Gesetz gegen nahtlosen Wechsel in Aufsichtsrat:Chefs im Abklingbecken

Nach dem Vorstandsposten kam die Leere: Deutsche Unternehmenschefs sind frustriert, weil sie nicht mehr nahtlos in den Aufsichtsrat wechseln dürfen. Ein Gesetz erlaubt das erst nach zweijähriger Wartezeit. Und die Vorschrift lässt sich kaum umgehen.

Karl-Heinz Büschemann und Stefan Weber

Was für eine Karriere hat der Mann hinter sich: Nach dem Abschluss der Realschule hatte Werner Wenning im Chemie- und Pharma-Konzern Bayer eine Bilderbuchlaufbahn hingelegt, die ihn bis zum Unternehmenschef brachte. Im September 2010 war Schluss für den Mann aus Opladen. Kurz vor seinem 64. Geburtstag räumte er seinen Chefposten für Marijn Dekkers, einen gebürtigen Niederländer mit amerikanischem Pass.

Bayer Management Board Chairman Wenning poses during a news conference in Leverkusen

Der langjährige Bayer-Chef Werner Wenning, hier im Jahr 2009, muss bis zum Oktober warten: Erst nach zweijähriger Wartezeit darf er den ersehnten Posten des Aufsichtsratschefs antreten - so will es das Gesetz.

(Foto: REUTERS)

Doch dann kam die Leere. Wenning fühlte sich zu jung fürs Rentnerdasein und wäre gerne in das Büro des Aufsichtsratsvorsitzenden gewechselt. So hatten es doch viele seiner Vorgänger auch gemacht. Er glaubte, ein Anrecht auf den Austragsposten für verdiente Chefs zu haben. "Bayer ist mein Unternehmen und wird es immer bleiben", sagte er gerne.

Es klappte nicht. Seit 2009 gibt es ein Gesetz, das den nahtlosen Wechsel des Vorstandsmitglieds eines Unternehmens in den Aufsichtsrat erst nach zwei Jahren erlaubt. So kommt Wenning demnächst doch noch zu seinem Traumjob. Der gerade wiedergewählte Aufsichtsratsvorsitzende Manfred Schneider, 73, so die interne Absprache, wird im Oktober abtreten, um den begehrten Posten für Wenning frei zu machen.

Unter den deutschen Spitzenmanagern geht Frust um

Auch Jürgen Hambrecht, 65, ist tief frustriert. Er leitete bis Mai vergangenen Jahres den Chemiekonzern BASF. Er war erfolgreich und hoffte, wie sein Vorgänger Jürgen Strube im Rentenalter an der Spitze des Aufsichtsrates noch ein wenig mitmischen zu können. Sarkastisch soll er in kleiner Runde über sein drohendes Dasein als Privatier und heimischer Blumenzüchter gesagt haben: "Daran werde ich mich erst gewöhnen müssen."

Wolfgang Mayrhuber, 64, der sieben Jahre die Lufthansa führte, soll richtig sauer gewesen sein, dass er nach seinem Ausscheiden aus dem Chefamt im September 2010 nicht an die Spitze des Kontrollgremiums wechseln durfte. Das berichten Insider. Der hochgewachsene Österreicher hatte schon früh eine Absprache mit seinem Vorgänger Jürgen Weber getroffen. Der wollte aus dem Aufsichtsrat ausscheiden und für Mayrhuber Platz machen, wenn der 2010 den Vorstand verlassen würde. Daraus wurde nichts.

Unter den deutschen Spitzenmanagern geht Frust um, seit sie nicht mehr einfach vom Vorstand ins Kontrollgremium wechseln dürfen. Das verdanken sie der schwarz-roten Koalition von Kanzlerin Angela Merkel*, die diese Praxis im Sommer 2009 gnadenlos stoppte.

Die Bundesregierung, die nach dem Korruptionsdebakel bei Siemens und mitten in der Finanzkrise von Versprechungen der Managern die Nase voll hatte, schlug zu. Sie beschloss eine zweijährige Wartezeit für Vorstände, die in den Aufsichtsrat wechseln wollen. Nur eine Ausnahme wurde erlaubt: Wenn 25 Prozent des Aktienkapitals für die direkte Berufung eines Vorstandes in den Aufsichtsrat stimmen, entfällt die Wartezeit.

Der Corporate Governance Kodex gibt Regeln vor - ist aber kein Gesetz

Jetzt bleibt den enttäuschten Managern nur ihr Standard-Argument: Es gehe den Unternehmen zu viel Fachwissen verloren, wenn die Ex-Chefs nach Hause geschickt würden. Dem steht die Theorie entgegen, Ex-Firmenchefs hätten im Aufsichtsrat nichts zu suchen. Die Ex-Chefs könnten ihren Nachfolgern das Leben schwer machen und als Kontrolleure dafür sorgen, dass die eigenen Fehler vom Nachfolger nicht korrigiert würden.

