Süddeutsche Zeitung

Tarifrunden:Höhere Löhne müssen sein

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Wegen der Teuerung fordern Gewerkschafter zu Recht starke Lohnerhöhungen. Die Angst, sie könnten damit die Inflation weiter anheizen, ist unbegründet.

Kommentar von Benedikt Peters

Man könnte meinen, diese Zeiten seien wie gemacht für Gewerkschafter. Die Lebensmittel- und Energiepreise steigen seit Monaten, mit Putins Überfall auf die Ukraine klettert die Inflation so hoch wie lange nicht. Die Arbeitnehmervertreter könnten sich nun profilieren als Anwälte der Klein- und Mittelverdiener, die in den Tarifrunden höhere Löhne durchsetzen - und so ihre Leute vor den Wirren von Krieg und Inflation schützen. Nur leider: So einfach ist es nicht.

Der Ukraine-Krieg hat nicht nur Politikstrategen kalt erwischt, sondern auch die Gewerkschafter. Die gerade ergebnislos vertagten Tarifverhandlungen für die etwa 680 000 Beschäftigten in der Chemie- und Pharmaindustrie zeigen das: Monatelang hatte sich die zuständige Gewerkschaft IG BCE vorbereitet, ihre Forderung nach mehr Lohn klang selbstbewusst. Angesichts der Inflation werde man "bei der prozentualen Erhöhung in eine Dimension kommen, wie wir sie in den vergangenen Jahren nicht erlebt haben", erklärte ihr Verhandlungsführer am 22. Februar.

Zwei Tage später begann der Krieg, und seitdem ist alles anders: Jetzt ist nur noch von einer "Brückenlösung" die Rede, die Gewerkschaft und Arbeitgeber gemeinsam vereinbaren wollen. Die Arbeitgeber scheinen bisher kaum zu Zugeständnissen bereit zu sein, und sie haben Argumente, die man ernst nehmen sollte - schon, weil sie in den nächsten Monaten noch häufiger zu hören sein werden. Im Herbst stehen die beiden größten Tarifrunden überhaupt an. In der Metall- und Elektroindustrie und im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen geht es dann um die Gehälter von gut sieben Millionen Beschäftigten.

Das wirtschaftliche Kernargument gegen kräftige Lohnerhöhungen, die zumindest annähernd die Inflation ausgleichen könnten, ist das einer drohenden "Lohn-Preis-Spirale", man kennt sie zum Beispiel aus den 1970er-Jahren: Infolge der Ölkrise setzen die damals noch sehr starken Gewerkschaften mit ihrer geballten Verhandlungsmacht zum Teil zweistellige Lohnabschlüsse durch. Dadurch stiegen die Kosten in den Betrieben, die ihre Preise weiter erhöhten, woraufhin die Gewerkschaften wiederum höhere Löhne verlangten, und so fort. Die Inflation wurde immer weiter angeheizt, am Ende schadete das Firmen wie Beschäftigten: Die Kaufkraft sank, die Arbeitslosigkeit stieg.

Aber drohen nun wirklich wieder solche Zustände? Mit letzter Sicherheit lässt sich das nicht beantworten, und doch: Eine Lohn-Preis-Spirale ist ziemlich unwahrscheinlich, aus drei Gründen. Erstens: Die Gewerkschaften haben seit den 1970ern nicht nur an Kraft verloren, sie haben auch hinzugelernt. Die aktuellen Forderungen sind eben nicht zweistellig, sondern lauten auf einen Inflationsausgleich, der schon bei fünf bis sieben Prozent erreicht wäre. Zweitens sind die Lohnkosten bei Weitem nicht der größte Posten bei den Unternehmen, in der Chemie liegen sie bei 13, in der Industrie insgesamt bei 16 Prozent. Der Druck, moderat höhere Löhne in Form von Preissteigerungen an die Verbraucher zurückzugeben, ist also nicht ganz so hoch.

Drittens, und am wichtigsten: Einzelne Lohnforderungen zu einem bestimmten Zeitpunkt ergeben noch keine Spirale. Die baut sich über drei, vier, fünf Jahre auf, darauf verweisen derzeit führende Ökonomen. Entscheidend ist nicht, ob die Gewerkschaften jetzt einen hohen Abschluss durchsetzen. Sondern dass dies nicht zur Regel wird und die Arbeitnehmervertreter in den nächsten Jahren wieder niedrigere Abschlüsse akzeptieren.

Gute Gründe für etwas mehr Geld gibt es derzeit allemal. Die Löhne sind in den letzten Jahren nur schwach gestiegen, auch deshalb reißt die Inflation jetzt so große Löcher in die Geldbeutel. Viele Unternehmen stehen trotz Krise und Unsicherheit noch immer sehr gut da, gerade in der Chemie. Außerdem: Die Arbeitgeber betonen gerne die funktionierende "Sozialpartnerschaft" in Deutschland - gemeint ist damit die Fähigkeit, zusammen mit den Gewerkschaften und ohne staatliche Einmischung für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen. Nun können sie beweisen, dass das auch in Kriegs- und Krisenzeiten gilt - indem sie Entlastungen für ihre Beschäftigten nicht allein auf die Politik abwälzen.

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