Gewerkschaften:Tarifstreit - die Zeit der Argumente ist vorbei

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  • Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes mit den Vertretern von Bund und Kommunen stehen kurz bevor.
  • Der Tarifstreit dürfte in diesem Jahr heftiger werden als üblich.

Analyse von Detlef Esslinger

Natürlich brauchen Tarifrunden immer auch einen fachlichen Teil. In dem geht es um die Entwicklung von Produktivität, Lohnstückkosten und Inflationsrate sowie viele andere Dinge, für die es schöne Begriffe aus dem ökonomischen Seminar gibt. Doch am Ende sagen die alle nicht allzu viel. Denn am Ende gilt ein Satz: "Argumente interessieren kein Schwein."

Michael Brecht, Vorsitzender des Konzernbetriebsrats von Daimler, hat den Satz vor ein paar Tagen auf einer Kundgebung der IG Metall gesagt - und wer ihn so auslegt, als gingen der Gewerkschaft allmählich die Argumente aus, der hat das Wesen von Tarifverhandlungen nicht begriffen. Denn Argumente sind nur etwas für deren frühe Phase; wenn man die eigene Klientel mobilisieren und die Öffentlichkeit für sich einnehmen will. Aber diese Phase geht spätestens am Donnerstag zu Ende.

An dem Tag, um 24 Uhr, endet die Friedenspflicht in der Metall- und Elektroindustrie. Und an dem Tag treffen sich die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes - Verdi, Beamtenbund, GEW sowie Gewerkschaft der Polizei - mit den Vertretern von Bund und Kommunen zur dritten, entscheidenden Verhandlungsrunde. Die Hotelzimmer in Potsdam sind bis Samstag gebucht, bis dahin soll eine Einigung her. Für sechs Millionen Arbeitnehmer werden also die Löhne ermittelt. Kein Unterhändler will in dieser Phase mehr Argumente hören. Jetzt ist gefragt: Teppichhandel auf der Basis von Drohgebärden.

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Um nichts anderes als Drohgebärden handelt es sich bei den Warnstreiks, zu denen Verdi & Co. in den vergangenen Tagen aufgerufen haben und zu denen die IG Metall von Freitag an aufrufen wird. Damit führen Gewerkschaften den Arbeitgebern vor, zur Mobilisierung welcher Kräfte sie imstande wären, sollten jene meinen, ihnen einen billigen Abschluss zumuten zu können. In den Worten von Michael Brecht, dem Betriebsrat: "Entscheidend wird am Ende sein, welche Macht wir entfalten können."

Ein Tarifergebnis wird bestimmt von Kalkül; zumindest dann, wenn Arbeitgeber auf starke Gewerkschaften treffen (wie es beim Bund, den Kommunen sowie der Metallindustrie der Fall ist). Das Kalkül der Gewerkschaften geht so: Könnten wir einen Streik - einen richtigen, nicht bloß einen Warnstreik - durchhalten; ziehen die Mitglieder mit? Das Kalkül der Arbeitgeber ist: Welcher Schaden wäre größer, der durch einen richtigen Streik oder der durch einen teuren Tarifabschluss? Bei Bund und Kommunen dürfte es spätestens zum Wochenende ein Ergebnis geben.

Wenn Verdi-Chef Frank Bsirske sagt, er "wolle" in dieser dritten Runde ein Gesamtpaket schnüren, so findet in diesem Verb nach der im Tarifgeschäft gültigen Zeichensprache nicht bloß eine Hoffnung ihren Ausdruck, sondern eine Prognose. Sechs Prozent für ein Jahr fordern die Gewerkschaften, drei Prozent für zwei Jahre bieten die Arbeitgeber. Darüber hinaus sind Entgeltordnung und Betriebsrenten neu zu regeln - da bieten sich für die Teppichhändler genug Chancen, dass der eine hier und der andere dort etwas mehr nachgibt. Und am Ende hat Bsirske sein Paket.

Die Metall-Arbeitgeber offerieren so wenig wie nie - weil die Inflation so niedrig ist

Schwieriger wird es in der Metallindustrie. Die letzten Male haben die Arbeitgeber aus Angst vor Streiks jeweils Lohnerhöhungen zugestimmt, die ihnen eigentlich zu hoch waren. Vor allem mit den 3,4 Prozent von 2015 hadern viele bis heute. Die IG Metall nimmt für sich in Anspruch, diesmal den Betrieben so wenig zumuten zu wollen wie seit Jahren nicht. Mit der Forderung von fünf Prozent habe sie doch "ein Zeichen gesetzt", sagte ihr Chef Jörg Hofmann soeben der Südwest-Presse; 2015 verlangte sie noch ein halbes Prozent mehr, plus eine neue Bildungs- und eine erneuerte Altersteilzeit. Die Arbeitgeber hingegen wollen es aber nicht nur ein halbes Prozent billiger haben. Sie möchten Schluss machen mit den jährlichen Lohnsprüngen. In der Argumente-Phase wiesen sie auf die Inflation von derzeit 0,3 Prozent hin, um zu sagen: Ein Hopser reicht diesmal auch - die Arbeitnehmer hätten trotzdem ein Reallohn-Plus, die Firmen aber weniger zusätzliche Kosten. Also boten sie 0,9 Prozent an, so wenig wie nie.

"Wir müssen an unsere Mitglieder denken", sagt Oliver Zander, der Hauptgeschäftsführer ihres Verbandes Gesamtmetall, der Süddeutschen Zeitung. "Und bei denen ist unser Angebot gut angekommen." Am Donnerstag treffen sich in fast allen IG-Metall-Bezirken wieder die Unterhändler beider Seiten. Die Teppichhändler-Phase wird da noch nicht einmal beginnen. "Ich bin gespannt, was uns die Arbeitgeber bieten werden", sagt IG-Metall-Chef Hofmann. "Planungssicherheit ist immer ein sehr wichtiger Punkt", sagt Zander von Gesamtmetall.

Zwei klare Fälle von Zeichensprache: Die Gewerkschaft tut zumindest so, als werde sie es noch nicht sein, die ihrem Gegenüber entgegenkommt. Und die Arbeitgeber? Mit "Planungssicherheit" meinen sie stets dasselbe: Sie wollen eine längere Laufzeit als die geforderten zwölf Monate; im Gegenzug wären sie bereit, noch mal übers Geld reden. Aber nur dann.

© SZ vom 27.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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