Süddeutsche Zeitung

Gewinnspiele:Süchtig nach Glück

Lesezeit: 6 Min.

Anhänger von Gewinnspielen versuchen mit skurrilen Tricks, Preise am laufenden Band zu ergattern - zum Ärger der Unternehmen, die eigentlich neue Kunden suchen.

Reinhold Rühl

Kürzlich bei Kaufland machte Eva-Maria Stiller wieder einmal fette Beute. Nein, gestohlen hat die 47-jährige Hausfrau natürlich nichts. Die Plastikbox am Eingang der Fotoabteilung zog sie an, mit der Werbung für das Gewinnspiel eines Foto-Großlabors. Mit schnellem Griff schnappte sich die Chemnitzerin sämtliche Teilnahmekarten, schaute kurz nach links und rechts, ließ den Stapel in ihrer Handtasche verschwinden.

Solche Karten sind begehrt bei Gewinnspiel-Fans wie Eva-Maria Stiller. In Supermärkten und Fachgeschäften grasen sie Regale ab, sammeln bunte Werbekarten, wie andere Leute Bonuspunkte. Vor allem wenn attraktive Preise locken. Beim "Cewe-Color-Gewinnspiel" gibt es einen roten Smart Coupé, drei Kurztrips ins Disneyland Paris und vier Reisen zum Udo-Jürgens-Musical nach Hamburg zu gewinnen. Die ebenfalls verlosten Digitalkameras sind "ooch nischt zu verachten", sächselt Eva-Maria Stiller, packt ihre Beute auf den Schreibtisch und stürzt sich in der Dreizimmerwohnung am Rand von Chemnitz in die Arbeit.

"Mein Hobby artet schon manchmal in eine Sucht aus".

Zuerst zieht sie bunten Wellkarton aus einem Schrank, Format A4. Dann schreibt sie den Lösungsspruch auf die Rückseite der 64 Karten, die sie im Supermarkt ergattern konnte. Auf die Vorderseite klebt sie bunte Adress-Sticker mit fünf verschiedenen Namen: Mal in Gold, das ist ihre Farbe, mal in Blau, der Farbe ihres Mannes. Sohn Falk ist Grün, Tochter Nadja kupferfarben. Seit einigen Monaten hat auch der künftige Schwiegersohn einen roten Aufkleber. Die so präparierten Originalkarten klebt Eva-Maria Stiller paarweise auf jeweils einen Wellkarton, so dass Vorder- und Rückseite zu sehen sind. Dadurch kann sie zwar nur die Hälfte der Karten an den Veranstalter schicken. Aber das, so glaubt sie, "zahlt sich aus": Größere Karten mit griffigem Karton fielen auf und hätten bessere Chancen bei der Ziehung als die dünnen Originalkarten.

Locken interessante Preise, greift Stiller zu einer Zackenschere. Das Schneiderwerkzeug, mit dem sich Säume vor dem Ausfransen schützen lassen, ist ihre Wunderwaffe im Kampf um die Gewinne. Damit verziert sie die Ränder der Karten, die sie an die Veranstalter von Preisausschreiben verschickt. "Bei der Ziehung", hofft die Hausfrau, "spürt die Glücksfee die Spitzen." Solche Geheimtipps kursieren unter Gewinnspiel-Fans. Schließlich lassen sich mit Preisausschreiben, Verlosungen oder Zahlenrätseln Sachpreise im Wert von fünfstelligen Summen gewinnen - Fortunas Hilfe vorausgesetzt. Anders als beim Zahlenlotto kostet eine Teilnahme lediglich das Porto. Und immer häufiger ist dies sogar ohne Kosten möglich: Veranstalter bieten verstärkt Gewinnspiele im Internet an. So listet das Online-Portal www.gewinnspiele.com jeden Tag zwischen 30 und 50 neue Gewinnspiele auf - im vergangenen Jahr waren es in Deutschland knapp 10.000. Viele davon laufen nur im Internet, Tendenz steigend. Bis zu 350.000 Nutzer klicken pro Monat das Portal an.

