Nationale Regierungen wollen sie, die Industrie auch. EU-Gremien erarbeiten seit Jahren Vorschläge für die europäische Datenschutz-Grundverordnung. Doch die Anforderungen, die dadurch entstehen, könnten deutsche Unternehmen Milliarden kosten. Dies geht hervor aus einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.
Um den Informationspflichten nachzukommen, müssten Unternehmen im ersten Jahr mit Kosten von 1,5 Milliarden Euro rechnen. Nach der Umstellung kommen der Schätzung zufolge Kosten von einer Milliarde Euro pro Jahr hinzu. Das lässt das Bundesinnenministerium aufhorchen, das die Schätzung in Auftrag gegeben hatte: "Das sind Zahlen, die wir uns ansehen müssen." Es müsse eine Balance zwischen Datenschutz und Belastung der Wirtschaft gefunden werden.
Beim Datenschutz gilt in Europa derzeit eine Richtlinie aus dem Jahr 1995. Jeder Staat kann sie individuell interpretieren. Unternehmen wie Facebook siedeln sich daher in jenen europäischen Ländern an, in denen es nur einen schwachen Datenschutz gibt - wie etwa in Irland. Kommt die Datenschutz-Grundverordnung, ist die Hoffnung: ein Europa, ein gemeinsames Recht, keine Schlupflöcher.
Ein Landmetzger mit Online-Auftritt hat dieselben Pflichten wie Facebook
"Wir brauchen eine europäische Lösung", sagt ein Sprecher des Innenministeriums. "In einer digitalisierten Welt können wir die Fragen des Datenschutzes nicht mit nationalen Lösungen beantworten."
Das ist auch die Frage, die in der Öffentlichkeit debattiert wird. Wie kann man jene Big-Data-Unternehmen regulieren, deren Hauptziel es ist, Nutzerdaten auszuwerten? Werden über eine Person Daten erhoben, hat diese schon bisher das Recht, darüber informiert zu werden. Künftig müssen wesentlich mehr Daten herausgegeben werden.
"Die Grundverordnung ist teilweise kleinteiliger", sagt der Rechtsanwalt Carlo Piltz, der die Verhandlungen verfolgt. Man müsse schauen, wie sich das auf kleine und mittlere Unternehmen auswirke: "Es kann sein, dass es zu Effekten kommt die in dieser Form nicht vorhergesehen waren", sagt Piltz.
Denn die Vorschläge aus Brüssel unterscheiden nicht zwischen großen Firmen und Kleinunternehmen. "Ein Metzger auf dem Land, der einen Online-Shop besitzt, muss grundsätzlich die gleichen Pflichten erfüllen wie Facebook", sagt Piltz. Ein Beispiel: Unternehmen sollen künftig dazu verpflichtet werden, die gesammelten Daten an Nutzer herauszugeben. Die können dann das soziale Netzwerk wechseln, wenn sie wollen. Damit soll die Marktmacht von großen Unternehmen gebrochen werden. Diese Regelung, klar intendiert für Big-Data-Firmen, gilt aber auch für den Metzger.
Unternehmensverbände fürchten daher ein Ungleichgewicht. "Die Pflichten müssen verhältnismäßig sein", sagt Rita Bottler von der IHK München und Oberbayern. "Verbraucher werden mit Informationen zugemüllt. Doch je häufiger das passiert, desto seltener werden die Informationen wahrgenommen."
Die Belastungen für Unternehmen könnten sogar noch höher sein
Die Bundesregierung ist sich dieser Schieflage bewusst. Sie will die Situation von Kleinstunternehmern mit bis zu zehn Mitarbeitern verbessern. "Es ist denkbar, dass diese nicht eine solche automatische Informationspflicht trifft, sondern sie erst dann aktiv werden müssen, wenn sie von Nutzern darum gebeten werden." Diese Ausnahme in Brüssel durchzusetzen, werde aber nicht einfach sein.
Die vom Statistischen Bundesamt geschätzten Mehrkosten beziehen sich nur auf vier von insgesamt 30 Artikel. Der Großteil der entstehenden Kosten ist sogar nur auf einen Artikel, nämlich Artikel 14, zurückzuführen. Es sei "durchaus möglich", heißt es aus dem Innenministerium, dass auch weitere Artikel der Verordnung zu Belastungen führen könnten.
Es ist noch nicht vollends abzusehen, in welcher Form die Verordnung kommt, über die seit Jahren verhandelt wird. EU-Kommission, das EU-Parlament und der Rat der Europäischen Union erarbeiten je eigene Vorschläge zum Datenschutz. Danach soll aus diesen drei Versionen eine gemeinsame Verordnung entstehen, die europaweit gilt.
Kommission und Parlament haben seit längerem ihre Entwürfe vorgelegt, der Rat verhandelt noch bis Juni. Um jedes Wort wird dabei gerungen. Die Berechnungsgrundlage des Statistischen Bundesamtes sind jene Rats-Verhandlungen. Vergangene Woche wurde jenes Kapitel besprochen, das auch Artikel 14 enthält. Ein spruchreifes Ergebnis liegt noch nicht vor.