Süddeutsche Zeitung

Gesundheitsminister Rösler im Gespräch:"Die Praxisgebühr hat nichts gebracht"

Gesundheitsminister Philipp Rösler zweifelt an der Wirkung der Zehn-Euro-Abgabe, will sie aber trotzdem erhalten. Dafür verspricht der FDP-Politiker eine andere Neuerung.

Alexandra Borchardt und Nina von Hardenberg

Die Menschen werden älter, die Ärzte auch. Bald werden Arztpraxen fehlen, sagt Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP). Er will zunächst Anreize schaffen, damit sie sich besser verteilen.

SZ: Herr Minister, Sie sagen, Deutschland braucht mehr Ärzte. Aber jeder Deutsche geht im Schnitt 18-mal im Jahr zum Arzt, das ist Weltrekord. Läuft da nicht etwas anderes falsch?

Philipp Rösler: Ich glaube, dass wir mehr Ärzte brauchen, die dann auch in ihrem Beruf arbeiten. Die Patienten werden älter. Deshalb steigt der Bedarf an medizinischer Versorgung. Zugleich steigt auch der Altersdurchschnitt der Ärzte. Schon heute finden viele niedergelassene Ärzte keinen Nachfolger für ihre Praxis. Die hohe Zahl der Arztbesuche hat viele Gründe. Die von der SPD eingeführte Praxisgebühr hat jedenfalls nicht die beabsichtigte Wirkung gebracht.

SZ: Wann schaffen Sie sie ab?

Rösler: Die Gesetzliche Krankenversicherung kann auf die Einnahmen durch die Praxisgebühr nicht verzichten, sonst fehlen dem System über eine Milliarde Euro. Aber es steht den Krankenkassen durchaus frei, Anreize für Versicherte zu setzen, weniger zum Arzt zu gehen.

SZ: Bei uns bringen Mütter ihre Kinder wegen jedem aufgeschlagenen Knie zum Arzt. In Amerika beispielsweise übernehmen vieles Krankenschwestern.

Rösler: Es gibt in der Tat spannende Modelle. In den USA ist aber die ganze Berufsausbildung anders. Im Rettungswesen etwa gibt es Paramedics, die sind deutlich qualifizierter als deutsche Rettungsassistenten. Und auch den Krankenschwestern werden mehr Kompetenzen zugestanden. Das lässt sich so nicht übertragen. Wir müssen eigene Wege gehen. Ich habe kürzlich eine Landärztin in Mecklenburg-Vorpommern besucht, die eng mit der dortigen Sozialstation zusammenarbeitet. Die Ärztin kann nicht jeden Tag jeden besuchen, aber die Mitarbeiter der Sozialstation berichten ihr. Teamarbeit zwischen den Gesundheitsberufen müssen wir stärken.

SZ: Müssten Sie nicht auch etwas gegen Überversorgung tun? In Berlin etwa arbeiten 100 Hausärzte mehr als rechnerisch nötig, während im 70 Kilometer entfernten Landkreis Uckermark die Ärzte fehlen. Ist das gerecht?

Rösler: Ich glaube nicht, dass man Unterversorgung beseitigt, indem man die Ärzte in gut versorgten Regionen bestraft. Kein Arzt verlegt seine Praxis, weil er Abschläge hinzunehmen hat. Deshalb konzentrieren wir uns darauf, unterversorgte Gebiete attraktiver zu machen.

SZ: Sie wollen in diesen Regionen die Honorargrenzen für Ärzte abschaffen. Das kostet Geld. Hat der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn recht mit seiner Kritik, dass Sie nur nach neuem Geld rufen, statt das vorhandene besser zu verteilen?

Rösler: In den unterversorgten Gebieten können wir sehr schnell etwas verbessern, wenn wir die Anreize richtig setzen. Und das muss nicht automatisch alles gleich viel teurer werden. Wichtig ist, dass die Versicherten darauf vertrauen können, dass ihr Geld auch in der Versorgung ankommt.

SZ: Muss man deshalb Überversorgung hinnehmen? Was halten Sie zum Beispiel von dem Vorschlag, Zulassungen nur noch für die Dauer eines Berufslebens zu vergeben? Vererben und verkaufen ginge dann nicht mehr. So könnte man Arztsitze abbauen.

Rösler: Das ist schwierig. Das jetzige Modell ist darauf ausgelegt, dass Praxen weitergeführt werden. Jeder, der eine Praxis einrichtet, plant das mit ein. Wir wollen es Ärzten aber erleichtern, auch schon vor dem 62. Lebensjahr ihren Kassensitz aufzugeben. Im Übrigen gilt für überversorgte Gebiete eine Niederlassungssperre.

SZ: Was wollen Sie noch tun?

