Süddeutsche Zeitung

Geschichten aus Griechenland:"Was uns zerstört, ist die Angst"

Die Deutschlehrerin Rania Athousaki muss auf Kreta Schülern erklären, warum sie die Sprache eines Landes lernen sollen, das sie gängelt. Die europäischen Medien, so findet sie, vermitteln ein falsches Bild der Griechen. Und für ihre Not interessiere sich im Ausland niemand.

Jannis Brühl

Die SZ hat mir ihren Lesern über Facebook, Twitter und Google Plus Menschen gesucht, die in Griechenland leben. Wir haben mit ihnen telefoniert, gesprochen, ihnen zugehört. Und alles aufgeschrieben. Jetzt erzählen wir ihre Geschichten.

Rania Athousaki fürchtet, dass man sie falsch versteht. "Verstehen Sie?", fragt sie immer wieder, nach fast jedem zweiten Satz. Dabei versteht man sie, ihr Deutsch ist seit ihren Studienjahren in Potsdam und Saarbrücken fast perfekt. Sie unterrichtet griechische Grundschüler in Deutsch. Es habe einfach schon zu viele Missverständnisse gegeben, findet sie; vor allem über die Medien will sie sprechen: "Die schreiben: Die Griechen sind Faulenzer, das hier ist das Land der Betrüger."

Für die Not der Menschen interessiere sich im Ausland niemand. "Vor zwei Jahren ist alles gekippt", sagt sie. Das Gehalt, das sie an der Schule in Heraklion auf Kreta verdient, ist um ein Drittel gekürzt worden, von 1200 Euro auf 800. Ihre Miete, 250 Euro, konnte sie sich nicht mehr leisten. Sie zog wieder bei ihren Eltern ein - mit Anfang dreißig.

Über ihre eigene Situation beschwert sie sich aber nicht. Sie sei ja Beamtin, Selbständige hätten es viel schwerer. Athousaki sagt: "Jede gesellschaftliche Gruppe schiebt die Verantwortung weiter. Jeder denkt, der andere ist schuld." In ihrer Klasse sieht sie mittlerweile immer mehr Kinder, die verwahrlosen. Von denen erzählt sie Geschichten, will damit aber nicht zitiert werden.

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Griechenland beschäftigt sie. "Die schlechte Stimmung hat angefangen mit dem Focus-Titelbild, auf dem eine griechische Statue den Mittelfinger zeigt", sagt Athousaki. Sie musste sich vor ihren Schülern rechtfertigen, erzählt sie. "Die fragen: 'Warum lerne ich ausgerechnet die Sprache des Landes, das uns am meisten gängelt?'"

Rania Athousaki ist jetzt 33. "Eigentlich ein wunderbares Alter, in dem man sein Leben gestaltet, über Kinder nachdenkt." Aber ihre Zukunft will sie im Moment nicht planen. Das Schlimmste sei die Ungewissheit: "Was uns am meisten zerstört, ist die Angst."

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Quelle:
SZ vom 02.06.2012/sana
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