Eva-Maria Stiller bevorzugt den Postversand. Mit ihren gezackten Karten wurde sie eine der erfolgreichsten Gewinnspielerinnen Deutschlands. Die Gewinnspiel-Postille Veras Glücks-Ratgeber kürte sie gar zu "Sachsens Gewinnspiel-Königin". Seit die gelernte Sekretärin nach der Wende ihren Job verlor, findet sie fast jede Woche im Briefkasten eine Gewinnmitteilung. "Herzlichen Glückwunsch", schrieb ihr eben erst eine Firma aus Thüringen. "Sie haben ein Schokoladen-Verwöhnpaket gewonnen." Über solche Gimmicks freut sich Stiller nur noch verhalten. Sie hat schon fast alles bekommen, wovon Gewinnspiel-Fans nur träumen: 935 Sachpreise, darunter sechs Fahrräder, fünf Fernsehgeräte, einen sprechenden Globus, ein Gummiboot, Reisen nach Rom, Paris und Istanbul. Ihren bisher größten Coup landete sie vor zehn Jahren: ein roter Opel Corsa.

Professionelle Gewinnspieler müssen sich ihr Glück hart erarbeiten

Stiller führt akribisch Buch über ihre Gewinne - schließlich war sie früher Chefsekretärin der Bezirksrevisionskommission. Auf genau 89.462 Euro summieren sich Preise, Schecks und Warengutscheine. Den genauen Wert fragt sie immer bei den Unternehmen nach. Trostpreise unter zehn Euro ignoriert sie in ihrem bunt bestickten Buch der Gewinne. Was sie davon nicht braucht oder mag, verkauft oder verschenkt sie. Etwa den Strandkorb, zu breit für den Balkon im Plattenbau. Sie fand eine Pension auf Rügen, die das gute Stück eher nutzen konnte. Stillers packten den Strandkorb kurzerhand aufs Autodach, fuhren an die Ostsee, machten dort zu einem vergünstigten Preis Urlaub.

Besonders am Ende des Monats, wenn für 80 Prozent der Gewinnspiele die Einsendefrist abläuft. Dann sitzt Eva-Maria Stiller oft bis in die frühen Morgenstunden an ihrem Schreibtisch, stempelt und beschreibt die Teilnahmekarten. Ihr Hobby artet dann "richtig in Stress aus", stöhnt die Hausfrau. Und teuer ist es außerdem: 500 bis 1000 Einsendungen bringt sie jeden Monat zum Briefkasten, manche portosparend in Sammelumschlägen. Glücklicherweise ist es von Chemnitz nicht weit bis nach Tschechien. Deshalb fahren die Stillers einmal pro Monat mit einer großen Tüte über die Grenze, stopfen bündelweise Karten in die Briefkästen von Chomutov. Die tschechische Post befördert die Karten für knapp die Hälfte des deutschen Portos. Im Schnitt gibt die Familie pro Monat im Durchschnitt etwa 100 Euro für ihre Massenpost aus. Das summiert sich seit Beginn ihrer Gewinnspiel-Karriere auf mehr als 10.000 Euro.

Selbstgebastelte Karten wie die von Eva-Maria Stiller landen zum Beispiel auf dem Konferenztisch der Redaktion von Prinz in Hamburg. Besser gesagt: Sie landeten. Das Lifestyle-Magazin bietet seinen Lesern seit Ende 2007 nur noch Online-Gewinnspiele an. Das entlastet auch die Redaktion, die mit zahlreichen Partnerfirmen pro Ausgabe bis zu 20 Gewinnspiele veranstaltet. Ein Zufallsgenerator zieht jetzt flugs die Gewinner per Excel-Liste. Noch im Oktober kam säckeweise Post. Die meisten Einsender gaben sich viel Mühe. Eine Familie schickte den Teilnahmeschein per Flaschenpost, andere bestickten Stoffuntersetzer aufwendig mit Glückssymbolen, hofften auf einen Traumpreis wie zum Beispiel "die wunderschöne Ägyptenreise". Auf dem Kartenberg landeten Plastik-Latschen mit aufgeklebter Briefmarke, laminierte Kunstwerke im Großformat, aber auch "umhäkelte Scheußlichkeiten", so Prinz-Chefredakteur Rainer Thide. Die sonderbarste Einsendung kam bei der Verlosung einer Schönheitsoperation: Der Gipsabdruck eines anscheinend korrekturbedürftigen Busens sollte die Gewinn-Wahrscheinlichkeit der Teilnehmerin steigern. In diesem Fall vergeblich. Prinz-Glücksfee Natalie Milantchi lässt sich mit verbundenen Augen von bizarren Formaten kaum beeindrucken: "Ich greife einfach zu, ziehe eine Karte."

