Gescheitertes Start-up:Zombieland

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Eine Karte, viele Kinos – und das zum Vorzugspreis. Das war ein verlockendes Angebot, aber am Ende keine gute Geschäftsidee. (Foto: ASSOCIATED PRESS)

Das Kino-Abo-Unternehmen Moviepass hat Hunderte Millionen Dollar verbrannt. Ein Lehrstück darüber, wie Investitionen in der Tech-Branche funktionieren.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es heißt ja immer, dass man über Tote nur Gutes berichten solle - weshalb man über das vor zwei Wochen wegen Verlusten im neunstelligen Bereich geschlossene Kino-Abo-Portal Moviepass für immer schweigen sollte. Geschäftsführer Ted Farnsworth hat allerdings lebensrettende Maßnahmen eingeleitet, er will die Plattform, Produktionsfirma und Filmverleih vom Mutterkonzern Helios and Matheson kaufen und fortführen. Das ist eine schreckliche Idee, und es ist ein Symbol dafür, wie Investoren ticken, wie der oft so gepriesene Optimismus in der Technikbranche bisweilen den Blick auf die Realität vernebelt und was bei Start-ups tatsächlich zählt.

Moviepass war bei der Firmengründung vor acht Jahren durchaus keine schlechte Idee: Die Kinobranche suchte damals schon nach einem neuen Geschäftsmodell, auf der großen Leinwand liefen nur noch Superhelden-Spektakel, Zeichentrick-Filme und Action-Knaller, gesellschaftlich relevante Geschichten wurden im Fernsehen erzählt, und Streamingportale wie Netflix begannen gerade, die komplette Unterhaltungsindustrie aufzumischen. Das Prinzip von Moviepass war dem von Netflix recht ähnlich, der Kunde erhielt gegen eine monatliche Gebühr eine Film-Flatrate.

Es klang fast zu schön, um wahr zu sein. Alle sollten profitieren

Das Unternehmen wurde als dringend notwendige Low-End-Disruptor gefeiert, als Startup, das die Branche mit günstigen Preisen aufmischt und eine Revolution einleitet. Es klang fast zu schön, um wahr zu sein, weil alle zu profitieren schienen: Filmfans, die nicht mehr überlegen mussten, ob sie wirklich 18 Dollar für einen Film ausgeben wollten, der sie am Ende womöglich enttäuscht. Kinobetreiber, die zusätzliche Einnahmen über den Verkauf von Knabbereien und Getränken generierten. Moviepass als Vermittler, der nebenbei noch Daten sammelt. In drei Finanzierungsrunden nahm das Unternehmen 68,7 Millionen Dollar ein, beim Verkauf an das an der Börse notierte Helios and Matheson vor zwei Jahren hieß es, dass Moviepass sehr bald eine Milliarde Dollar wert sein könnte.

Nur: Nach dem Verkauf mussten die Zahlen offengelegt werden, und nun wurde klar, dass die Idee tatsächlich zu schön gewesen ist, um wahr zu sein. Moviepass bezahlte den kompletten Preis für eine Kinokarte, es musste rasant wachsen, um den Erwartungen gerecht zu werden. Das Abo kostete plötzlich 9,95 statt 50 Dollar pro Monat, eine Eintrittskarte laut Vereinigung der Kinobetreiber durchschnittlich 8,97 Dollar. Verlust im Jahr 2017: 150,8 Millionen Dollar. Für das Jahr danach prognostizierte der damalige Co-Chef Mitch Lowe, 20 Prozent der Kinobesucher in den USA zu vermitteln. So schnell wuchs Moviepass dann doch nicht, der Verlust des Mutterkonzerns im vergangenen Geschäftsjahr lag bei 329,3 Millionen Dollar.

Es ist nicht ungewöhnlich, für das enorme Wachstum (Moviepass kam Mitte vergangenen Jahres auf mehr als drei Millionen Abonnenten) kurzfristig Verluste hinzunehmen, das hatten Facebook, Amazon und Netflix auch getan. Lowe gab den Visionär, der über Daten der Kunden irgendwann massig Geld verdienen würde. "Wir sammeln unglaublich viele Informationen. Wir haben deine Adresse und wissen deshalb natürlich auch, wie der Haushalt aufgebaut ist: Kinder, Altersgruppen, Einkommen. Wir beobachten dich dabei, wie du von daheim ins Kino fährst. Wir wissen, welche Filme du guckst. Wir beobachten dich dabei, wohin du danach fährst", sagt er bei einem Vortrag in Hollywood: "Wir wissen alles über dich."

Am Ende fiel der Aktienkurs des Start-ups um 99 Prozent

Daten sind das Gold des 21. Jahrhunderts, Datensammler sind Goldgräber, und Kooperationen mit Fahrdiensten wie Uber oder Lyft, das Abspielen von Film-Trailern auf der Plattform oder der Verkauf von Werbung klangen zunächst vielversprechend, nur: Das Geschäftsprinzip war nicht originär, Kinoketten wie AMC, Regal und Cinemark konnten eigene Abo-Modelle einführen, Moviepass war nicht so groß, dass es nicht mehr hätte ignoriert werden können. Das Modell wirkte nicht mehr visionär, sondern altbacken wie das von Magazinen in den 1980er Jahren. Die wurden in den USA günstig im Abo verkauft, weil die Verlage dann zu Werbetreibenden sagen konnten: "Guckt mal her, wollt Ihr nicht viel Geld bezahlen, um so viele Menschen erreichen zu können?"

Moviepassexperimentierte, monatelang, es gab plötzlich Premium-Abos, Einschränkungen bei der Filmauswahl, eine eigene Produktionsfirma - und es gab Gerüchte, dass die Passwörter von besonders aktiven Kunden geändert wurden, damit die wenigstens kurzfristig nicht mehr ganz so aktiv sein konnten. Um die Verluste zu kompensieren, gab der Mutterkonzern immer neue Aktien heraus, am Ende fiel der Wert des Papiers innerhalb eines Jahres um 99 Prozent. Mitte September war es dann vorbei, das Wirtschaftsportal Business Insider berichtete von privaten Investoren, die mehr als 190 000 Dollar verloren haben.

Es passiert gar nicht mal so selten, dass Unternehmen mit neunstelligen Beträgen gefördert werden und dann aufgeben müssen, nur werden diese Geschichten von Firmen wie Anki (205 Millionen Dollar), Jawbone (929 Millionen), Arrivo (eine Milliarde) oder Solyndra (1,2 Milliarden) nicht so offensiv erzählt wie die erfolgreichen, der Optimismus soll bestehen bleiben. Die New Yorker Börse hat Helios and Matheson mittlerweile aus dem Index Nasdaq entfernt, es gibt nun Ermittlungen wegen Wertpapierbetrug sowie einige Sammelklagen unzufriedener Kunden und Investoren.

Über Tote nur Gutes, könnte man sagen, doch Farnsworth will nicht aufgeben. "Wir haben viele Fehler in den vergangenen Monaten korrigiert", sagt er: "Ich habe ebenfalls viel Geld investiert, ich könnte nun weggehen und sagen: 'Okay, hat nicht geklappt.' Ich könnte aber auch das Gute und das Schlechte betrachten und erkennen, dass das Gute überwiegt." Er will Moviepass als privates Unternehmen führen und dürfte sich nach Investoren umsehen. Die sollten wissen, dass sie nicht in ein visionäres Start-up investieren, sondern in einen Zombie.

© SZ vom 09.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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