Getreideanbau in Deutschland:Klarheit, kurz vor der Aussaat

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Cem Özdemir am 15. Juli mit Joachim Rukwied, dem Präsidenten des Deutschen Bauernverbands, auf einem Getreidefeld in Baden-Württemberg. (Foto: Bernd Weißbrod/dpa)

Angesichts der Engpässe auf den Agrarmärkten dürfen Bäuerinnen und Bauern in Deutschland nun begrenzt zusätzliches Getreide anbauen, sofern die Bundesländer zustimmen. Die Landwirte reagieren erleichtert, Umweltexperten äußern Bedenken.

Landwirte in Deutschland können angesichts angespannter internationaler Agrarmärkte infolge des Ukraine-Kriegs mehr Flächen zum Getreideanbau nutzen. Dazu sollen die EU-Neuregelungen zu Flächenstilllegung und Fruchtwechsel einmalig ausgesetzt werden. Das sieht ein Kompromissvorschlag von Agrarminister Cem Özdemir vor.

So sollen die eigentlich geplanten zusätzlichen Artenschutzflächen erst 2024 eingeführt werden. Bauern könnten dann im kommenden Jahr auf diesen Flächen weiter Nahrungsmittel anbauen.

Artenschutz und globale Nahrungsmittelkrise

Hintergrund sind ab 2023 greifende EU-Vorgaben, wonach ein Teil der Landwirtschaftsflächen dem Artenschutz dienen soll - und zudem der Anbau derselben Ackerpflanze zwei Jahre in Folge auf derselben Fläche zum Bodenschutz grundsätzlich nicht mehr möglich ist.

Die Umsetzung dieser Vorgaben hat Brüssel aber den jeweiligen EU-Staaten überlassen. Özdemir hat nun den Bundesländern seinen Vorschlag zur Umsetzung der Kommissionsentscheidung unterbreitet, der ein Aussetzen von Fruchtwechsel und Flächenstilllegung vorsieht. Der landwirtschaftliche Anbau soll möglich sein, "allerdings im Sinne der Ziele des Kommissionsvorschlags eingeschränkt auf die Produktion von Nahrungsmitteln, daher auf die Kulturen Getreide (ohne Mais), Sonnenblumen und Hülsenfrüchte (ohne Soja)", heißt es.

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Das gelte jedoch nur für die Flächen, die nicht bereits 2021 und 2022 als brachliegendes Ackerland ausgewiesen gewesen seien: "Die bestehenden Artenvielfaltsflächen werden dadurch weiterhin geschützt und können ihre Leistung für Natur- und Artenschutz sowie eine nachhaltige Landwirtschaft erbringen." Zudem ist die EU den Angaben zufolge Özdemirs Vorschlag gefolgt und lässt eine Ausnahme beim Fruchtfolgenwechsel zu. Die entsprechende Regelung werde 2023 einmalig ausgesetzt. Damit könnten Landwirte in Deutschland auf etwa 380 000 Hektar ausnahmsweise Weizen nach Weizen anbauen.

Nach wissenschaftlichen Berechnungen könnten damit bis zu 3,4 Millionen Tonnen Weizen angebaut werden. So gelinge es am besten, "die Getreideerträge in Deutschland stabil zu halten und damit zur Stabilität der Weltmärkte beizutragen", hieß es.

Özdemir hat wie zahlreiche andere Politikerinnen und Politiker immer wieder betont, Russlands Präsident Wladimir Putin spiele im Rahmen des Angriffskrieg gegen die Ukraine mit dem Hunger, und er tue dies auf Kosten der Ärmsten in der Welt. Zugleich sei der Hunger bereits dort am größten, wo die Klimakrise schon schwere Folgen habe. "Für mich gilt daher, dass jede Maßnahme zur Lösung einer Krise darauf hin überprüft werden muss, dass sie eine andere nicht verschärft", sagte der Grünen-Politiker.

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"Überfällig und in letzter Minute"

Der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, begrüßte den Vorschlag. "Diese Entscheidung war überfällig und kommt in letzter Minute", sagte er. "Wir Bauern haben bereits mit der Anbauplanung für das kommende Jahr begonnen und brauchen Planungssicherheit." Eine Aussetzung für ein Jahr ist aus Sicht Rukwieds sicher nicht ausreichend. Um weiter eine sichere Lebensmittelversorgung gewährleisten und in Krisenzeiten reagieren zu können, müssten alle Flächen genutzt werden können, auf denen es landwirtschaftlich sinnvoll sei. Die Bundesländer müssten dies jetzt zügig bestätigen.

Auch Baden-Württemberg und die FDP begrüßten den Kompromissvorschlag. Özdemir habe endlich eingelenkt, sagte der Stuttgarter Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Peter Hauk (CDU), der auch Sprecher der unionsgeführten Agrarressorts der Länder ist. Ähnlich äußerte sich die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Carina Konrad. Nun müssten die Regelungen schnell und rechtssicher umgesetzt werden, da die Aussaat bevorstehe. Es sei gut, dass Özdemir erkannt habe, wie dramatisch die globale Hungerkrise sei und Landwirten ermöglicht werde, mehr Getreide anzubauen.

Greenpeace-Experte Matthias Lambrecht kritisierte dagegen, die ohnehin viel zu geringen Flächen zum Schutz der Artenvielfalt in der Landwirtschaft würden so wirtschaftlichen Interessen geopfert. "Dabei ist die Ernährungssicherung in Kriegszeiten nur ein Vorwand, um wertvolle Biotope unterzupflügen", sagte er. Dort angebauter Weizen würde erst im nächsten Jahr und in nicht ausreichender Menge zur Verfügung stehen, um der akuten globalen Hungerkrise wirkungsvoll zu begegnen. Mit einem Ausstieg aus dem Biosprit könnte dagegen umgehend ein Vielfaches der Getreidemenge für den Kampf gegen den Hunger bereitgestellt werden.

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