Gescheiterte Unternehmer:Kluge Menschen, die Dummes anstellen

Lesezeit: 7 min

  • Bei der Fuck-up-Night in Düsseldorf erzählen gescheiterte Unternehmensgründer ihre Geschichten.
  • Sie wollen andere davor bewahren, die gleichen Fehler zu machen.

Von Varinia Bernau, Düsseldorf

Wolfgang Goergens hat 4,5 Millionen Euro in den Sand gesetzt. Deswegen ist er da. Und deswegen bekommt er den meisten Applaus. Große Summen machen nun einmal Eindruck. Ob bei einem Pitch, wo Gründer mit ihren Ideen um die Gunst von Investoren buhlen, oder an diesem Abend, der das ganze Gegenteil sein soll: In einem Düsseldorfer Hinterhof sind Unternehmer versammelt, die mit einer grandiosen Idee gescheitert sind. "Wenn du's richtig verkackst und keiner kriegt's mit, dann ist es auch nur halb so lustig", erklärt einer, warum er hier ist.

Die meisten Menschen verschweigen lieber, dass sie ein Projekt vermasselt haben - aus Angst, sich zu blamieren, aus Angst, keine zweite Chance zu bekommen. Einige wenige aber sprechen offen über ihr Versagen. Weil sie andere davor bewahren wollen, die gleichen Fehler zu machen. Weil all die Mühen nicht vergeblich gewesen sein sollen. Also sind an diesem Abend ein paar glücklose Start-up-Unternehmer in die ehemalige Waschstraße gekommen, wo heute Kreative einen Schreibtisch mieten können.

Eine Stimmung wie auf einer WG-Party

Sie nennen es die "Fuck-up-Night". Eine Stimmung wie auf einer WG-Party: Es gibt Bier mit Rhabarbergeschmack. Am Eingang liegen Zettel aus, auf die jeder schreiben soll, wer er ist - und was ihn bewegt. Dazu wird von jedem ein Polaroid-Bild gemacht. Eine Bühne für all jene, die über ihre Misserfolge statt über ihre Erfolge reden, über die harte Realität statt über vage Träume. Vorn greifen tapfere Männer zu Mikrofon und Power-Point-Präsentation; hinten hocken sie auf Stühlen und Tischen, lehnen an der Wand.

Eine Bühne also für Wolfgang Goergens, 54, der keine bunten Turnschuhe und keinen Hipsterbart trägt, sondern einen schlichten dunklen Anzug. Goergens hatte vor vielen Jahren eine verrückte Idee. Eine Idee, für die ihn der Mann bei der Stadtsparkasse zunächst zwar seltsam ansah, an die er aber trotzdem glaubte - und die auch bei vielen anderen ankam: In Hilden, einer Stadt mit 55 000 Einwohnern zwischen Düsseldorf und Wuppertal, eröffnete er 1999 das Pfötchenhotel, eine Luxuspension für Hunde. Es gab dort: zwei Körbchen und eine Minibar pro Zimmer, einen Hundefriseur, einen Tennisplatz, auf dem die Tiere gegen eine Maschine Ball spielen konnten - sogar jemanden, der den Hunden die Urlaubspostkarten von Herrchen und Frauchen vorlas.

Wolfgang Goergens (re.) führt Luxushotels für Hunde. Für das Pfötchenhotel in Berlin musste er kürzlich Insolvenz anmelden. (Foto: Coworkingspace Garage Bilk)

Der erste Tag der offenen Tür, so erinnert sich Goergens, begann morgens um neun. "Um zehn musste die Polizei den Verkehr regeln, so groß war der Ansturm." Im ersten Sommer waren sie ausgebucht. Selbst das japanische Fernsehen kam, um zu berichten. Und weil es so gut lief, dachte sich Goergens, das läuft auch anderswo. Zwei weitere Hotels für Hunde eröffnete er. Eines an der Nordsee, das andere in der Nähe von Berlin.

Ein Hundehotel vor den Toren Berlins - mit Sternwarte und Autokino

Dort kaufte er mit einem anderen Gesellschafter der Telekom ein Gelände ab, 850 000 Quadratmeter, "fast halb so groß wie Monaco", wie Goergens sagt, um gleich nachzulegen: "Es gab da doch mal so jemanden bei Apple, der den Slogan Think Big! ausgegeben hat, oder?" Es ist eine Anspielung auf Steve Jobs, jenen Mann, der als einer der ganz großen Unternehmer unserer Zeit gilt. Einer, der zwar auch mal gescheitert, aber trotzdem als einer in Erinnerung geblieben ist, dem scheinbar alles gelang, was der von ihm gegründete Technologiekonzern Apple unter seiner Führung anpackte. Und dann zählt Goergens auf, wie groß er seine Sache dachte. Das Pfötchenhotel vor den Toren von Berlin bekam: eine Waschstraße und eine Tierklinik, einen Swimmingpool und eine Sternwarte, sogar eine riesige Leinwand unter freiem Himmel wie beim Autokino. Die Liste wird immer absurder.

