dosen Vakzine seien in den Behältnisse von Va-Q-Tec schon ausgeliefert worden. Erst neulich ging eine Box in die Solomon Islands. "Sie kam gut an", sagt Kuhn.

Alle drei Firmen sind weltweit unterwegs. Eppendorf stattet Labore aus, um Virustests auszuwerten, Medikamente und Impfstoffe zu entwickeln. "Wir sind das Unternehmen, das Wissenschaft beschleunigt", sagt van Pelt. Ohne die Geräte von Eppendorf hätten ihr zufolge die Impfstoffe nicht so schnell entwickelt werden können. Zu den Kunden zählt auch Biontech. Giesecke + Devrient druckt immer noch Banknoten, entwickelt digitale Währungen und liefert Sicherheitstechnik wie etwa Kryptoverfahren, mit denen Staaten, Firmen und Banken ihre Daten absichern können.

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Eva van Pelt vom Hamburger Laborausstatter Eppendorf.

(Foto: Johannes Simon)

Die gängigen, an Umsatz und Mitarbeiterzahl geknüpften Definitionen von Mittelstand haben alle drei längst gesprengt, so macht jeder von ihnen mehr als 50 Millionen Euro Umsatz. Mittelstand, so hören sich Kuhn, van Pelt und Wintergerst an, ist eher ein Gefühl und eine Haltung. Die Mitte der Wirtschaft ist wie die Mittelschicht als ihr gesellschaftliches Pendant ziemlich breit. Als Wintergerst 2016 zum Vorstandschef berufen wurde, gaben ihm die Gesellschafter den Auftrag: "Mach dieses Unternehmen enkelfähig." Die Technologien und die betriebswirtschaftlichen Zahlen müssen stimmen, wie in jeder Firma. Was den Mittelstand ausmacht, fasst der Manager in wenige Worte: der "langfristige, dauerhafte Charakter". Van Pelt und Kuhn nicken zustimmend. "Wir versuchen das große Ganze zu sehen", sagt der Va-Q-Tec-Chef.

Wichtiger als die nächsten ein, zwei Quartale sei es, die Zukunftsfähigkeit sicher zu stellen, sagt van Pelt. Sie kennt beide Welten, auch die der Konzerne, sie hat unter anderem für Siemens gearbeitet. Jetzt beim Familienunternehmen genieße sie die kurzen und schnellen Entscheidungswege, die vertrauensvolle Zusammenarbeit. Der Aufsichtsrat sei mehr als eine Kontrollinstanz. Man entwickle gemeinsam den Kurs der Firma, ohne dass sich die Gesellschafter in das operative Geschäft einmischen. In den Aufsichtsratssitzungen dürfen auch mal Mitarbeiter die Innovationen, an denen sie arbeiten, vorstellen.

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Gieseke + Devrient-Chef Ralf Wintergerst.

(Foto: Johannes Simon)

Wintergerst trifft sich manchmal mit jungen Mitarbeitenden. Er will wissen, ob sie sich bei Giesecke + Devrient wohlfühlen, wo es hakt, warum sie womöglich die Firma verlassen wollen? "Man kennt sich einfach noch in Unternehmen unserer Größe", sagt er. Man könne den Leuten eine Heimat bieten, die man in ganz großen Unternehmen oft nicht mehr finde. Das ist der Mittelstand.

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