Geschichte von Bayer:Revolution statt Evolution

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Monsanto steht für Glyphosat und Bayer für Aspirin? So einfach ist es nicht.

Von Varinia Bernau und Elisabeth Dostert, Leverkusen/München

Werner Baumann ist ein fast unscheinbarer Mann. Die Haare kurz, die runden Brillengläser von einem filigranen grauen Gestell gefasst. Als er sich im Frühling, kurz bevor er sein Amt als Konzernchef von Bayer antrat, vorstellte, erzählte er in rheinischem Singsang, wie er als Kind in der Backstube der Eltern geholfen habe. Er erzählte von seiner Leidenschaft für einen alten Golf GTI. Davon, dass er noch am Wochenende unter der Spüle seiner Küche gelegen habe, um den Abfluss zu reparieren. An jenem Abend in Leverkusen zeichnete Baumann von sich das Bild eines bescheidenen, bodenständigen Mannes. Fragen zu möglichen Gesprächen mit Monsanto bügelte er ab. "Sie sollten nicht davon ausgehen, dass Bayer sich in eine vollkommen andere Richtung bewegen wird." Eher Evolution statt Revolution, das war seine Botschaft.

Die Revolution folgte etwa einen Monat später. Da erläuterte Baumann, nachdem durchgesickert war, dass sein Konzern Monsanto ein Übernahmeangebot vorgelegt hatte, in einer eilig einberufenen Telefonkonferenz, warum der Deal eine gute Sache sei. Mit knapp 60 Milliarden Euro ist dies der teuerste Kauf in der 153 Jahre langen Geschichte des Konzerns.

Bayer hat sich in dieser Zeit mehrfach gehäutet. Ohne Makel ist der Konzern nicht. Monsanto ist böse, so sehen das viele. Aber Bayer ist nicht das Gegenteil. In der langen Geschichte gibt es viele Skandale. In der Zeit des Nationalsozialismus spielte das Unternehmen als Teil der I. G. Farben eine zerstörende Rolle. Immer wieder kommt es im Laufe der Jahrzehnte in Werken von Bayer zu Unfällen. Die Firma verkauft Medikamente mit fatalen Nebenwirkungen wie den Cholesterinsenker Lipobay oder die Antibabypillen Yasmin oder Yasminelle, die im Verdacht stehen, Thrombosen auszulösen.

Ein Kapitel in der 153-jährigen Geschichte: enge Verbindungen zur NSDAP

Der Konzern überlebt schwere Zeiten, weil er sich einfügt, unterordnet, wandelt, zukauft und abspaltet. Gegründet hat ihn 1863 in Wuppertal der Farbstoffhändler Friedrich Bayer zusammen mit Johann Friedrich Weskott. Schon 1881 wird aus der Handelsgesellschaft eine Aktiengesellschaft. Die Familien Bayer und Weskott erkennen früh, wie wichtig Forschung ist. Die treibt der Chemiker und spätere Generaldirektor Carl Duisberg im eigenen Laboratorium in Wuppertal voran. Sein Nachfolger an der Konzernspitze, Felix Hoffmann, entdeckt 1897 eher zufällig das schmerzstillende, entzündungshemmende und fiebersenkende Mittel Aspirin. Das verkauft Bayer bis heute. Unter Duisbergs Führung verlegt Bayer den Firmensitz nach Leverkusen. Er denkt weit voraus: breite Straßen, klare Strukturen, Platz für Jahrzehnte.

Auf Duisbergs Initiative schließen sich 1904 Bayer, BASF und Agfa zu einer Interessengemeinschaft zusammen, 1916 schließt sich ihnen das Bündnis aus den Firmen Hoechst, Casella und Kalle an, 1925 entsteht die I. G. Farben. Die insgesamt acht beteiligten Firmen übertragen ihr Firmenvermögen zunächst der BASF, die dann in I. G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft mit Sitz in Frankfurt umfirmiert, ein Kartell. Bayer wird aus dem Handelsregister gelöscht. Die Werke werden Teil der Betriebsgemeinschaft Niederrhein.

