Süddeutsche Zeitung

Gespräche mit Alcatel:Nokia will wieder groß rauskommen

Moderne Netze werden immer wichtiger, doch das Geschäft mit der Technik ist umkämpft. Nun will sich Nokia mit Konkurrent Alcatel-Lucent verbünden.

Von Varinia Bernau und Leo Klimm

Ärzte, die den Blutdruck aus der Ferne kontrollieren; Architekten, die ihre Entwürfe in der Cloud statt im Büroschrank lagern; Autos, die selbständig durch den Verkehr finden. Das sind die Träume des digitalen Zeitalters. Damit sie wahr werden, müssen die Netze ausgebaut werden. Das Geschäft der Netzausrüster ist also aussichtsreich. Einfach aber ist es nicht.

In dem hart umkämpften Geschäft mit den knauserigen Telekommunikationsanbietern kommt es auf Größe an: Die Großen bekommen bei den Zulieferern Mengenrabatt auf die eingekauften Bauteile. Und sie machen mit der Software zur Steuerung der Netze mehr Gewinn, wenn sie die einmal entwickelten Dienste in immer neue Regionen bringen.

Und so sucht der Technologiekonzern Nokia also den Schulterschluss mit Alcatel-Lucent, um zurück zu alter Größe zu finden. Das Unternehmen, Mitte des 19. Jahrhunderts im Südwesten von Finnland gegründet, begann einst in der Papierproduktion, fertigte später Gummistiefel und Fahrradschläuche - und stieg um die Jahrtausendwende zum weltweit wichtigsten Handyhersteller auf. Doch die glanzvollen Zeiten sind vorbei: Heute verdient Nokia sein Geld mit Netzwerktechnik. Mit Technik also, die Millionen Menschen täglich nutzen, ohne es zu wissen. Heute vor allem, um zu telefonieren und zu twittern; in Zukunft womöglich auch, um bei der Kontrolle des Blutdruck oder auf dem Rücksitz eines selbstfahrenden Autos.

Nokia und der Rivale Alcatel-Lucent sind in "fortgeschrittenen Gesprächen" zu einer Fusion, wie sie am Dienstag mitteilten. In dem Geschäft, in dem im vergangenen Jahr nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Gartner knapp 170 Milliarden Dollar umgesetzt wurden, liegt bislang der schwedische Konzern Ericsson vorn, dicht gefolgt vom chinesischen Anbieter Huawei. Alcatel-Lucent und Nokia waren bislang Nummer drei oder Nummer vier - je nachdem, ob man auf die Ausrüstung von Mobilfunk- oder Kabelnetzen blickt. Gelingt der Zusammenschluss, so entsteht ein Konzern, der ähnlich viel Umsatz macht wie Ericsson.

Dass es zu viele Anbieter gibt, darin sind sich die Vertreter in dieser Branche einig. Siemens hatte seine Netzwerksparte vor acht Jahren mit Nokia zusammengelegt und zog sich vor knapp zwei Jahren aus dem Gemeinschaftsunternehmen zurück. Zu dem Zeitpunkt hatte Nokia-Siemens-Networks unterm Strich noch keinen Gewinn gemacht. Unter der alleinigen Führung der Finnen aber schlug sich der Ausrüster besser: Unternehmenschef Rajeev Suri machte ihn zu einem Spezialisten für LTE, also für jenes neue Mobilfunknetz, das schnelleres Surfen im Internet ermöglicht. Der indische Manager sortierte alles aus, was nicht dazu passte. Und er strich weltweit mehr als 20 000 Stellen. Gleichzeitig aber gewann er Aufträge - vor allem in Japan, Südkorea und Nordamerika. Dort also, wo die ersten Netze auf den neuen Mobilfunkstandard umgerüstet wurden.

Alcatel wiederum, der französische Konzern, der sich 2006 mit dem amerikanischen Unternehmen Lucent Technologies zusammentat, kennt sich vor allem mit Kabelnetzen aus - und wäre deshalb der ideale Partner. "Die bringen das mit, was Nokia im Zuge der Sanierung abstoßen musste", sagt der Gartner-Analyst Sylvain Fabre. Sich auf die Ausstattung von Mobilfunk- und Festnetzen zu verstehen, ist in den vergangenen Jahren wichtiger geworden. Deutsche Telekom, Vodafone oder ähnliche Anbieter locken Kunden mit Rundumpaketen. Und sie merken, dass sie die enormen Datenmengen nur dann schnell durch ihre Netze schleusen können, wenn sie alle Transportwege nutzen. Wer als Netzausrüster punkten will, muss also beides im Angebot haben. Mit seinen Kunden in Amerika könnte Alcatel-Lucent Nokia zudem in einer Region helfen, in der die Finnen bislang schwach sind.

Die heikle Frage: Werden bei einer Fusion Jobs wegfallen?

Unklar ist, wie viel Nokia für Alcatel auf den Tisch legen würde. Den Firmen zufolge ist ein Aktiengebot im Gespräch. Seit dem Verkauf der Handysparte an Microsoft vor eineinhalb Jahren hat Nokia aber auch genug Geld auf der hohen Kante. Zudem liebäugelt der Konzern damit, sich von seinem Kartendienst zu trennen.

Am Dienstagnachmittag kamen die Chefs von Alcatel-Lucent und Nokia bereits mit dem französischen Präsidenten François Hollande zusammen. Die französische Regierung beäugt Übernahmen von heimischen Konzernen durch ausländische Unternehmen sonst stets skeptisch. Dieses Mal aber machte Wirtschaftsminister Emmanuel Macron die Unterstützung Frankreichs für eine Übernahme deutlich: Sie ermögliche es, einen "großen europäischen Champion" unter den Netzausrüstern zu schaffen, "der es besonders mit Huawei und den übrigen chinesischen Konzernen aufnehmen kann". Nokia habe zugesichert, dass keine Stellen in Frankreich gestrichen werden. Auch die Franzosen wissen, dass sie es aus eigener Kraft kaum schaffen könnten.

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SZ vom 15.04.2015
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