Süddeutsche Zeitung

Gesetzliche Krankenkassen:Das schwarze Loch

Die Gesetzlichen Krankenkassen müssen endlich ihre Finanzen offenlegen, finden SZ-Leser.

Leserbriefen.

Zu "Den Krankenkassen fehlen Milliarden" (7. Oktober) schreiben Leser:

Die Rezession reißt 2010 nach Expertenschätzungen ein Loch von 7,4 Milliarden Euro in die Kassen der Gesetzlichen Krankenversicherungen. Das glaube ich nicht. Worauf basieren diese sogenannten Expertenschätzungen eigentlich? Lassen sich diese Expertenmeinungen für den Bürger in irgendeiner Form nachvollziehen? Da wird für das erste Halbjahr 2009 noch von einem Überschuss der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) von 1, 2 Milliarden Euro gesprochen. Noch am 7. September berichtet die Nachrichtenagentur ddp über ein stabiles Beitragsaufkommen, ja sogar von weiteren Überschüssen - und jetzt, nur 4 Wochen später -, nachdem die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erfreulicherweise stabil geblieben ist, werden Verluste von 2,9 Milliarden der GKV für 2009 kolportiert.

Die Expertenmeinungen sind eine "Black Box". Die Diskussion über die Gesundheitsreform läuft völlig ins Leere, wenn die GKV nicht endlich einmal verpflichtet werden, ihre Hosen herunter zu lassen. Nur die Verpflichtung zur Veröffentlichung eines von einem externen Wirtschaftsprüfer geprüften und testierten Jahresabschlusses sowie die Verpflichtung zur Aufstellung von Quartalsberichten kann Licht ins Dunkel bringen.

Bislang gibt es für die GKV lediglich in § 305 b Sozialgesetzbuch V eine einzige gesetzliche Verpflichtung, wie sie dem Bürger über ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Rechenschaft ablegen müssen. Dort heißt es: "Die Krankenkassen haben in ihren Mitgliederzeitschriften in hervorgehobener Weise und gebotener Ausführlichkeit jährlich über die Verwendung ihrer Mittel im Vorjahr Rechenschaft abzulegen und dort zugleich ihre Verwaltungsausgaben gesondert auch als Beitragssatzanteil auszuweisen." Das ist eine Lachnummer. Kein Ausweis von Vermögen, Rücklagen, Rückstellungen, Verbindlichkeiten, Eigenkapital. Nur eine einfache Einnahmen-Ausgabenrechnung, wie sie jeder Kioskbetreiber dem Finanzamt vorlegen muss, wird von den GKV für die Öffentlichkeit gefordert. Auf der anderen Seite muss jede kleine GmbH ihren Jahresabschluss mit Anhang im Bundesanzeiger unter Strafandrohung veröffentlichen und diesen gegebenenfalls testieren lassen. Aufgrund der sehr mageren Publizitäts- und Prüfungspflichten haben die GKV einen unendlichen Spielraum des Jammerns oder Frohlockens.

Als kleines Beispiel seien die Millionenbeträge genannt, die bei den Kassenärztlichen Vereinigungen schlummern und nicht an die Ärzte weitergeleitet werden. Müssen die Gesetzlichen Krankenversicherungen denn diese Beiträge überhaupt als Ausgabe buchen, wenn eine Verpflichtung zur Weiterleitung der Honorarzahlung an Ärzte nicht besteht? Ich hoffe, dass die neue Regierungskoalition endlich mit der Geheimhaltungspolitik der Krankenkassen Schluss macht, damit eine öffentliche Diskussion auf fundierte Grundlagen gestellt werden kann und der treudoofe Bürger nicht immer allem glauben muss, was die sogenannten Experten von sich geben. Die aktuelle Wirtschaftskrise und die dort im Vorfeld geäußerten "Expertenmeinungen" zeigen, wohin das führen kann.

Heribert Karsch Bayreuth

Zwangsbeglückung durch den Staat

Jetzt ist eine unschuldige Erklärung gefunden: Das milliardenschwere Defizit im Gesundheitsfonds wird von der Rezession verursacht. Ebenso ist es die Schuld des Wetters, wenn ein Autofahrer bei Regen mit 180 Sachen in der Kurve in den Wald brettert. Wer nicht Augen und Ohren in den letzten Jahren fest zugehalten hat, konnte ohne Probleme erkennen, dass der Gesundheitsfonds eine Fehlgeburt war und ist. Ulla Schmid und Angela Merkel hatten die einmalige Chuzpe, alle Kassen gleichzuschalten und dann noch von Wettbewerb zu sprechen. Früher gab es eine Reihe von Betriebskrankenkassen, deren Beitragssatz deutlich unterhalb der jetzigen Marge lag, und eine Menge Menschen schätzte dies auch. Diese Kassen wurden nach bester Kommunismusmanier "angeglichen". Dass die Versicherten in Bayern jetzt über den Fonds ungebeten einen zusätzlichen Solidaritätsbeitrag an den Osten entrichten, ist ebenfalls Allgemeingut.

Politisch ist das verständlich, vielleicht hätte man sogar die Menschen dafür gewinnen können, hätte man sie nicht ständig angelogen. Das hinterlässt jenen Widerwillen, dem die politische Kaste bei Wahlen in Form der Nichtwähler begegnet. Zahlen schönrechnen, von der besten aller Möglichkeiten ausgehen, das Urteil sämtlicher Fachleute ignorieren und jegliche Vorbeugung ausschalten indem Krankheit und nicht Gesundheit belohnt wird, ist wahrlich eine enorme Geistesleistung. Tatsache ist: Das Problem des Gesundheitsfonds ist der Gesundheitsfonds und der Glaube, dass der Staat dazu da ist, die Menschen zwangszubeglücken.

Dr. Eva Rachor-Waldeck Tuntenhausen

Stimmungsmache für höhere Beiträge

Was soll man nun glauben: die Aussage des Artikels, dass den Krankenkassen Milliarden fehlen - oder dass dieselben in der letzten Zeit einen Überschuss ebenso in Milliardenhöhe erwirtschaftet haben? Wurde doch noch vor wenigen Wochen von den gleichen Krankenkassen öffentlich kundgetan, dass es einen Überschuss in den Krankenkassen gibt. Woher stammen nun diese fehlenden Milliarden? Oder ist das alles nur eine Stimmungsmache, um die Beitragszahler allmählich auf höhere Beiträge einzustimmen, nach dem Motto: "Meckert nicht, wir haben's euch ja gleich gesagt".

Dieter Krank Planegg / Martinsried

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.47713
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 15.10.2009/pfau
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.