Süddeutsche Zeitung

Genom-Analyse für jedermann:Wer bin ich, und wenn ja für wie viel?

Ein neues Analyse-Gerät der US-Biotechfirma Life Technologies kann das Genom eines Menschen in einem Tag zerlegen. Der Clou: Die Analyse kostet nur 1000 Dollar. Unklar ist bislang nur, was mit den Daten gewonnen ist.

Sibylle Haas und Nikolaus Piper

Der amerikanischen Biotechfirma Life Technologies ist ein bedeutender Schritt bei der Entschlüsslung des menschlichen Genoms gelungen: Das Unternehmen hat ein Analysegerät entwickelt, das ein komplettes Genom in kürzerer Zeit und billiger als bisher zerlegen kann. Damit sei die Massentauglichkeit für Routine-Analysen bei Laborärzten erreicht, teilte das Unternehmen am Dienstag in San Francisco mit. Dies sei ein weiterer Schritt etwa für die Krebstherapie, da Patienten gezielter behandelt werden könnten.

Neu an dem Verfahren sei, dass die Analyse digital auf einem Halbleiterchip erfolge. So werde etwa eine zunächst chemisch im Labor vorbereitete Blut- oder Keimprobe auf den Halbleiterchip aufgetragen, der anschließend in das Analysegerät eingelegt werde. Bereits nach kurzer Zeit tauchten die ersten Sequenzdaten auf dem Bildschirm auf, erklärte eine Firmensprecherin. Damit könne innerhalb von einem Tag ein komplettes menschliches Genom zerlegt werden, bei Analysekosten von 1000 US-Dollar. Bislang habe dieser Prozess Wochen oder Monate gedauert und 5000 bis 10.000 Dollar gekostet, hieß es weiter. Auch das Gerät sei mit 149.000 Dollar billiger als bisherige sogenannte Sequenzer, deren Preise bei 500.000 bis 750.000 Dollar lagen.

"Großer Traum"

"Eine Genom-Zerlegung für 1000 Dollar war noch vor einigen Jahren ein großer Traum", sagt Richard Gibbs vom US-Medizinzentrum Baylor College of Medicine. Niedrige Kosten, Schnelligkeit und Genauigkeit seien ausschlaggebend für die breite Anwendung und Kommerzialisierung des Analysegerätes, erklärt auch Richard Lifton von der Yale School of Medicine. Ähnliche Verfahren wurden bislang wegen der hohen Kosten lediglich in der wissenschaftlichen Forschung angewandt. So hatte Life Technologies beispielsweise die Erbinformation des Ehec-Erregers dekodiert, der Darmentzündungen mit blutigen Durchfällen und Nierenversagen hervorgerufen hat.

Nach Aussagen von Experten können Geräte, die sämtliche genetische Daten eines Menschen zu vertretbaren Kosten entschlüsseln, große Fortschritte für die Medizin bringen. "Wenn man humangenetische Analysen anbietet und gezielt nach genetischen Sequenzen sucht, dann ist so ein Gerät sinnvoll. So auch für uns", sagt Hendrik Borucki, Marketing-Chef bei Synlab, dem führenden Laboranbieter Europas. Gerade in der Onkologie (Krebsforschung) und bei der Analyse von Risikofaktoren (Herz-Kreislauf-Erkrankungen) könne das Geräte ein geeignetes Diagnose-Instrument sein.

Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft halten wir es aber nicht für sinnvoll, flächendeckend und ungezielt nach einer genetischen Veranlagung ohne human-genetische Beratung zu suchen", meint Borucki. Auch Karen Kaul, Sprecherin der Amerikanischen Gesellschaft für Klinische Pathologie, warnt vor vorschnellen Schlüssen. "Wir fangen gerade erst an, die Oberfläche der genomischen Veränderungen anzukratzen, die klinisch relevant sind", sagte sie dem Wall Street Journal. "Ich glaube, wir sollten realistisch sein und ein bisschen vorsichtig." Eric Green, Direktor des National Human Genome Research Institute (NHGRI) der amerikanischen Regierung: "Es ist spottbillig geworden, das Genom zu entschlüsseln, aber wir wissen noch nicht, was wir mit den Daten anfangen sollen. Daran müssen wir arbeiten."

Life Technologies mit Sitz in Carlsbad (Kalifornien) ist eine schnell wachsende Biotech- Firma, die sich vor allem auf diagnostische Methoden spezialisiert hat. Sie ist erst 2008 aus der Fusion zweier kleinerer Biofirmen, Applied Biosystems und Invitrogen, entstanden. Life hat einen Umsatz von 3,3 Milliarden Dollar und beschäftigt 9000 Menschen in 160 Ländern. Nach eigenen Angaben verfügt die Firma über einen Pool von 3600 Patenten. Die Aktien von Life Technologies werden an der Nasdaq in New York gehandelt. Der Aktie reagierte am Dienstag mit einem Kurssprung auf die Firmennachricht. Wichtigster Konkurrent von Life ist Illumina, ein Produzent von Analysegeräten aus San Diego, sowie der Schweizer Roche-Konzern.

Das 1000-Dollar-Genprojekt wurde in der Bio-Boutique Ion Torrent entwickelt, die Life im Oktober 2010 erworben hat. Drei Monate zuvor hatte die angesehene Zeitschrift Nature erstmals über das Projekt berichtet. Die Technologie, die zuvor unter Wissenschaftlern noch kontrovers diskutiert wurde, erhielt so quasi höhere Weihen. Die neue Maschine sollte an diesem Dienstag während einer Gesundheitskonferenz in den USA der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

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Quelle:
SZ vom 11.01.2012
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