Gewerkschaft:So nicht!

An employee of German car producer Daimler AG takes part in a warning strike by metal workers' union IG Metall in front of the Mercedes-Benz plant in Duesseldorf

Jobs in der Autoindustrie sollen umgestaltet und Mitarbeiter für neue Aufgaben qualifiziert werden, fordern Arbeitnehmervertreter.

(Foto: Ina Fassbender/Reuters)

Die IG Metall legt eigene Umbaupläne für die Autobranche vor, um möglichst viele Jobs zu retten.

Von Markus Balser, Max Hägler, Berlin/Stuttgart

Es sind kämpferische Worte, die in Leuchtschrift an den Fenstern prangen: "Freiheit" und "Anerkennung" steht da. Das, was die im Grunde so mächtige Gewerkschaft IG Metall zu erreichen sucht, für sich, für ihre Mitglieder. Doch an diesem Dienstag macht hier in der neuen Hauptstadtzentrale ein ganz anderes Wort die Runde: Angst.

Am Freitag war klar geworden, wie dramatisch die Lage für Volkswagen ist. Der Wolfsburger Konzern kündigte den Abbau von bis zu 23 000 VW-Stellen allein in Deutschland an. Doch die IG Metall hält das ganz offenkundig nur für den Einstieg in einen noch dramatischeren Umbau.

Elektroautos und noch mehr Roboter in den Fabriken: Das wird viele Jobs kosten

Etwa 880 000 Menschen arbeiten in der Fahrzeugindustrie. Noch. Denn bei der IG Metall ahnt man, dass VW nur der Anfang ist. Mehr Klimaschutz im Verkehr, mehr Digitalisierung und Roboter in den Fabriken, ganz neue Antriebstechniken: Die Autoindustrie stehe vor einer beispiellosen Transformation, sagt IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. "250 000 Menschen sind in Deutschland mit der Produktion von Antrieben beschäftigt", sagt Hofmann. Aber es sind immer weniger sanft schaltende Getriebe und ausgefuchste Verbrennermotoren nötig, wenn die Pläne der Bundesregierung in Sachen Elektromobilität real werden. Und neue Jobs sind rar: Elektromotoren sind weit simpler zu fertigen, als Benzinaggregate. Das zeige: Der Wandel ist eine "Riesen-Herausforderung". In der Hauptstadt wollen Hofmann und die beiden einflussreichsten Betriebsratschefs der Branche, Bernd Osterloh (VW) und Michael Brecht (Daimler), an diesem Morgen deshalb eine Warnung loswerden, die sich in zwei Worte fassen lässt: So nicht!

Die Arbeitnehmervertreter wollen den Umbau bremsen, um ihn sozialverträglicher zu gestalten. Sie legen deshalb eine Reihe eigener Vorschläge vor, wie Arbeitsplätze bei den Herstellern, aber auch bei Zulieferern wie Bosch, ZF oder Conti erhalten bleiben können, wenn Fahrzeuge immer weniger Kohlendioxid ausstoßen dürfen, die Zahl der E-Autos zunimmt und die Fertigung stärker automatisiert wird.

Die Industrie müsse die Diskussion um verschärfte Grenzwerte "offensiv" führen, verlangt die Gewerkschaft. Das heißt: bremsen. Sie selbst legt einen eigenen Plan zur CO₂-Reduzierung vor. Bei Autos mit Verbrennungsmotor solle der Treibhausgas-Ausstoß von 2020 bis 2030 um 1,5 Prozent pro Jahr reduziert werden. Gleichzeitig soll der Anteil von E-Fahrzeugen beim Neukauf jährlich um einen Prozentpunkt steigen. Bis 2030 würde sich der CO₂-Ausstoß so auf etwa 70 Gramm pro Kilometer im Durchschnitt aller Autos reduzieren, sagt Hofmann. Das sei machbar. Allerdings ist das deutlich weniger, als die Politik fordert. Der neue Klimaschutzplan sieht eine Reduzierung von Treibhausemissionen im Verkehr von 40 Prozent bis 2030 vor. Immerhin aber haben die Arbeitnehmervertreter mehr aufgeschrieben, als Manager der Branche bislang zu Papier gebracht haben. "Dabei müssen wir die Themen jetzt angehen", sagt Daimler-Betriebsratschef Brecht. Sein VW-Kollege Osterloh stellt nüchtern fest, dass die Branche schon genug "Renommee eingebüßt" habe durch das zögerliche Agieren. Doch in den eigenen Unternehmen mache man sich mit solchen Vorschlägen trotzdem keine Freunde, heißt es in der Runde. Allein den Wandel zu planen, sei schon ein Affront: Viel hänge von alten Techniken ab, mit denen die Konzerne Geld verdienen. Der Sportwagenhersteller Porsche aus Stuttgart macht mit den alten Techniken derzeit eine Marge beim Gewinn von weit mehr als zehn Prozent, es geht ihm ausgezeichnet. Der dortige Betriebsratschef Uwe Hück will den Wandel dennoch nicht bremsen, das könne man sowieso kaum. Er selbst ist das beste Beispiel eines digitalisierten Lebens: Auf seinem Tisch liegt ein Smartphone, das ständig tönt: Jede neue SMS ein Motorenstart. "Wir müssen aufhören zu heulen, wir müssen Taschentücher einsammeln!" Neue Antriebe und immer mehr Computersteuerung auch in den Fabriken, das werde kommen, das müsse kommen. "Die Branche war im Tiefschlaf, jetzt ist man wach geworden." Dabei drängt die Zeit. "Wenn wir nichts machen, geht es uns wie den Fotoherstellern Agfa, Fuji und Kodak, und wir verschwinden von der Bildfläche!"

Die Konsequenzen des Wandels malt Hück nicht so düster wie seine Kollegen: "Wenn wir es richtig machen, können wir Jobs umgestalten." Das werde nicht einfach werden, da könne es viele Gewinner geben, aber auch einige Verlierer. Der Schlüssel sei die Bildung: "Die Arbeitgeber müssen die Milliarden, die auf den Konten liegen, in die Qualifizierung investieren." Bei Porsche will man auch die Belegschaft in die Pflicht nehmen. Auch 50 Jahre alte Kollegen müssten wieder auf die Schulbank. Allerdings sei die Transformation hier einfacher, gesteht Hück ein. Der Sportwagenbauer hat keine Gießerei, kein Presswerk, sondern kauft das meiste von Zulieferern ein. Nur 500 Mitarbeiter im Motorenwerk werden etwa vom Wandel hin zur Elektromobilität betroffen sein. Und die Rolle der Gewerkschaften? "Wir werden darauf achten müssen, dass die Menschen nicht zu Knechten der Technik werden", sagt Hück. Freiheit, Anerkennung - das ist ihnen allen schon weiterhin wichtig.

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