Gesundheitssystem:Die beste Medizin? Gibt es nur für Vermögende

Mobiler Zahnarzt in den USA

Massenabfertigung in einer mobilen Zahnarztpraxis in Miami. Viele Amerikaner sind auf eine billige Behandlung angewiesen.

(Foto: AFP)
  • Noch immer gibt es in den USA kein einheitliches Geundheitssystem. Die Behandlungskosten variieren von Stadt zu Stadt.
  • Viele Geringverdiener können sich eine vernünftige medizinische Versorgung nicht leisten - und die geplanten Reformen von Donald Trump dürften ihre Situation noch verschlimmern.

Von Milena Hassenkamp, Detroit

Thomas Kale lächelt ungern. Denn dann entblößt der Mann aus Detroit ein großes Loch in seinem Vorderzahn. "Konnte ich nicht behandeln lassen", sagt er leise, "zahlt meine Versicherung nicht." Thomas Kale sitzt in einer Praxis für Urgent Care im Detroiter Stadtteil Mexican Town. Seine Krankengeschichte möchte der Dachdecker lieber nicht unter seinem richtigen Namen erzählen. Er schämt sich. Etwa dafür, dass er seit einer Woche starke Rückenschmerzen hat, aber nicht zum Arzt gehen kann. "Du weißt nie, was es kosten wird", sagt er. Der 36-Jährige geht lieber kein Risiko ein. Doch mit jedem Tag, den er nicht arbeitet, verliert er 100 Dollar. "Das kann sich ein Vater von vier Kindern nicht leisten", findet seine Frau. Ihretwegen ist Kale hier - und weil eine Behandlung hier erschwinglich ist.

"Das Gesundheitssystem in den USA ist so kompliziert, dass es viele Amerikaner selbst nicht verstehen", sagt Megan Foster-Friedman vom Center for Healthcare Research and Transformation. Es gibt Programme für Senioren (Medicare), Menschen unterhalb der Armutsgrenze (Medicaid), für Kinder, deren Eltern zu viel verdienen um Medicaid zu erhalten (CHIP), Veteranen und Ureinwohner. Die Preise für eine private Versicherung, wie Thomas Kale sie zahlt, weil er nicht über seinen Arbeitgeber versichert ist, unterscheiden sich von Bundesstaat zu Bundesstaat, von County zu County - und das zum Teil deutlich. So zahlt ein 40-jähriger Nichtraucher nach Berechnungen der Kaiser Family Foundation im kommenden Jahr für den zweitgünstigsten Versicherungsplan der Kategorie Silber in Detroit, Michigan, etwa 244 Dollar und liegt damit ungefähr im US-Durchschnitt. In Wilmington, Delaware, dagegen 631 Dollar. Je nach Versicherungsplan variieren Selbstbeteiligungsraten und werden unterschiedliche Kosten abgedeckt. Der Plan der Kategorie Silber deckt etwa 70 Prozent der Arztkosten. Auch Thomas Kale ist so versichert. Augen und Zähne sind dabei aber nicht abgedeckt.

An den unterschiedlichen Versicherungsprämien hat auch die Gesundheitsreform des damaligen US-Präsidenten Barack Obama nichts ändern können. Insgesamt zahlen Amerikaner, die sich selbst versichern müssen, nach Schätzungen der Brookings Institution dank der staatlichen Subventionen nun zwar weniger für ihre Versicherung als vor Obamas Affordable Care Act. Doch zuletzt sind die Versicherungsprämien kontinuierlich gestiegen - im vergangenen Jahr sogar um 20 Prozent.

Nur drei Wochen bevor in den USA die Anmeldephase für die Versicherungspläne im nächsten Jahr beginnt, hat US-Präsident Donald Trump sein Versprechen wahr gemacht, Obamacare "implodieren" zu lassen. Er kündigte an, die staatlichen Subventionen nicht weiter zu zahlen. Die Versicherungsunternehmen hatten bereits in Erwartung dieser Entscheidung ihre Prämien für 2018 angehoben, viele hatten sich ganz vom Markt für Geringverdiener zurückgezogen. Für das kommende Jahr beziffert die Kaiser Family Foundation die Prämienerhöhungen auf bis zu 49 Prozent. Experten befürchten, dass eine Versicherung für gesunde Amerikaner so nicht mehr interessant ist.

Die Wahl des Arztes ist eine Kostenfrage

Demokraten und Republikaner des Repräsentantenhauses haben noch bis November Zeit, Trumps Entscheidung rückgängig zu machen.

Aber auch die Preise für Behandlungen unterscheiden sich - oft innerhalb einer Stadt. Tragen die Versicherer die Kosten, handeln sie mit Krankenhäusern verschiedene Preise aus. In der Urgent Care in Mexican Town kostet eine Röntgenaufnahme den Patienten etwa 50 Dollar, in einem anderen Teil der Stadt 300 Dollar. Ein MRT, weiß Jeanne Pinder von Clearhealthcosts, einer Internetseite, die versucht, Behandlungskosten transparent zu machen, kann zwischen 300 und 6000 Dollar kosten. Zu welchem Arzt man geht, ist für viele Amerikaner also vor allem eine Kostenfrage.

