Geplanter Verschleiß von Produkten:"Reparieren macht glücklich"
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Ob Radio oder elektrische Zahnbürste - der Physiker Wolfgang Heckl versucht alles zu reparieren. Im SZ-Gespräch fordert der Chef des größten naturwissenschaftlich-technischen Museums der Welt eine Kultur des Reparierens. Denn: Wer die kurzlebige Produktionsweise der Industrie ändern will, muss bei sich selbst anfangen.
Von Andreas Jalsovec und Dieter Sürig
Wolfgang Heckl, 54, ist Biophysiker. Er leitet seit 2004 das Deutsche Museum in München, das größte naturwissenschaftlich-technische Museum der Welt. Heckl hat ein Buch über "Die Kultur der Reparatur" geschrieben, das im August erscheint.
Die Reparaturleidenschaft ist in seinem Büro allgegenwärtig. Rechts neben dem Eingang zu seinem Dienstzimmer im Deutschen Museum steht ein Grammophon. Links am Fenster thront eine Jukebox Marke Wurlitzer aus den 50er Jahren. Heckl hat beide Geräte wieder zum Laufen gebracht. Versucht hat der Museumschef das auch mit seiner elektrischen Zahnbürste - ohne Erfolg. Sie liegt aufgeschnitten auf dem Besprechungstisch, der kaputte Akku ragt aus dem Gerät.
SZ: Herr Heckl, was treibt einen Menschen dazu, seine elektrische Zahnbürste aufzuschlitzen?
Wolfgang Heckl: Ich wollte wissen, wie das im Innern aussieht, welche Konstruktion dahinter steckt. Ich habe mich schon oft geärgert, dass sich bei diesen Zahnbürsten der Akku nicht austauschen lässt, wenn die Lebensdauer zu Ende ist. Hier, schauen Sie, da habe ich noch zwei Bürsten, die den Geist aufgegeben haben (hält sie hoch). Könnte man die Akkus tauschen, hätte ich sie weiter verwenden können.
Glauben Sie, dass die Industrie das vorsätzlich so konstruiert hat?
Das würde ich nicht sagen. Man hätte aber das Design besser gestalten können. Es gibt ja auch Bürsten, bei denen die Akkus austauschbar sind.
Warum machen das nicht alle Hersteller?
Aus Sicht der Unternehmen gibt es immer ein Optimum aus Mitteleinsatz, Verkaufspreis und Lebensdauer. Ein Hersteller orientiert sich in erster Linie am betriebswirtschaftlichen Optimum - und natürlich daran, was der Kunde will.
Der Defekt eines Produkts wird also nicht bewusst geplant?
Wenn eine Firma das Optimum aus Materialeinsatz und Preis erzielt, ist das natürlich im gewissen Sinne geplant. Aber nicht bösartig: Ich kann dem Hersteller einer Festplatte nicht vorwerfen, dass er auf größere Kondensatoren verzichtet. Die wären zwar langlebiger. Wir hätten dann aber wieder riesige Festplatten wie früher. Selbstverständlich hat er geplant, kleinere und billigere Kondensatoren einzubauen. Aber nicht, weil er tricksen will, sondern weil der Kunde kleinere Festplatten möchte. Das Ganze auf den geplanten Verfall von Produkten einzuengen, führt nicht weiter. Es lassen sich ja ohnehin kaum Beweise dafür finden, dass Firmen absichtlich die Lebensdauer ihrer Produkte verkürzen.
Glauben Sie, dass Innovationen zurückgehalten werden, um eine zusätzliche Gerätegeneration verkaufen zu können?
Man könnte sich tatsächlich fragen, warum das iPhone nicht von Anfang an eine bessere Kamera drin hatte. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Man muss aber als Hersteller daran denken, dass man im Wettbewerb viel riskiert, wenn man Innovationen zurückhält.
Möglicherweise legen Ingenieure Entwicklungen so an, dass sie nur für eine bestimmte Haltedauer produziert werden ?
Es ist die Ethik des Ingenieurs, das Beste herauszuholen. Das Dilemma mancher Entwickler ist aber, dass dann ein Controller sagt, es rechnet sich nicht.
Ein Unternehmen verkauft doch mehr, wenn Produkte schneller kaputt gehen .
Ja, aber es könnte genau so gut ein langlebiges Produkt teurer verkaufen. Ich habe noch einen Anzug aus den 20er Jahren. Damals hat sich mein Großvater gesagt: Ich kaufe etwas Gescheites, gebe viel Geld dafür aus - und das hält dann auch. Ich trage den Anzug noch immer. Wir müssen die Leute dazu bringen, etwas mehr Geld für ein Produkt auszugeben, das länger hält.
