Geplantes Freihandelsabkommen:EU einigt sich auf Verhandlungen mit USA

Die EU will die Hürden für den Handel mit den USA abbauen: Nach mehr als 15 Stunden einigten sich die Handelsminister auf ein Mandat für Verhandlungen beim G8-Gipfel in Nordirland.

Von Cerstin Gammelin, Luxemburg

Kurz vor Mitternacht befriedete eine Öffnungsklausel die zerstrittenen Handelsminister. Nach mehr als 15 Stunden zäher Verhandlungen einigten sie sich in der Nacht zum Samstag in Luxemburg auf ein Mandat, mit dem die Europäische Kommission umgehend Verhandlungen mit den USA über ein Freihandelsabkommen beginnen kann.

"Wir freuen uns, dass wir unser großes Ziel erreicht haben", sagte Anne Ruth Herkes, für Handel zuständige Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium. "Ein perfektes Ergebnis", sagte die französische Handelsministerin Nicole Bricq. Ähnlich äußerten sich der zuständige EU-Handelskommissar Karel De Gucht und der irische Handelsminister Richard Bruton, der die Verhandlungen leitete. Das Mandat sei "ein positives Signal für Amerika", sagte De Gucht.

Die EU und die Vereinigten Staaten wollen nun auf dem am Montag beginnenden G-8-Gipfel in Nordirland den Beginn der Verhandlungen bekannt geben. Die Einigung der Minister stand lange auf der Kippe. Frankreichs Handelsministerin Bricq hatte direkt zu Beginn des Treffens bekräftigt, dass Frankreich "jedes Mandat ablehnen wird, das nicht eindeutig kulturelle Dienstleistungen schützt und den Bereich Audiovisuelles aus den Verhandlungen ausschließt". An dieser starren Haltung scheiterten alle Appelle der Partner.

Am frühen Abend legte der irische Minister dann den neuen Kompromiss für ein Mandat auf den Tisch. Darin heißt es in Paragraf 21, "audiovisuelle Dienstleistungen werden in diesem Abschnitt nicht verhandelt". Das entspricht der französischen Forderung.

Zugleich wird unter einem neu eingefügten Paragrafen "43 bis" eine Öffnungsklausel vereinbart. Die Klausel sieht vor, dass die Unterhändler der Europäischen Kommission im Laufe der Verhandlungen auch über "alle anderen Bereiche" sprechen dürfen. Das bedeutet, dass zu einem späteren Zeitpunkt doch über Internetregeln verhandelt werden darf. Die EU-Kommission muss sich dafür nicht die Zustimmung der einzelnen EU-Länder holen. Diese müssen allerdings später dem Verhandlungsergebnis einstimmig zustimmen.

Europäer versprechen sich 400.000 neue Jobs

Das nun verabschiedete gemeinsame Verhandlungsmandat ist die Voraussetzung dafür, dass die EU-Kommission im Namen der 27 Länder mit den Vereinigten Staaten ein Freihandelsabkommen aushandeln kann. Gelingen die für einige Jahre angesetzten Gespräche, entstünde in der "Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft" (Transatlantic Trade and Investment Partnership - TTIP) die weltweit größte Freihandelszone. Sie würde 44 Prozent des globalen Handels umfassen und knapp die Hälfte des weltweiten Bruttosozialprodukts. Die Europäer versprechen sich von dem Abkommen 400.000 neue Jobs und einen Anstieg der Handelsumsätze um 25 Prozent.

Vor allem aber hoffen die Regierungen in den USA und Europa, mit diesem Abkommen die Regeln und Standards für alle künftigen Handelsverträge vorgeben zu können, die etwa mit den stark wachsenden Volkswirtschaften in China, Indien und Brasilien geschlossen werden sollen. Entsprechend groß ist die Sorge vor einem Scheitern. "Wenn wir unsere Stärke jetzt nicht ausnutzen, um voranzugehen, werden wir in ein paar Jahren die Regeln von China und Mitsubishi übernehmen müssen", warnen Diplomaten in den Chefetagen der EU-Institutionen in Brüssel.

Kommissionspräsident José Manuel Barroso forderte die Handelsminister am Freitag noch einmal explizit auf, sich auf ein Mandat zu einigen. Die Europäische Union wolle sich auf dem G-8-Gipfel "für fairen und uneingeschränkten internationalen Handel einsetzen, der Jobs und Wachstum fördert", sagte Barroso vor seinem Abflug nach Nordirland.

Staatssekretärin Herkes sagte nach den Verhandlungen, Deutschland habe sich "ein robusteres Mandat" vorgestellt. Dies sei aber nicht möglich gewesen, weil man "einem Mitgliedsland" habe Zugeständnisse machen müssen. Herkes sprach die französische Blockade nicht direkt an. Sie gab sich jedoch zuversichtlich, dass mit dem gefundenen Kompromiss sowohl die kulturellen Interessen der Europäer geschützt als auch ausreichend Freiraum zum Verhandeln vorhanden seien.

Auch Handelskommissar De Gucht hatte sich dafür eingesetzt, das Verhandlungsmandat möglichst allgemein zu halten und strittige Bereiche nicht von vornherein auszuklammern. Neben den Regeln für das Internet, die vor allem Zugang und Bezahlregeln für Angebote der amerikanischen Konzerne Google, Facebook, Youtube oder Netflix in Europa betreffen, sind weitere Sektoren umstritten, etwa der Schutz regionaler Produkte wie Champagner oder Serrano-Schinken, Importe von genmanipulierten oder geklonten Produkten sowie der Zugang zu Dienstleistungen.

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