In jeder Segmüller-Filiale werden Autos verlost

Im November vergangenen Jahres fischte die 25-Jährige die Karte von Thomas Ölschläger heraus. 3000 Prinz-Leser hatten sich an einem Spiel beteiligt, bei dem es einen Luxustrip nach Österreich zu gewinnen gab. Gerade mal zwei schmucklose Karten hatte der 40-Jährige geschickt. Die Gewinnspiele der Zeitschrift gelten unter Gewinnspiel-Fans als höchst effizient. "Da ist die Chance auf einen Hauptgewinn wesentlich höher", vermutet Ölschläger. Wer sich auskennt, sucht ohnehin nach Gewinnspielen, an denen nicht Hinz und Kunz teilnehmen. Noch besser sei die Trefferquote bei Kreativ-Gewinnspielen. Nicht jeder macht sich die Mühe, witzige Fotos oder eigenwillige Rezepte einzusenden.

Ölschläger hat da Erfahrung. Seit 1991 macht der Chemikant aus Frankfurt Jagd auf Gewinne. Seine Erfolgsbilanz hat er im Internet auf der Seite "gewinnspiele-info.de" veröffentlicht. 680-mal beglückte ihn Fortuna: Ölschläger war gratis in Brasilien, auf Kreuzfahrt in der Karibik, machte Abenteuerurlaub auf Tahiti. Und freut sich über viele penibel aufgelistete Kleingewinne. Was dem Glückspilz noch fehlt, ist ein Auto.Das könnte Ölschläger jetzt mit Hilfe der Firma Segmüller gewinnen. Elf Autos hat das in Süddeutschland angesiedelte Möbelhaus kürzlich ausgelobt. Ein Luxusmodell von Mercedes und zehn Kleinwagen im Gesamtwert von mehr als 145.000 Euro. Dazu müsste Ölschläger allerdings eine der acht Filialen ansteuern. Teilnahmekarten gibt's nur auf dem Gelände des Möbelhauses. Aus gutem Grund, sagt Werbechef Reinhold Gütebier. "Wir wollen schließlich Frequenz im Haus generieren und nicht bei Gewinnspiel-Profis." Diese sind anscheinend auch beim Konkurrenten Höffner nicht gern gesehen. Der akzeptiert bei der Verlosung von Preisen im Wert von 50.000 Euro nur eine Karte pro Person.

Professionelle Glücksjäger lassen sich durch solche Regeln nicht erschüttern. Sie vertrauen auf die Mathematik. So liegt die Chance, beim deutschen Lotto den Jackpot zu knacken und Millionär zu werden, bei eins zu 140 Millionen. Die Gewinnwahrscheinlichkeit bei Preisausschreiben ist auch bei nur einer verschickten Karte wesentlich höher. Der Trick mit der Zackenschere ist unter den Profis aber längst bekannt. Beim Süßwarenhersteller Haribo können sich bei einem Gewinnspiel 800.000Einsendungen stapeln - ein Drittel davon gezackt. Nicht immer geht es bei Verlosungen mit rechten Dingen zu. Das zumindest vermuteten Mitglieder der Webseite "gewinn-portal.de", die bei einem interaktiven Gewinnspiel vor gut einem Jahr eine merkwürdige Häufung von Glückspilzen im Raum Köln beobachteten. Es ging um Autos, Motorroller und Fernseher, auf die auch Teilnehmer aus anderen Regionen Deutschlands hofften. Nach Medienberichten musste der Geschäftsführer der beauftragten Agentur eingestehen, dass man mit den wertvollen Gewinnen Freunde und Bekannte bedacht habe.

Auch bei der RTL-Sendung "Deutschland sucht den Superstar" brodelte vor wenigen Tagen die Gerüchteküche: Ausgerechnet die Mutter von Jury-Scharfrichter Dieter Bohlen gewann bei der Zuschauerquizfrage 10.000 Euro. "War es Zufall oder nicht?", fragte Bild. RTL wiegelte ab, verwies auf den Zufallsgenerator, der die 73-Jährige aus 150.000 Anrufern ausgewählt hätte.

Kaum eine Rolle spielte in den Berichten die Tatsache, dass jeder der Gewinnsüchtigen mit 50 Cent zur Kasse gebeten wurde. Macht zusammen 75.000 Euro. Weil die Teilnehmer solcher Mehrwert-Dienste immer häufiger die Gewinne selbst finanzieren, greift Eva-Maria Stiller nur noch selten zum Telefon. Sie vertraut ihre Karten lieber weiter der Post an. Ihre Zackenschere setzt Sachsens Gewinnspiel-Königin jedoch nur noch selten ein. Das liegt am Anruf der Glücksfee eines Veranstalters, die sich über die gezackten Karten beklagte. Sie hatte sich bei der Ziehung am Finger verletzt.

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SZ vom 01.03.08/sme
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