Rösler: Die bisherigen Regeln zur Steuerung von ärztlichen Niederlassungen stammen aus den frühen 90er Jahren, als man noch von einer Ärzteschwemme sprach. Jetzt haben wir in einer Reihe von Regionen das Gegenteil. Wir müssen auch die Altersstruktur der Menschen in einer Gegend bei der Ärzteverteilung stärker berücksichtigen. Und große Landkreise dürfen nicht mehr als eine Einheit betrachtet werden, wenn die Arztpraxen darin ungleich verteilt sind. Sonst kann es passieren, dass im Nordkreis Über- und im Südkreis Unterversorgung herrscht, und es keiner merkt.

SZ: Zum Beispiel Berlin, eine Millionenstadt, die ein einziger Bezirk ist...

Rösler: Genau. Ganz Berlin gilt als gut versorgt, obwohl Stadtteile wie Charlottenburg sehr gut und andere dafür schlecht versorgt sind.

SZ: Dann werden sich aber insgesamt mehr Ärzte niederlassen, denn die Charlottenburger werden nicht freiwillig umziehen. Genau davor warnen die Kassen.

Rösler: Es werden mehr Ärzte nach Berlin kommen, aber keine neuen Arztsitze. Bislang konnten frei werdende Arztsitze in schlecht versorgten Bereichen nicht nachbesetzt werden, weil die ganze Stadt als gut versorgt galt.

SZ: Noch mal zu den ländlichen Gebieten. Ist es nicht auch eine zu romantische Vorstellung, dass künftig noch jedes Dorf einen Arzt haben wird? Wäre es nicht sinnvoller, die Mediziner in Zentren zu bündeln und die Menschen mit Bus oder Taxi hinzubringen?

Rösler: Die Menschen wollen zu Recht eine wohnortnahe Versorgung. Sicher wird sich dabei das ein oder andere ändern. So werden sich immer mehr medizinische Netzwerke bilden, weil viele der jungen Ärzte sich wünschen, stärker im Team zu arbeiten. Meine Generation und die vorige hatten noch das Ziel, sich in Einzelpraxen niederzulassen. Heute wollen viele Ärzte die Arbeitszeiten besser mit einer Familie vereinbaren können. Dieses Bedürfnis wächst, zumal 70 Prozent der Medizinstudenten Frauen sind.

SZ: Eine Idee von Ihnen ist die Landarztquote beim Studienzugang. Die Unis bezweifeln allerdings, dass das hilft. Kann sich ein 18-Jähriger schon entscheiden, ob er Landarzt werden will?

Rösler: Es gibt ja schon Quoten, die Bundeswehr hat zum Beispiel eine für Bewerber, die sich verpflichten, später als Truppenarzt zu arbeiten. Ich zum Beispiel habe mich mit gerade 18 Jahren für 16 Jahre verpflichtet...

SZ: Respekt, und wie ging's weiter?

Rösler: Als ich in das niedersächsische Landesparlament gewählt wurde, musste ich aus der Bundeswehr ausscheiden, weil es eine Trennung zwischen Legislative und Exekutive gibt. Aber solche Anreize funktionieren. Die Bundesländer könnten mehr Studienplätze anbieten und damit die Verpflichtung verknüpfen, sich bei ihnen niederzulassen. Manche Länder bieten Stipendien für künftige Landärzte an.

SZ: Sachsen hat 50 solche Plätze, aber von denen ist gerade mal die Hälfte besetzt - vor allem mit Studenten, die die Praxen der Eltern übernehmen können.

Rösler: Sie werden das Problem nicht mit einer einzelnen Maßnahme lösen. Darum wollen wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen anbieten. Wir zwingen niemandem solche Stipendien auf. Wir können auch die Länder nicht zwingen, die Abiturnote als einziges Zulassungskriterium abzuschaffen. Aber wir alle sind gut beraten, neue Wege zu beschreiten, um dem Medizinermangel zu begegnen.

SZ: Wollen Sie den Numerus clausus abschaffen?

Rösler: Schon heute dürfen die Unis 60 Prozent der Plätze nach anderen Kriterien als der Note vergeben. Ich wäre froh, wenn sie hiervon mehr Gebrauch machen würden. Tatsächlich verlassen sich aber alle Länder außer Rheinland-Pfalz doch zu über 50 Prozent auf den Numerus clausus. Ich wünsche mir, dass Vorausbildungen wie Rettungsassistenten oder Pflegepraktika stärker bei der Auswahl berücksichtigt werden. Ob Sie ein guter Arzt werden, ob Sie die notwendige Empathie besitzen oder ob Sie in bestimmte Regionen gehen wollen, können Sie nicht an der Note ablesen.

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SZ vom 04.03.2011/dmo
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