Gerhard Cromme:Der die Menschen umgarnt

Einst war Gerhard Cromme der Schreck der Arbeitnehmer - heute sind die Gewerkschafter die wichtigsten Verbündeten des Chefaussehers von Thyssen-Krupp. Sie verdanken ihm viel. Und sie schonen ihn.

Von Karl-Heinz Büschemann

Gerhard Cromme hat ungemütliche Monate hinter sich und wohl schwere Wochen vor sich. Der Aufsichtsratschef von Thyssen-Krupp muss sich mit Milliardenverlusten herumschlagen, die die Existenz des Konzerns mit 160 000 Mitarbeitern gefährden. Er muss erklären, wie es zu dem Missmanagement beim Bau von zwei Stahlwerken in Amerika kommen konnte, und wie es möglich war, dass schwere Korruptionsaffären ruchbar wurden. Am 18. Januar wird der hochgewachsene 69-Jährige in gebückter Haltung auf die Hauptversammlung in Bochum gehen. Dort wird es für ihn Prügel geben. Aktionäre und Fondsmanager werden seinen Rücktritt fordern. Cromme aber wird die Vorwürfe wie immer an sich abprallen lassen - und weitermachen wie bisher.

Cromme ist machtbewusst. Der Mann, der seit 2002 den Aufsichtsrat führt, hat das Kontrollgremium fast ausschließlich mit seinen Freunden besetzt. "Es wird keinen geben, der sich offen gegen mich stellen wird", sagt Cromme selbstbewusst in vertrauter Runde. Seine wichtigsten Helfer unter den Kontrolleuren sitzen auf der Arbeitnehmerbank.

Kaum war klar geworden, dass der Konzern im alten Geschäftsjahr katastrophale fünf Milliarden Euro Verlust gemacht hat, kam die Solidaritätsadresse der Arbeitnehmer. Es müsse "ein Schlussstrich" unter das Kapitel Stahlwerke gezogen werden. "Die von Herrn Dr. Cromme eingeleiteten Prüfungen und Untersuchungen sind richtig und notwendig." Keine Rücktrittsforderung. Der Konzern brauche eine starke Führung, sagt Bertin Eichler, IG Metall-Vorstand und stellvertretender Chef im Aufsichtsrat: Das gewährleiste Vorstandschef Heinrich Hiesinger "mit dem Aufsichtsrat unter der Führung von Dr. Cromme".

Früher warfen Arbeiter mit Tomaten

Cromme und die Arbeitnehmer arbeiten so eng zusammen wie in kaum einem anderen Unternehmen. Das Kalkül des Strategen ist einfach: Wer die Arbeitnehmer auf seiner Seite hat, kann alles durchsetzen. Kaum einer versteht es wie Cromme, die Arbeitnehmer zu umgarnen.

Einst waren Cromme und die Gewerkschaften erbitterte Gegner. Als der Manager vor 25 Jahren das Stahlwerk in Rheinhausen bei Duisburg schließen wollte, kam es zu monatelangen Demonstrationen in der Region. Politiker protestierten, Arbeiter warfen Tomaten. Heute hat der einst Verhasste die Gewerkschafter praktisch im Griff. Die sind für ihn kaum gefährlich. Sie hätten einiges zu verlieren.

Bei Thyssen-Krupp ist die Grenze zwischen Management und Arbeitnehmerschaft fließend. In dem Stahl- und Anlagenbaukonzern geht nichts ohne die IG Metall. Betriebsräte werden gut bezahlt, fast jeder Betriebsratsvorsitzende, von denen es Dutzende im Konzern gibt, fährt einen Dienstwagen. Arbeitnehmervertreter bilden hier eine Arbeiteraristokratie, die keine schwarzen Fingernägel mehr kennt. Kein Management-Posten bei Thyssen-Krupp wird ohne Zustimmung der Arbeitnehmer besetzt. Man braucht sich, man hilft sich, man lobt sich gegenseitig. Kritik - außer in Detailfragen - ist selten.

Die Enge birgt Risiken

Im kommenden Jahr übernimmt Oliver Burkhard, der mächtige IG-Metall-Chef von Nordrhein-Westfalen, den Posten des Thyssen-Krupp-Personalvorstandes. Damit verzehnfacht der 40-Jährige wahrscheinlich sein Gewerkschafter-Einkommen. Der jetzige Personalchef Ralph Labonte war auch IG-Metall-Funktionär. Gängige Praxis bei Thyssen-Krupp. Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates, Thomas Schlenz, wird Arbeitsdirektor der Stahltochter von Thyssen-Krupp. So was verbindet. Man lässt sich in Frieden.

Arbeitnehmer-Aufsichtsrat Eichler betont dagegen, der Umbau des Konzerns gehe "nur mit, nicht gegen die Beschäftigten". Die Arbeitnehmer unterstützten die Weiterentwicklung des Konzerns, "wenn sie umfänglich beteiligt werden und aktiv mitbestimmen können". Dass die Kontrolle schwerer werde, weil regelmäßig IG Metaller in den Konzernvorstand wandern, bestreitet er: "Dadurch wird die Kontrolle im Unternehmen nicht erschwert."

Merkwürdig aber ist, wie sich die Meinungen von Arbeiter-Aufsichtsräten und einfachen Betriebsräten unterscheiden. So beklatscht ein IG Metaller im Konzern-Aufsichtsrat den Verzweiflungsverkauf der Edelstahltochter Inoxum an den finnischen Konzern Outokumpu. "Wir haben bei einem anderen Eigentümer mehr Entfaltungsmöglichkeiten", sagt er. Das sind genau die Worte, mit der auch das Management den Verkauf des einstigen Erfolgsgeschäfts von Thyssen-Krupp begründet. Im Edelstahlwerk von Krefeld klingt das anders. Da sagt ein Betriebsrat wütend: "Wir fühlen uns verraten und verkauft."

Die Mitbestimmung hat viele positive Folgen. Die Zusammenarbeit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gilt als ein Grund des sozialen Friedens in Deutschland. Aber die Enge birgt auch Risiken. Die Gewerkschafter in den Aufsichtsräten können den Managern oft nicht mehr kritisch genug auf die Finger schauen. "Die Arbeitnehmer haben bei Thyssen-Krupp mehr Einfluss als in anderen Unternehmen", weiß der Münchner Betriebswirtschaftsprofessor Manuel Theisen. Den könnten sie aber "nicht in kritischer Distanz" zum Vorstand nutzen. "Das schränkt ihre Möglichkeiten zur Überwachung ein."

Thyssen-Krupp-Chef Hiesinger plant in seiner Not inzwischen ein massives Sparprogramm. Die Kosten sollen in den kommenden drei Jahren um zwei Milliarden Euro gesenkt werden, auch auf Kosten der Arbeitsplätze. Von den Arbeitnehmern war dazu bisher kein Kommentar zu hören.

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