Aus diesem Grunde gibt auch der deutsche Corporate Governance Kodex, der Regeln für gute Unternehmensführung vorgibt, seit Jahren die Regel vor: "Vorstandsmitglieder dürfen vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Ende ihrer Bestellung nicht Mitglied des Aufsichtsrats der Gesellschaft werden."

Doch dieser Kodex ist kein Gesetz. Die Empfehlungen können von den Firmen nach Belieben ignoriert werden. Die verbreitete Erbfolgepraxis, die viele Ex-Chefs vor dem psychologisch offenbar schwer verkraftbaren Absturz in die Bedeutungslosigkeit bewahrte, ging munter weiter. Nach 2002, dem ersten Jahr des Corporate Governance Kodex hatten in 17 von 30 Dax-Konzernen die ehemaligen Unternehmenschefs die Kontrolle.

"Das Gesetz hat sich bewährt"

Über den Sinn dieser Wartezeit, im Jargon der Manager Cooling-Off-Periode genannt, wird erbittert gestritten. Ist die Abkühlungsphase ein wirksames Mittel um alte Kungelprinzipien der gefürchteten Deutschland AG zu beenden? Geht das Gesetz zu weit? Henning Schulte-Noelle, 69, der Allianz-Aufsichtsratschef, behauptet, keine Analyse könne fundiert belegen, dass ein Ex-Chef im Aufsichtsrat die Arbeit des Nachfolgers beeinträchtige. Ähnlich sieht es Klaus-Peter Müller, 67, der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Commerzbank. "Mit dieser Regelung geht den Unternehmen viel Know how verloren". Beide Manager sind direkt vom Vorstandsvorsitzenden zum Chef der Aufsichtsrates geworden.

Der Groll ist groß, weil das Umgehen des Gesetzes von 2009 mit Hilfe des 25-Prozent-Quorums so gut wie aussichtslos ist, wenn es keinen Großaktionär gibt. Einer der Mächtigen hat es versucht - und ist auf die Nase gefallen. Josef Ackermann, der Chef der Deutschen Bank war im Herbst auf die Idee gekommen, den Posten des Aufsichtsrates in Deutschlands größtem Geldhaus anzustreben. Doch der Bankmanager fand unter den Aktionären keine 25 Prozent-Gruppe, die seinen Plan unterstützen wollten, seinen Nachfolgern Anshu Jain und Jürgen Fitschen demnächst von oben auf die Finger zu sehen.

"Das Gesetz hat sich bewährt", sagt der Hamburger Professor für Wirtschaftsrecht, Michael Adams über die Frustparagraphen. "Es besteht die Gefahr, dass die früheren Chefs nicht loslassen können." Allerdings sei die Vorgabe sehr sehr rigoros, räumt Adams ein. Die Bundesregierung könnte, so regt der Professor an, darüber nachdenken, wenigstens die Wahl eines Vorstands zum einfachen Aufsichtsratsmitglied zu erlauben. Denkbar sei auch, über eine Senkung des Umgehungs-Quorums nachzudenken. Auch der Chef der Aktionärsschützer-Vereinigung DSW, Ulrich Hocker, schlägt vor, die Wahl zum einfachen Mitglied des Aufsichtsrates zuzulassen.

Warten oder woanders hingehen

Doch derzeit bleibt den verärgerten Herren nur der Weg, entweder geduldig zu warten oder sich woanders zu verdingen. Für viele eine Zumutung. Der Lufthanseat Mayrhuber leitet jetzt den Aufsichtsrat des Chip-Herstellers Infineon. Der verhinderte Bayer-Kontrolleur Wenning tröstet sich mit dem Posten des Chef-Aufsehers beim Düsseldorfer Energiekonzern Eon. Der Tapetenwechsel für die Ex-Chefs muss für die Konzerne aber kein Nachteil sein. "Vielleicht können sie in anderen Unternehmen viel mehr Gutes tun als in ihrer Heimatfirma", mutmaßt ein früherer Lufthansa-Manager.

Dass es anders geht, beweist der Aufsichtsratsvorsitzende von BMW, Joachim Milberg, 68. Der stets zurückhaltend auftretende Maschinenbau-Professor war von 1999 bis 2002 Vorstandschef von BMW. Erst zwei Jahre später übernahm er den Spitzenposten im Aufsichtsrat. Das geschah freiwillig, eine Abkühlungsvorschrift gab es noch nicht. Niemand würde behaupten, dass BMW dadurch Schaden genommen hätten, dass Milberg zwei Jahre nicht im Hause war.

Der ungeduldig auf seinen neuen Job wartende Bayer-Kontrolleur Wenning wird sich nicht lange einarbeiten müssen, wenn er im Oktober als genügend abgekühlt gilt. Der leidenschaftliche Fußballfan hat auch nach seinem Abschied als Vorstandsvorsitzender engen Kontakt zum Unternehmen gehalten und das nicht nur als Vorsitzender im Gesellschafterausschuss des Fußball-Werksclubs Bayer Leverkusen.

*Hinweis der Redaktion: Hier war von der "rot-grünen Koalition von Kanzlerin Angela Merkel" die Rede, der Fehler ist nun korrigiert.

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