In den Dreißigerjahren expandiert die I. G. Farben durch die Arisierung jüdischer Unternehmen. Sie wird zum größten Unternehmen Europas mit engen Verbindungen zur NSDAP. Eine der Beteiligungen der I. G. Farben vertreibt das Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B, das in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau zum Massenmord eingesetzt wird. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wollen die Alliierten das Chemie-Kartell, Inbegriff des Bösen, zerschlagen. Anfang der Fünfzigerjahre wird es dann in seine alten Bestandteile aufgetrennt: Bayer entsteht 1951 neu, 1952 kommt als Tochterfirma Agfa hinzu.

Vorstandschef Ulrich Haberland und sein Nachfolger Kurt Hansen richten Bayer wieder auf. Mit Pflanzenschutzmitteln, neuen Chemiefasern wie Dralon und neuen Medikamenten. 1963 setzt Bayer mit knapp 80 000 Mitarbeitern rund 4,7 Milliarden D-Mark um. Manfred Schneider, bis 2002 zehn Jahre lang Vorstandschef, organisiert den Konzern unter einer Holding neu. Er verkauft, was nicht mehr in die Zeit und zu Bayer passt: die Fotoaktivitäten von Agfa. Und Schneider kauft ein, 2001 für 7,25 Milliarden Euro Aventis Crop Science. Damit katapultiert er Bayer in die Weltspitze der Anbieter von Pflanzenschutz, der Teilkonzern Bayer Crop Science entsteht. Um ihn geht es vor allem bei der geplanten Fusion mit Monsanto.

Es folgen weitere Trennungen. 2005 spaltet Bayer die Chemie und Teile des Polymergeschäfts in der neuen Lanxess AG ab. Die Aktionäre bekommen für zehn Bayer-Papiere eines von Lanxess. Nach diesem Muster trennte sich Bayer vergangenes Jahr von der in die neue Covestro AG eingebrachten Kunststoffsparte. Der Niederländer Marijn Dekkers, Baumanns Vorgänger, richtet den Konzern konsequent auf die lukrativen Bereiche Pharma, Gesundheit und Agrarwirtschaft aus. Unter seiner Führung steigt Bayer zum wertvollsten Konzern im Deutschen Aktienindex auf.

Doch dies war Dekkers Erfolg. Nun muss Baumann eigene Erfolge vorweisen. So sehr es mit Bayers Aktienkurs unter Dekkers aufwärtsgegangen war: Im weltweiten Wettbewerb mit der Konkurrenz konnte Bayer seine Position gerade so halten. In den beiden verbliebenen Kerngeschäftsfeldern Pharma und Agrarchemie hatte ein munteres Monopoly begonnen: Die Unternehmen boten immer größere Summen, buhlten immer aggressiver um die am meisten versprechenden Firmen. Darauf musste Bayer reagieren - wenn der Konzern weiter vorne mitspielen wollte. Wenn er nicht selbst geschluckt werden wollte.

Das ist die eine, die strategische, Erklärung für den Deal mit Monsanto. Die andere liegt in Baumann selbst. So sehr er sich auch um ein bescheidenes Auftreten bemüht: Der Mann hat Ambitionen. Er ist längst nicht mehr derselbe wie im Spätsommer 1988. Damals fing er bei Bayer an, weil er es dort für gemütlicher hielt als bei den Wirtschaftsprüfern, von denen er auch ein Angebot hatte. Damals wollte er nebenbei noch seine Doktorarbeit schreiben, dann packte ihn der Ehrgeiz.

Baumann blieb bei Bayer. Immer wieder war er auf entscheidenden Posten: Nach dem Lipobay-Skandal 2001 wurde er zum Aufbauhelfer der Pharmasparte. Er gliederte den größten Zukauf, den Berliner Pharmakonzern Schering, ein. Er orchestrierte den Börsengang von Covestro 2005. So wuchs seine Erfahrung. Womöglich aber auch seine Überzeugung, dass es immer noch eine Nummer größer sein muss. Ob Baumann der nächsten großen Nummer gewachsen ist, muss er nun zeigen.

Der Bayer-Chemiepark in Leverkusen. (Foto: Oliver Berg/dpa)
© SZ vom 16.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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