Geplanter Streik der Ärzte:Für Geld und Ehre

Von kommenden Montag an wollen die niedergelassenen Ärzte streiken, Patienten müssen sich auf lange Wartezeiten in vielen Praxen gefasst machen. Wie können Mediziner als Freiberufler überhaupt streiken? Warum sind sie so unzufrieden - und was verdient ein Arzt in Deutschland überhaupt? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Guido Bohsem

Die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten haben sich mit großer Mehrheit für Proteste ausgesprochen. Noch im September soll es zu flächendeckenden Praxisschließungen kommen. Patienten müssen sich bei der Terminvergabe und auch in den Praxen selbst auf lange Wartezeiten einstellen. Die Süddeutsche Zeitung beantwortet die wichtigsten Fragen zum Protest.

Aerzte wollen Praxen schliessen

Kassen und Ärzte verhandeln seit Monaten, jetzt soll es dennoch zum Streik kommen.

(Foto: dapd)

Was planen die Ärzte konkret?

Zunächst wird nichts passieren. Erst von Montag an sind Praxisschließungen möglich. Unter Umständen wollen die Ärzte auch keine Termine mehr vergeben, sodass lange Wartezeiten in den Praxen entstehen können. Eine Notfallversorgung soll allerdings jederzeit sichergestellt sein.

Können Ärzte streiken?

Bei den Protesten der Ärzte von einem Tarifstreik zu sprechen, ist problematisch. Das ginge nur, wenn die Ärzte tatsächlich bei den Krankenkassen angestellt wären. Ärzte sind aber Freiberufler und damit mehr Unternehmer als Angestellte. Sie betreiben ihr Geschäft allerdings in einem stark reglementierten Bereich. So rechnen die Ärzte nicht direkt mit der Kasse ab, sondern mit ihrer Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Diese wiederum erhält von den Kassen die abgerechnete Summe.

Wie wird das Honorar verhandelt?

Über die jährlichen Honoraranpassungen wird in einem gesetzlich vorgegebenen Verfahren entschieden. Die Vertreter der KV verhandeln mit den Kassen über den Preis der ärztlichen Leistung und über die Menge. Einigen sie sich nicht, wird die Runde um den unabhängigen Vorsitzenden erweitert. Dieser kann dann einen Kompromissvorschlag präsentieren. Stimmt eine Seite zu, wie in diesem Fall die Kassen, gilt der Vorschlag als angenommen und das Verfahren als rechtlich abgeschlossen. Ein Streik kann die Kassen also gar nicht mehr zum Einlenken bewegen. Auch die Politik darf sich streng genommen nicht in das Verfahren einmischen. Die Gesundheitspolitiker der schwarz-gelben Koalition haben vereinbart, das auch nicht zu tun.

Warum sind die Mediziner so empört?

Die Wut der Ärzte speist sich aus zwei Quellen. Zum einen beklagen sie, dass der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen in den vergangenen Monaten immer wieder Gutachten präsentiert hat, die die ärztliche Zunft verunglimpften. Dies sei kein Umgang unter Partnern der Selbstverwaltung. Zum anderen enttäuscht viele das Ergebnis der Verhandlungen über den Preis. Lediglich 0,9 Prozent sollen die ärztlichen Honorare steigen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hatte ein Plus von elf Prozent gefordert.

Welches Ziel hat der Streik?

Mit den Protestaktionen wollen die Ärzte den Spitzenverband zwingen, seine Kritik an den Ärzten zu mildern. Vor allem aber möchten sie das Ergebnis der bisherigen Honorarverhandlungen deutlich verbessern. Um diesen Vorgang zu verstehen, muss man wissen, dass jede ärztliche Verrichtung mit Punkten bewertet wird. Je komplexer oder technisch aufwendiger die Tätigkeit ist, desto höher die Punktzahl. Multipliziert man den Punktwert mit der Punktzahl, ergibt sich daraus das Honorar, das der Mediziner für diese Tätigkeit erhält. Derzeit liegt der Punktwert bei 3,5048 Cent, weshalb ein bayerischer Hausarzt beispielsweise für einen Hausbesuch 21,03 Euro erhält. Mit dem Schlichterspruch steigt der Punktwert auf 3,5363 Cent, was dem bayerischen Mediziner 19 Cent für den Hausbesuch zusätzlich einbringt. Der Punktwert bleibt damit aber deutlich unter den 5,11 Euro, die 1998 einmal berechnet wurden.

Können Streiks und Praxisschließungen noch vermieden werden?

Während an den Verhandlungen über den Preis nicht mehr zu rütteln ist, steht noch aus, wie stark die Menge der ärztlichen Leistungen steigen kann. An diesem Samstag wollen sich Kassen und Ärzteschaft erneut treffen, um über diesen Posten zu verhandeln. Experten gehen davon aus, dass dabei der Honorarzuwachs noch einmal deutlich gesteigert werden kann - auf einen Zuwachs von über 2,5 Prozent. Es gibt in der ärztlichen Funktionärsebene Leute, die ein solches Ergebnis akzeptieren würden. Diese moderaten Kräfte stehen allerdings unter gehörigem Druck, denn die freien Ärzteverbände sind wild entschlossen, die Streiks zu einem Protest gegen das gesamte System auszuweiten.

Was verdienen Ärzte im Monat?

Das monatliche Nettoeinkommen der Kassenärzte beträgt laut KBV im Schnitt 5442 Euro. Darin sind sowohl die Einnahmen aus der gesetzlichen als auch die der privaten Kassen berücksichtigt. Die Einkommen sind allerdings je nach Fachrichtung unterschiedlich hoch. Einem Allgemeinmediziner blieben demnach im Schnitt 5018 Euro pro Monat, einem Orthopäden 6344 Euro, einem Psychotherapeuten dagegen nur 2658 Euro.

Wie war die Einkommensentwicklung in den vergangenen Jahren?

Die Ärzteschaft hat in den vergangenen fünf Jahren deutliche Honorarsteigerungen erhalten. Die Kassen sprechen von einem Plus in Höhe von 17 Prozent. Im Rahmen des Spargesetzes der schwarz-gelben Koalition wurde der Anstieg in den vergangenen beiden Jahren allerdings begrenzt. 2010 lag er bei 1,7 Prozent und 2011 bei fast vier Prozent. Diese Erhöhungen kamen ausschließlich aus den Verhandlungen über die Menge der ärztlichen Behandlungen zustande. Um das drohende Milliarden-Defizit bei den Krankenkassen zu vermeiden, wurden die Preise nicht erhöht.

Wie ist die Finanzlage der Kassen?

Diese Notlage bei den Kassen - und das ärgert die Ärzteschaft zusätzlich - ist allerdings seit Langem nicht mehr vorhanden. Tatsächlich schlummern im Gesundheitssystem derzeit so hohe Reserven wie nie zuvor. Auf knapp 22 Milliarden Euro summieren sich die Rücklagen im Gesundheitsfonds und bei den Krankenkassen.

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