Eine Klinik für Geringverdiener

"Wir versuchen, die Preise niedrig zu halten", sagt der Arzt Sameer Huraibi, der die Praxis in Mexican Town vor zwei Jahren eröffnet hat. Das ist nicht immer leicht. Doch durch die Menge der Patienten, sagt Huraibi, rechne es sich. Das Center for Urgent Care ist billiger als die Notaufnahme, billiger als viele andere ihrer Art, und es liegt in einem Viertel, in dem es vorher keine Urgent Care gab. Wenn es nicht um Leben oder Tod geht, dann gehen Patienten hier hin. Haben sie kein Geld und keine Versicherung, gehen sie in eine der Free Clinics, Kliniken, die durch Spenden finanziert sind und ihre Patienten gratis behandeln.

Thomas Kale sitzt auf einer Couch in der Praxis von Urgent Care und wartet auf seinen Aufruf. Dank Obamacare können er und seine Familie sich zum ersten Mal eine Versicherung leisten. Es ist die günstigste, die es für Privatversicherte gibt. Der Selbstbehalt liegt bei mehreren Tausend Dollar. "Gerade Menschen mit einem geringen Einkommen, die sich nicht mehr für Medicaid qualifizieren, haben vom Affordable Care Act profitiert", erklärt Forscherin Megan Foster-Friedman.

Vermögende profitieren von Reform

Die Geringverdiener mit einem Jahreseinkommen bis zum 4-Fachen der Armutsgrenze von 12 060 Dollar erhalten Steuervergünstigungen, die die Versicherung erschwinglicher machen. Jene, die nur das 2,5-Fache der Armutsgrenze, also bis 30 150 Dollar pro Jahr, verdienen, profitieren zusätzlich noch von den staatlichen Hilfen, die US-Präsident Trump jetzt einstellen will. Davon betroffen wären etwa sieben Millionen der 20 Millionen Privatversicherten. Diese Hilfen, die sogenannten Cost-Sharing Reductions (CSR), senken den Eigenanteil an den Behandlungskosten und ermöglichen Zusatzleistungen wie Augen- oder Zahnarztbesuche. Fallen sie weg, steigen die Prämien. Den Preis dafür zahlen jene, die keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung haben.

"Die Versicherten, die von Steuervergünstigungen profitieren", weiß Foster-Friedman, "treffen die Erhöhungen kaum." Denn: Steigt die Prämie, steigen auch die Vergünstigungen. Zu spüren bekommen die Prämienerhöhungen vielmehr jene, die ihre Versicherung ohne Steuervergünstigungen zahlen - und der Staat. Denn er nimmt weniger Steuern ein. Die Rechnungsbehörde des US-Kongresses prognostiziert einen Anstieg des Staatshaushaltsdefizits von sechs Milliarden im kommenden Jahr, allein wegen der Abschaffung der CSR.

Bis zur Behandlung dauert es Monate

Thomas Kales jüngste Tochter spielt in der Spielecke der Praxis, aus der das Spielzeug verschwunden ist. Seit Kurzem ist die Dreijährige über CHIP, das Versicherungsprogramm für Kinder, versichert. Auch das, weiß der Familienvater, wäre ohne Obama nicht möglich gewesen. Kale und seine Familie leben "down river" in Ecorse, dem Teil der Stadt, in dem der "White Trash" wohnt, die Abgehängten. Der Dachdecker weiß nicht, was er heute für seinen Arztbesuch zahlen wird, und er weiß nicht viel über seine Versicherung, aber eines sei sicher, sagt er: "Sie wird jedes Jahr teurer und verliert Leistungen."

"Detroit", sagt Forscherin Foster-Friedman, "hat eigentlich niedrige Versicherungsprämien, weil es vergleichsweise viele Krankenhäuser und Versicherungsanbieter gibt." Durch die Konkurrenz bleiben die Prämien niedrig. Nur wenige Kilometer entfernt, im nördlicheren Michigan, sieht das anders aus. Hier, wie in vielen anderen Teilen des Landes, wird 2018 nur noch ein Versicherungsunternehmen Geschäfte machen: Blue Cross Blue Shield. Im Schnitt, so geht es aus den Plänen hervor, werden die Versicherungsprämien in Michigan 2018 um fast 28 Prozent steigen.

Für seine Zähne hat Thomas Kale inzwischen eine Zusatzversicherung abgeschlossen, ermöglicht durch die CSR. "Leider wird die nicht von allen Ärzten akzeptiert." Seit Wochen hat der Dachdecker deshalb Kopfschmerzen. Grund dafür ist ein Weisheitszahn, den er sich nicht ziehen lassen kann. Die einzige Praxis, die seine Versicherung akzeptiert, hat ihm einen Termin in zwei Monaten in Aussicht gestellt. Der Weisheitszahn bleibt deshalb erst einmal drin. "800 Dollar soll das kosten ohne Versicherung", sagt er, "woher soll ich das nehmen?"

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