Süddeutsche Zeitung

Deutsche Steueroasen:Ampelparteien streiten über Vorgehen gegen Steuerdumping

SPD und Grüne kritisieren Gemeinden mit extrem niedrigen Gewerbesteuersätzen und sprechen sich für eine Anhebung des Mindestsatzes aus. Die FDP dagegen sieht die Länder in der Pflicht.

Von Ramona Dinauer, Sebastian Krass und Klaus Ott

Auswüchse in den deutschen Gewerbesteueroasen, in denen Firmen trickreich ihre Abgaben senken, sollen bekämpft werden. Da sind sich die Parteien der Ampelkoalition einig, über den richtigen Weg allerdings nicht. SPD und Grüne wollen bundesweit den Mindestsatz für die Gewerbesteuer anheben. Die FDP betrachtet es als Aufgabe der Bundesländer und des Fiskus, mit mehr und besseren Kontrollen Steuerdumping zu unterbinden. Weil sich die Parteien uneins sind, passiert bei den gesetzlichen Vorgaben für die Gewerbesteuer erst einmal: nichts.

"Wir lehnen Steuervermeidungspraktiken bei der Gewerbesteuer mit den drastisch auseinandergehenden Hebesätzen ab", sagt Bernhard Daldrup, kommunalpolitischer Sprecher der SPD und Mitglied im Finanzausschuss des Bundestags auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung und des ARD-Magazins "Panorama". Er bezeichnet derartige "Steuergestaltungen" als "Missbrauch". Die SPD befürworte eine Erhöhung des Mindesthebesatzes für die Gewerbesteuer.

Auch Stefan Schmidt, Finanzpolitiker der Grünen im Bundestag, sagt, seine Fraktion sei "grundsätzlich aufgeschlossen" für eine solche Anhebung. Man wolle auf eine bundesweite Lösung hinwirken, "die Steuervermeidung nachhaltig eindämmt". Wenn Kommunen ihren Gewerbesteuer-Hebesatz "auf Kosten umliegender Gemeinden radikal reduzieren, handeln sie unsolidarisch und schaden damit nicht nur den Nachbargemeinden, sondern mittelbar auch den Menschen, die dort leben", kritisiert er.

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Christoph Meyer widerspricht dem Ansinnen von SPD und Grünen. Die Bundesländer sollten "die Möglichkeiten der bestehenden Gesetzeslage ausschöpfen. Eine Gewerbesteuerreform ist daher derzeit nicht geplant." Die Regierungen von Bund und Ländern beraten aber derzeit auf Fachebene, wie sich mehr Steuergerechtigkeit herstellen ließe. Ergebnisse liegen noch nicht vor.

Die Gewerbesteuer ist die wichtigste Einnahmequelle der Kommunen. Insbesondere große Städte decken damit Ausgaben für den öffentlichen Nahverkehr, Kinderbetreuung oder soziale Dienste. Der Hebesatz ist die Maßzahl, nach der die Gewerbesteuer berechnet wird. Jede Kommune darf die Höhe selbst festlegen, sie muss bei mindestens 200 liegen. In den großen Kommunen und kreisfreien Städten liegt der durchschnittliche Hebesatz nach Angaben des Deutschen Städtetags bei 449 Prozent.

Im Umland großer Städte setzen Kommunen auf besonders niedrige Hebesätze, um Unternehmen anzulocken. Beispiele sind Grünwald (Hebesatz 240) und Pullach (260) bei München, Zossen (270) bei Berlin sowie Leverkusen (250) und Monheim (250) bei Köln und Düsseldorf. Nach Berechnungen des Netzwerks Steuergerechtigkeit entgehen der öffentlichen Hand durch solche Steueroasen jährlich Gewerbesteuereinnahmen von einer Milliarde Euro.

In diesen Oasen bieten spezielle Dienstleister "virtuelle Firmenbüros" an. Sie werben damit, dass sie Unternehmen einen offiziellen Firmensitz verschaffen könnten, inklusive Telefon- und Postservice. Viele dieser vermeintlichen Firmensitze wirken wie reine Briefkasten-Standorte. Zudem locken die Kommunen mit niedrigen Sätzen auch Vermögensverwaltungen von milliardenschweren Unternehmerfamilien an. Grünwald etwa ist zudem Sitz Dutzender Immobilienfirmen, von denen einige dort zwar richtige Büros betreiben, aber deutlich größere Standorte in München haben - was ebenfalls die Frage nach Steuervermeidungsstrategien aufwirft.

Dem SPD-Abgeordneten Daldrup zufolge hatte seine Partei in den Koalitionsverhandlungen eine Anhebung des Mindestsatzes auf 250 Prozent vorgeschlagen. "Leider konnte in diesem Punkt keine Einigung mit den Koalitionspartnern erzielt werden", sagt er. Gescheitert ist das offenbar an der FDP. Ein Wert von 250 allerdings hätte die meisten Gemeinden, die niedrige Gewerbesteuern verlangen, ohnehin kaum getroffen.

Das von FDP-Chef Christian Lindner geführte Bundesfinanzministerium erklärt auf Anfrage, Kommunen könnten durch ihre Hebesätze "im Wettbewerb um Gewerbeansiedlungen andere Standortnachteile ausgleichen". Mit dem Mindestsatz von 200 Prozent werde "verhindert, dass sich einzelne Gemeinden durch die Festsetzung sehr niedriger Hebesätze übermäßige Standortvorteile verschaffen, damit rein steuermotivierte Wanderbewegungen auslösen" und so anderen Kommunen sowie Bund und Ländern Schaden zufügen würden. Das Ministerium erklärt weiter, gesetzliche Vorgaben dürften das Hebesatzrecht der Kommunen "nicht unverhältnismäßig beschränken".

Aus dem Deutschen Städtetag kommt dagegen ein Ruf nach einer deutlichen Erhöhung. Harald Riedel, Vorsitzender des Fachausschusses Finanzen und Kämmerer der Stadt Nürnberg, hat eine persönliche Meinung dazu und plädiert für einen Mindestsatz von 300 bis 320 Prozent, "dann hätte man die schlimmsten Dumpingauswüchse eingedämmt".

Janine Wissler, Parteichefin und Bundestagsabgeordnete der Linken, wollte in einer Anfrage an die Bundesregierung von Finanzminister Lindner wissen, wie hoch die Steuerausfälle durch den Unterbietungswettbewerb der Kommunen ausfallen. Zur Antwort bekam sie, dazu würden keine Erkenntnisse vorliegen. Wissler kritisiert, die Bundesregierung müsse "endlich belastbare Zahlen zum Umfang missbräuchlicher Steuergestaltung durch Briefkastenniederlassungen und damit verbundenen Steuerausfällen vorlegen".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5528454
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.