Wollen Sie sagen, dass der Verbraucher schuld ist an der Kurzlebigkeit der Produkte, weil er ständig etwas Neues will ?
Wer alle neun Monate ein neues Handy braucht, weil das cool ist, der ist natürlich mit verantwortlich. Die Industrie stellt her, was der Verbraucher akzeptiert. Es liegt an ihm zu definieren, was er für richtig hält - auch durch sein Kaufverhalten. Wenn ich etwas wertschätze, das lange hält und auch reparierbar ist, dann stellt sich die Industrie auch darauf ein.
Sind Sie da nicht zu optimistisch? Häufig hat der Verbraucher gar keine Möglichkeit langlebige Produkte zu kaufen, weil es sie einfach nicht mehr gibt.
Das sehe ich anders. Es gibt sie. Sie sind aber selten geworden. Ändern wird sich das nur, wenn die Verbraucher solche Produkte auch wertschätzen. Und sie müssen bereit sein, dafür mehr zu zahlen: Langlebigkeit hat ihren Preis. Ganz abgesehen davon, was sie für die Arbeitsplätze bedeutet: Wer langlebige Güter herstellt, produziert möglicherweise weniger und schafft weniger Jobs. Stelle ich auf der anderen Seite kurzlebige Güter her, schade ich der Umwelt. Wir brauchen also das richtige Maß.
Welche ökologischen Folgen hat die kürzere Lebensdauer von Produkten ?
Die Folgen sind gravierend. Wo kommt denn ein Großteil unserer Müllberge her? Dahinter steckt doch die Aussage, die wir oft zu hören bekommen, wenn ein Produkt kaputt geht: "Die Reparatur lohnt sich nicht mehr. Das können Sie wegwerfen." Für Ressourcen und Umwelt ist es in jedem Fall besser, reparierbare und langlebige Produkte herzustellen. Der Verbraucher hat es in der Hand, diesen Trend zu setzen. Im Idealfall kommen wir dahin, dass Produkte mit dem Hinweis beworben werden: Dieses Gerät lässt sich leicht reparieren.
Würde es etwas bringen, den Herstellern vorzuschreiben, dass ein Produkt eine bestimmte Zeit lang halten muss?
Das gibt es ja schon - in Form der Gewährleistungspflicht. Sie stellt sicher, dass Produkte eine gewisse Lebensdauer erreichen.
Leider gehen Produkte oft dann kaputt, wenn die Garantie gerade abgelaufen ist.
Dann sollte man die Gewährleistung bei solchen Produkten eben verlängern. Bei eine Waschmaschine etwa kann das sinnvoll sein. Zehn Jahre Garantie auf eine Computer-Festplatte zu geben, ist dagegen Unsinn. Dafür sind die Produktzyklen in diesem Bereich viel zu kurz. Man könnte sich überdies überlegen, eine Mindestdauer einzuführen, während der Ersatzteile vorrätig sein müssen. Diese Bevorratung kostet aber. Am Ende zahlt das der Kunde.
Was muss aus Ihrer Sicht passieren, damit er dazu auch bereit ist?
Wir brauchen vor allem eine neue Kultur des Reparierens in der Gesellschaft. Reparatur-Cafés etwa, bei denen sich Leute übers Internet zusammen tun, sich treffen und Dinge wieder in Gang setzen. Das kann ein befruchtender Austausch sein. Reparieren ist ja am schönsten, wenn man es mit Kollegen oder Freunden macht.
Sie haben da offenbar Erfahrung?
Ich bin täglich mindestens einmal mit der Reparatur einer Sache beschäftigt. Und ich treffe mich regelmäßig zum Reparatur-Samstagnachmittag mit dem Astronauten Ulrich Walter. Da nehmen wir uns vor, einen dieser alten Fernseher wieder in Gang zu kriegen. Das mündet stets in Gespräche über das Wesen der Dinge. So etwas entsteht derzeit überall in Deutschland.
Ist das auch eine Art Notwehrreaktion auf geplanten Verschleiß?
Nein, da geht es darum, zu lernen, wie Dinge funktionieren. Oder um es mit Goethes Faust zu sagen: Zu wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Das ist doch ein Abenteuer: In einer Welt, in der alles immer schneller kaputt geht, etwas selbst wieder in Gang zu bringen. Anders gesagt: Reparieren macht glücklich. Und es lässt ein neues Bewusstsein dafür entstehen, dass langlebige Produkte etwas Sinnvolles sind.