Süddeutsche Zeitung

Gerichtsurteil:Verfassungsgericht muss Kinderfreibeträge prüfen

Eine Steuerberaterin hatte geklagt, weil sie die Entlastung für zu niedrig hält. Nun ist das Gericht in Karlsruhe am Zug. Im Extremfall könnten viele Eltern Geld zurück bekommen.

Eltern haben 2014 zu viele Steuern gezahlt. Das sagt zumindest das niedersächsische Finanzgericht: Die Kinderfreibeträge, also Steuererleichterungen für Eltern, seien 2014 zu niedrig gewesen. Und nicht nur das: Die Art und Weise, wie die Bundesregierung diese Freibeträge berechnet, ist für die Richter verfassungswidrig. Als nächstes muss sich das Bundesverfassungsgericht mit diesem Problem beschäftigen. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was ist der Kinderfreibetrag?

Der Kinderfreibetrag soll Eltern finanziell entlasten. Sie müssen auf einen bestimmten Teil des Einkommens keine Steuern zahlen, um das Existenzminimum der Kinder zu sichern. Derzeit liegt dieser Kinderfreibetrag bei 2304 Euro pro Jahr und Elternteil, zusammen also 4608 Euro. Er wird in die Einkommenssteuererklärung einbezogen und mit dem Kindergeld verrechnet. Wenn Eltern mehr Kindergeld bekommen haben, als sie durch die Freibeträge an Steuern sparen würden, wird der Kinderfreibetrag nicht berücksichtigt.

Worum ging es in der heutigen Entscheidung?

Eine Mutter von zwei Kindern klagte vor dem niedersächsischen Finanzgericht, weil sie der Meinung war, dass die Freibeträge nicht korrekt angesetzt werden. Entsprechend ging es bei der Entscheidung um die damals noch etwas niedrigeren Freibeträge des Jahres 2014. Die Bundesregierung legt in regelmäßigen Abständen neu fest, wie hoch der Kinderfreibetrag ist. In dem sogenannten "Existenzminimumbericht" für 2014 stand, dass der Freibetrag bei 4440 Euro pro Kind liegen sollte, also bei 2220 Euro pro Elternteil. "Diese Ankündigung hat der Gesetzgeber jedoch nicht umgesetzt", sagt das niedersächsische Finanzgericht. "Die Kinderfreibeträge sind vielmehr erst ab dem Veranlagungszeitraum 2015 angehoben worden." Der Betrag blieb im Jahr 2014 bei 4368 Euro und damit unter den eigenen Vorgaben. Durch diese Differenz in Höhe von 72 Euro zwischen der Vorgabe im Existenzminimumbericht und dem tatsächlich damals geltenden Freibetrag von 4368 Euro seien ihr im Jahr 2014 insgesamt 820 Euro an Steuervergünstigungen verloren gegangen, argumentierte die Klägerin.

Was sagt das Gericht dazu?

Für das Gericht geht es bei der Klage um mehr als den konkreten Fall. Richterin Georgia Gascard betonte: Aus Sicht des Gerichts ist die Art und Weise, wie die Bundesregierung die Kinderfreibeträge berechnet, verfassungswidrig.

Wie begründet das Gericht diese Auffassung?

Das Gericht hinterfragt, ob die bisherige Umsetzung der Kinderfreibeträge gerecht ist. Wenn Eltern für ihr Kind zum Beispiel Sozialhilfe bekommen, werden die ausgezahlten Beträge nach dem Alter gestaffelt. Für ältere Kinder gibt es also mehr Geld. Der steuerliche Freibetrag aber ist für alle Kinder gleich, egal wie alt sie sind. Diese Ungleichbehandlung ist aus Sicht des Finanzgerichts verfassungswidrig.

Wie geht es nun weiter?

Die Klage wird nun zur endgültigen Entscheidung dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. "Bis dort eine Entscheidung gefällt wird, können drei oder vier Jahre vergehen", sagt ein Sprecher des Finanzgerichts. Die Klage könnte sogar noch abgelehnt werden, doch das gilt als unwahrscheinlich.

Sollte das Bundesverfassungsgericht die Klage zulassen und ebenfalls im Sinne der Klägerin entscheiden, gibt es zwei Möglichkeiten: Die wahrscheinlichste wäre, dass das Gericht der Bundesregierung eine Frist setzt. Sie müsste dann bis zu einem bestimmten Zeitpunkt die verfassungswidrigen Stellen des Gesetzes ausbessern. Die zweite Möglichkeit wäre, dass die Bundesregierung die Steuerfreibeträge nachzahlen muss. Das könnte aufgrund der Vielzahl von Betroffenen Millionen kosten.

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