Geschäftsidee in Shanghai:Herr der Großstadt-Sherpas

Essen auf Rädern: Der Amerikaner Mark Secchia gründete einen Lieferservice in Shanghai - ein Lehrstück über kulturelle Unterschiede.

Jakob Tanner

Man muss kein Investmentbanker oder Automanager sein, um in Shanghai als Ausländer erfolgreich zu sein. Mark Secchia grinst: "Ich hatte Hunger und ich war zu faul zum Kochen", erinnert sich der Amerikaner an die Geburtsstunde seiner eigenen Geschäftsidee. Was vor zehn Jahren aus der eigenen Not heraus entstand, ist heute ein Unternehmen mit 250 Mitarbeitern.

Geschäftsidee in Shanghai: Lieferservice in Shanghai - eine rasant gewachsene Geschäftsidee des Amerikaners Mark Secchia.

Lieferservice in Shanghai - eine rasant gewachsene Geschäftsidee des Amerikaners Mark Secchia.

(Foto: Foto: Tanner)

Secchias "Sherpa's" ist eigentlich nichts anderes als ein Lieferservice - nur viel größer. Egal ob Pizza vom Italiener oder Sushi vom Japaner, Burger aus der Sports Bar oder doch chinesisches Gong Bao Ji Ding: 120 Kuriere fahren auf ihren Rollern mehr als 170 Restaurants aus ganz Shanghai an und bringen das, wonach dem Kunden gerade ist, bis an die Haustür.

Aus der Not geboren

Vor zwölf Jahren wäre der 35-jährige Amerikaner mit den gelockten kurzen Haaren, der in seinem Büro sitzt und an einen "New Economy"-Vertreter erinnert, froh gewesen um solch einen Service. Er war Mitte der Neunziger seiner heutigen Ehefrau nach China gefolgt.

Sie arbeitete damals bis in die Abendstunden; auch Secchia kam während seines MBA-Studiums immer erst abends nach Hause. Es wurde regelmäßig zu spät, um noch zum Essen auszugehen. "Also rief ich bei einigen der schönen Restaurants an und fragte, ob sie uns das Essen auch nach Hause liefern würden. Sie alle hatten die gleiche Antwort für mich: 'Nein, aber viele Kunden fragen uns das.'" Da war sie, die Geschäftslücke.

Die Tücken des Alltags

Beim Rundgang durch die Büroräume von "Sherpa's", die fast eine ganze Etage des Gebäudes einnehmen, wird klar: Um diese Geschäftslücke zu schließen, brauchte es ein hartes Stück Arbeit und viel "learning on the job", wie es Secchia nennt.

Bei mehr als tausend Bestellungen an guten Tagen und mehr als 20.000 Gerichten kann vieles schief gehen: Im Callcenter, das Bestellungen auf Chinesisch und Englisch annimmt, bei der Routenplanung für die Kuriere, die möglichst effizient sein soll, in den Restaurants, die sicherheitshalber per Fax und per Telefon die Bestellung weitergeleitet bekommen. Doch neben all den Schwierigkeiten, die solch ein großer Heimservice mit sich bringt, hatte Secchia noch mit etwas anderem zu kämpfen: mit dem kulturellen Unterschied.

Lesen Sie auf der nächsten Seite über die Herausforderungen und Vorteile, als Ausländer ein Geschäft in China zu betreiben.

Herr der Großstadt-Sherpas

Auf die Frage, wie einfach sich ein Unternehmen in China führen lässt, stockt der ansonsten redselige Amerikaner: "Lass es mich so sagen: Es gibt kulturelle Gegensätze, die man überbrücken muss." Das Jobtraining für die Callcenter-Mitarbeiterinnen dauere 100 Tage, das seiner Kuriere 30.

Sherpas

Sherpas in Shanghai

(Foto: Foto: Tanner)

Lächeln üben für mehr Trinkgeld

"Ich nehme dich nicht auf den Arm: Während des Trainings für die Kuriere gibt es einen 'Smile day', an dem sie nichts tun außer lächeln", sagt Secchia. Die chinesischen Fahrer wollten mit ernstem Gesicht zeigen, dass ihnen ihre Arbeit wichtig ist. Bei den ausländischen Kunden - rund 80 Prozent der täglich bis zu 2000 Kunden, schätzt der Amerikaner und rechnet mit mindestens zwei Kunden pro Bestellung - komme das aber ganz falsch an. "Sie wollen keine Kuriere, die aussehen, als ob sie schlechte Laune haben. Sie wollen lächelnde Kuriere - und geben dann auch mehr Trinkgeld."

Die Kundschaft besteht hauptsächlich aus berufstätigen Ausländern mit "viel Geld, aber wenig Zeit", wie sie Secchia definiert. "Unser großer Vorteil ist das Callcenter, bei dem man auf Englisch bestellen kann. Wenn die hier lebenden Ausländer alle Chinesisch sprächen, gäbe es meine Firma nicht."

Und die Behörden? Secchia überlegt wieder lange. "Klar, mit Behörden gibt es immer wieder gewisse Probleme. Aber die will ich hier nicht ausbreiten. Ich kann soviel sagen: Ich habe noch nie auch nur ein RMB gezahlt, zu dem ich per Gesetz nicht gezwungen war." Hätte er auch nur einmal die oftmals aus der Luft gegriffenen "Gebühren" gezahlt, "ich bin mir sicher, die wären immer wieder gekommen."

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Herr der Großstadt-Sherpas

Mark

Mark Secchia mit seiner Frau Laurie.

(Foto: Foto: Tanner)

Ein Beispiel: "Einmal standen die Behörden auf der Matte und wollten, dass ich mehrere 100.000 Sherpa-Bücher - 160-seitige Restaurantverzeichnisse mit allen Speisekarten - wieder einsammle." Diese Sherpa-Bücher liegen in allen Partnerrestaurants und vielen Cafés umsonst zum Mitnehmen herum.

Lohnender Widerstand

Der Grund für die Direktive: "Angeblich durfte ich nicht mit dem Wort 'best' in meinem Slogan 'the best restaurants delivered to you' werben. Sie wollten tatsächlich, dass ich alle einsammle und das Wort überklebe - oder eine Gebühr bezahle. Als sie merkten, dass sie auf gehörigen Widerstand bei mir stießen, ließen sie ab."

Trotz dieser Geschichte betrachtet Secchia sein Unternehmen "unsichtbar für manche Radare" - auch wenn seine Kuriere mit ihren orangefarbenen Uniformen und Sherpa-Rollern in manchen Bezirken zum Stadtbild gehören. "Wenn ich ein Restaurant betreiben würde, das täglich 2000 Menschen bedient, hätte ich schnell eine Schlange von Leuten vor dem Haus, die die Hand aufhalten. Doch wir sind versteckt im Büro und werden nicht verdächtigt, so erfolgreich zu sein, wie wir es sind."

"Ich war lange genug faul"

Damit die Kunden immer wieder kommen, legt der Chef viel Wert auf Kundenbetreuung. Er will nicht einer jener Manager sein, die vom Chefsessel aus Befehle erteilen und wütend werden, wenn etwas nicht läuft. Sämtliche Beschwerde-Mails und -anrufe werden nach zehn Jahren immer noch auf sein Telefon weitergeleitet - und regelmäßig müssen alle Führungskräfte an die frische Luft. "Einmal im Jahr müssen wir alle für einen Tag den Job der Kuriere machen." Die Leute staunten nicht schlecht, wenn ihre Pizza von einem großen Amerikaner geliefert werde. "Das tut mir gut", sagt Secchia. "Ich war lange genug faul."

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