Das Publikum starrt Goergens an, schüttelt die Köpfe, klatscht, grölt. "Damit hat sich wohl auch die Frage erübrigt, was wir falsch gemacht haben", sagt Goergens, als er die Aufzählung aller Attraktionen beendet hat. Er macht eine Pause, gerade lang genug, damit man die offenkundige Antwort in Gedanken ausformulieren kann: klarer Fall von Größenwahn! Und dann gibt der Unternehmer doch eine andere Antwort: "Unser Fehler war, dass wir dafür eine eigene GmbH gegründet haben. Mit unserem eigenen Geld." Schallendes Gelächter.

Zwölf Jahre lang haben sie das Hotel betrieben - und nicht in einem einzigen Jahr schwarze Zahlen geschrieben. "Wieder und wieder haben wir uns gesagt: Das wird schon", erinnert sich Goergens. Aber, sagt er nun und dehnt dabei jede einzelne Silbe: "Es wurde nicht." Noch mal: Gelächter.

Dafür, dass es an diesem Abend ums Scheitern geht, wird erstaunlich viel gelacht. Nicht hämisch, eher amüsiert über die Absurditäten des Lebens. Darüber, dass auch kluge Menschen mitunter ziemlich dumme Dinge anstellen. Die Männer, die an diesem Abend von ihren Fehlern berichten, tun dies jedenfalls sehr ehrlich, sehr offen - und mit einer gehörigen Portion Selbstironie. Die Zuhörer ziehen ihre eigenen Schlüsse. Sie stellen Fragen. Und sie erzählen von ganz ähnlichen Dummheiten.

All diese Geschichten wirken authentisch - und nicht so aufgeblasen wie die Weisheiten, die Motivationstrainer gern gegen hohe Honorare verteilen. Und sie machen Mut. Manch einer bleibt, wenn er gestolpert ist, am Boden liegen. Und manch einer steht wieder auf, klopft sich den Dreck von der Hose - und sagt: "Jetzt erst recht!" Holger Prang zum Beispiel. Ein großer, schlanker Mann, der Unternehmen bei IT-Projekten berät. Dass auch er im Anzug gekommen ist, bittet er zu entschuldigen. Er sei, so betont er, auch wenn sein Äußeres anderes vermuten lasse, einer von den Guten. Einer, dem die Umwelt am Herzen liege: Er wollte eine Windkraftanlage bauen, besser als alle anderen.

Holger Prang, 43, habe den größten Respekt davor, wenn Leute sich in eine Sache so richtig reinhängen, alles andere dafür stehen und liegen lassen. "Aber so einer bin ich nicht. Ich brauche einfach ein Sicherheitsnetz." Er hat also Teilzeit gearbeitet - und drei Jahre lang an einem Prototypen gebastelt. "Alle haben gesagt: 'Super, dass du das machst!' Aber da war keiner dabei, der gesagt hätte: 'Mensch, kann ich dir helfen?'", resümiert Holger Prang und wirkt dabei verwundert.

Holger Prang hatte den perfekten Prototypen für ein Windrad entwickelt - die Rechte, solch eine Anlage zu bauen, hatte aber ein anderer. (Foto: Coworkingspace Garage Bilk)

Am Ende, als alles fertig war und funktionierte, wollte er ein Patent anmelden - und bekam eine E-Mail aus den USA. "Wir brauchen nichts von dem, was du da gebaut hast", ließ ihn ein Fremder wissen, der das Patent bereits sein Eigen nannte: sein Patent. Es war ein Schlag ins Gesicht. Holger Prang hatte den perfekten Prototypen. Aber die Rechte, solch eine Anlage zu bauen oder damit Geld zu verdienen, dass irgendjemand sie baut, die hatte ein anderer. Einer, so erfuhr Holger Prang später, der keinen Prototypen, aber auch kein Interesse an einer Zusammenarbeit hatte.

Was hat er also gemacht?

