Süddeutsche Zeitung

Gewerkschaftsnahe Studie:Reiche sind viel vermögender als gedacht

Lesezeit: 2 min

Von Bastian Brinkmann

Neue Studie zur Ungleichheit

Deutschland wird ungerechter - zu diesem Schluss kommen Ökonomen des Forschungsinstituts IMK, das zur gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gehört. Das Ergebnis ist interessant, weil bislang der Wert der Ungleichheit in Deutschland zwar als relativ hoch galt - aber als konstant.

Bisher galt: Ungleichheit zwischen 2002 und 2012 praktisch unverändert

Statistiker messen mit dem sogenannten Gini-Koeffizient, wie Vermögen verteilt sind. Er liegt in Deutschland bei 0,78. Bei 0 besitzen alle Menschen gleich viel, bei 1 besitzt ein Einzelner alles und der Rest nichts. Mit 0,78 für das Jahr 2012 hat Deutschland in der Euro-Zone die größte Vermögensungleichheit. Die Zahl berechnen Ökonomen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, kurz DIW. Für 2002 kommen die DIW-Forscher auf einen Gini-Koeffizienten von 0,776. Der Unterschied zu 2012 liegt im praktisch nicht messbaren Bereich. Die Ungleichheit ist demnach also konstant hoch.

Neue Berechnung zeigt: Ungleichheit nimmt deutlich zu

Die Böckler-Ökonomen kommen nun zu einem ganz anderen Ergebnis ( PDF). Sie kombinieren die Daten des DIW mit weiteren Zahlen des Statistischen Bundesamts. Damit schätzen sie, dass das reichste Prozent aller Haushalte in Deutschland im Schnitt ein Vermögen von mindestens 1,4 Millionen Euro pro Kopf besitzt, alle Schulden schon abgezogen. Um auf diese Summe zu kommen, müsste den Berechnungen zufolge ein durchschnittlicher Arbeiter 80 Jahre lang tätig sein. Die Werte gelten für 2012. Für das Jahr 2002 kommen die Forscher auf deutlich weniger Ungleichheit. Damals betrug das Vermögen der reichsten zehn Prozent das 50-Fache des Jahreseinkommens eines mittleren Verdieners.

Vermögensschätzungen sind immer unsicher

Die unterschiedlichen Ergebnisse lassen sich dadurch erklären, dass Reichtum schwer messbar ist. Das DIW berechnet den Gini-Koeffizient aufgrund des sozioökonomischen Panels. Das ist eine große Umfrage, in der mehr als zehntausend Haushalte regelmäßig berichten, wie viel Geld sie verdienen und besitzen. Im Panel tauchen aber vor allem Superreiche praktisch nicht auf. Das Problem ist Ökonomen lange bekannt und trotzdem kaum zu beheben. Denn es gibt nur relativ wenige Milliardäre - und die sind meistens öffentlichkeitsscheu, um Neider und Kriminelle nicht auf sich aufmerksam zu machen. Weil es keine Vermögensteuer gibt, sind auch staatliche Daten löchrig. Die Ökonomen des Böckler-Instituts nähern sich nun mit einem technischen Trick der tatsächlichen Vermögensverteilung, indem sie Informationen aus der sogenannten gesamtwirtschaftlichen Vermögensbilanz des Statistischen Bundesamts mit dem sozioökonomischen Panel kombinieren. Doch auch die so gewonnenen Ergebnisse, fürchten die Forscher, könnten die wirkliche Ungleichheit noch unterschätzen.

Linktipps

  • Warum sind Vermögen in Deutschland ungleich verteilt? Antwort der SZ-Redaktion auf eine Leserfrage.
  • Weltweit läuft eine Debatte über Ungleichheit, angestoßen auch vom französischen Ökonomen Thomas Piketty. Hier ein Interview mit ihm.
  • Sogar Bill Gates forderte vor kurzem höhere Konsumsteuern für Reiche.
  • Die Rente dämpft die Ungleichheit: Der Gini-Koeffizient von 0,78 enthält nicht die Rentenansprüche, die aber für viele Menschen im Alter viel Einkommen ausmachen. Die FAZ fasst die entsprechenden Berechnungen zusammen.

*Anmerkung der Redaktion: An dieser Stelle hieß es in einer früheren Version, dass die reichsten zehn Prozent in Deutschland über ein durchschnittliches Vermögen von rund 1,4 Millionen Euro pro Kopf verfügen. Das ist nicht korrekt, die Böckler-Stiftung hat ihre Daten nach der Veröffentlichung der Studie korrigiert. Richtig ist: Das oberste Prozent besaß im Jahr 2012 ein Nettovermögen von mindestens 1,4 Millionen Euro pro Kopf.

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