Prang wirft nun eine neue Folie an die Wand. Darauf steht seine Erkenntnis: "Alleine ist doof." Er hat eine andere Windkraftanlage gebaut, eine Nummer kleiner. "Damit lässt sich vielleicht nicht die Welt retten, aber mal eine Kühlbox oder ein Smartphone aufladen." Er hat die Baupläne für diese Anlage offengelegt. Er will damit nicht reich werden. Er will, dass die Menschen die Anlage nutzen und so dazu beitragen, die Welt ein bisschen sauberer zu machen. "Wenn die Chinesen das millionenfach kopieren, dann hätte ich mein Ziel erreicht", sagt Holger Prang. Applaus brandet auf.

"Kopfkino gepaart mit Größenwahn"

Wie Menschen sich eine bestimmte Situation erklären, das wurde von Psychologen gründlich untersucht. Erfolge schreiben sie sich selbst zu. Wenn aber etwas schiefgeht, sagen sie, dass die Umstände daran schuld waren. Das ist ein gesunder Schutzmechanismus. Nur: Wer sich damit begnügt, der wird es in Zukunft nicht besser machen. Zu einer wichtigen Erfahrung wird ein Fehler erst dann, wenn man auch darüber nachdenkt, wie man ihn hätte vermeiden können. So wie Kay Spiegel, 37.

Er scheiterte mit seiner Idee eines Hochzeitsmagazins im Netz: Kay Spiegel. (Foto: Coworkingspace Garage Bilk)

Er hat in seiner damaligen Heimatstadt Trier ein erfolgreiches Hochzeitsmagazin aufgelegt. Nach drei Ausgaben kam er auf die Idee, das Ganze ins Netz zu verlagern. Er dachte, dass all die Anzeigenkunden begeistert wären, wenn er ihnen ein digitales Rundumpaket präsentieren würde. Aber die fanden das daneben. Die wollten weiterhin ein klassisches Magazin aus Papier.

Ein halbes Jahr später nahm Kay Spiegel die Seite aus dem Netz, etwa 60 000 Euro hatte er da bereits reingesteckt. Viel zu spät sei ihm klar geworden, dass man, beflügelt von den ersten Erfolgen, niemals aufhören sollte dazuzulernen. Statt Buzz-word-Bingo zu spielen, wie er sagt, solle man mit anderen reden - und vor allem zuhören. "Nicht denken, dass andere da draußen schneller sind. Das ist alles Mumpitz", sagt Spiegel nun.

Einer aus dem Publikum will wissen, warum um alles in der Welt er denn überhaupt etwas Neues ausgeheckt hatte - wo doch sein bisheriges Geschäft gut lief. "Kopfkino gepaart mit Größenwahn", entgegnet Spiegel. Nach drei vollen Ausgaben, nach drei gleichen Schlaufen, die er mit seinem Hochzeitsmagazin durchlaufen hatte, stellte sich eine gewisse Müdigkeit ein. Manche Gründer scheitern eben auch daran, dass sie nie zufrieden sind, dass es immer eine Nummer größer werden muss.

Nur die Nebensätze offenbaren, wie schwer ihm die Sache zusetzt

Und die Sache mit dem Pfötchenhotel kurz vor Berlin? Warum ist die gescheitert? Warum begeisterte das, was in Hilden, später auch noch an der Nordsee so viele begeistert, niemanden in Berlin? Goergens kann sich das selbst nicht erklären - und versucht sich an einem Scherz: "Der Berliner war ja lange eingemauert. Und jetzt, da die Mauer weg ist, macht er nun einmal einfach nicht das, was die Leute im Rest der Republik machen." Natürlich, sagt er später selbstkritisch, sei das alles nicht die Schuld der Berliner. "Unser Fehler war: Wir haben zu lange gehofft." Kürzlich hat er für das Berliner Pfötchenhotel Insolvenz angemeldet.

Für einen, der 4,5 Millionen Euro in den Sand gesetzt hat, wirkt Goergens ziemlich gelassen. Wie schwer ihm die Sache zusetzt, offenbaren eher Nebensätze. Zum Beispiel, als er erzählt, wie er mit dem Kundenservice von Amazon gestritten hat, weil er dort keine DVD mehr bestellen darf. Er hat sogar angeboten, ein neues Konto anzumelden. Hat darauf hingewiesen, dass er doch auch zwei andere, durchaus profitable Hotels führe. Nichts zu machen. "Für die bin ich auch privat tot."

Wirklich etwas zu wagen, ist eben alles andere als ein Spaß. Und mit Misserfolgen umzugehen, wohl eine Lebensaufgabe.

© SZ vom 02.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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