General Motors: Neustart:Obama wird ein Problem los - aber nur eins

Ist die teure Reanimierung von General Motors tatsächlich der "Meilenstein der Trendwende", wie Barack Obama glaubt? Ökonomen sind sich da weitaus weniger sicher als der US-Präsident.

Paul Katzenberger

Vor eineinhalb Jahre fuhr General Motors gegen die Wand. Doch die Insolvenz im Juni 2009 scheint inzwischen vergessen zu sein. Jetzt fährt der einstmals größte Autohersteller der Welt schon wieder zurück an die Börse - und das mit hoher Geschwindigkeit.

General Motors: Neustart: Über den Ticker des US-Medienkonzerns Dow Jones laufen am New Yorker Times Square aktuelle Nachrichten zum Börsengang von General Motors. Der Autokonzern feiert seine Wiedergeburt als Unternehmen in Privatbesitz.

Über den Ticker des US-Medienkonzerns Dow Jones laufen am New Yorker Times Square aktuelle Nachrichten zum Börsengang von General Motors. Der Autokonzern feiert seine Wiedergeburt als Unternehmen in Privatbesitz.

(Foto: AP)

Getrost darf dieser Börsengang als historisch bezeichnet werden. Allein die Geschwindigkeit, mit der die Restrukturierung des Mammutkonzerns gelang, wird von manchen Fachleuten als Wunder gefeiert.

Da reibt sich mancher Autoexperte verwundert die Augen: Kann es wirklich sein, dass ein Unternehmen, das mit seiner Modellpolitik jahrelang am Markt vorbei produzierte, auf einmal tolle Produkte liefert? .

Nun gelingt General Motors auch noch eines der größten Initial Public Offerings (IPOs) aller Zeiten: Die Investoren stehen plötzlich für die 33 Dollar teuren GM-Papiere Schlange. Wer hätte das vor zwei Jahren gedacht? Der einstige GM-Chef Rick Wagoner musste damals in Washington um Geld betteln.

Für das Krisenmanagement der Regierung von Barack Obama während der Finanzkrise ist dieser Börsengang ein großer Erfolg: Der Verkauf der einstigen Pennystocks dürfte mindestens knapp 14 Milliarden Dollar in die Staatskassen spülen.

GM - trotzdem ein Verlustbringer

Bei aller Euphorie über diesen Aktion vergessen viele Beobachter, dass der amerikanische Staat noch immer bis über beide Ohren in gewagten Unternehmens-Engagements steckt.

Das geht schon bei GM los: Obwohl die Privatisierung überaus positiv verläuft, wird das US-Finanzministerium mit seiner Restbeteiligung an dem Autohersteller wohl Verluste einfahren. Um diese zu vermeiden, müsste der Aktienkurs auf 43 Dollar steigen, und das ist selbst bei der derzeitigen Hochstimmung kaum anzunehmen. Am Ende wird das GM-Abenteuer den Staat bis zu neun Milliarden Dollar kosten - so lauten zumindest die Regierungsschätzungen.

Hinzu kommt, dass derzeit unklar ist, wie es mit der zehnprozentigen Staatsbeteiligung am Konkurrenten Chrysler weitergeht, der mehrheitlich zu Fiat gehört. Insgesamt taxiert das amerikanische Finanzministerium die Risiken für die Kredite und Beteiligungen in der gesamten US-Autoindustrie mit bis zu 34 Milliarden Dollar.

Ein noch viel größeres Loch ist die Finanzbranche: Die meisten großen Banken haben inzwischen zwar das Geld zurückgezahlt, mit dem ihnen Washington auf dem Höhepunkt der Finanzkrise unter die Arme gegriffen hatte. Für die 250-Milliarden-Spritze an die Institute plant das Finanzministerium sogar mit einem Anlagegewinn von fünf bis 20 Milliarden Dollar - dem Höhenflug an der Wall Street sei Dank.

Trotzdem sind die Verpflichtungen der Regierung gegenüber den Finanzkonzernen noch immer gewaltig.

Milliardengewinne oder -verluste

Die beiden Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac müssen nach einer aktuellen Prognose der New York Times mit 188 Milliarden gestützt werden - 19 Milliarden Dollar sind davon nach einer Schätzung der zuständigen Bundesaufsichtsbehörde FHFA noch offen. Washington rechnet derzeit damit, auf bis zu 55 Milliarden Dollar Verlust allein bei diesen zwei Instituten sitzenzubleiben.

Exorbitant ist auch das staatliche Engagement bei der American International Group (AIG). Washington pumpte in den einstmals größten Versicherungskonzern der Welt 130 Milliarden Dollar, um ihn vor dem Kollaps zu bewahren. Für diese Beteiligung plant der US-Fiskus im ungünstigsten Fall derzeit einen Abschreibungsbedarf von bis zu 50 Milliarden Dollar ein - allerdings könnte der AIG-Einstieg eines Tages auch positiv zu Buche schlagen. Je nach Entwicklung der Finanzmärkte rechnet das US-Finanzministerium im positivsten Szenario mit einem Veräußerungsgewinn von maximal 17 Milliarden Dollar.

Gewinne oder Verluste in Milliardenhöhe - alles ist also offenbar möglich. Experten wundert das allerdings überhaupt nicht.

"Die Unsicherheit ist derzeit sehr groß", sagt Irwin Collier vom John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikaforschung an der Freien Universität Berlin. Die Unberechenbarkeit sei bei der Privatisierung der DDR-Industrie zu Beginn der neunziger Jahre aber keinen Deut geringer gewesen: "Am Anfang dachten damals alle, die Treuhand werde am Schluss Geld einspielen, doch dann war es schließlich ein beachtlicher Verlust."

Entscheidend ist die Konjunktur

Doch so entscheidend sei die Frage nicht, ob Washington am Ende mit einem hohen oder niedrigen Verlust abschneide. Schädlicher sei die von dieser Frage ausgehende Unsicherheit für die weitere konjunkturelle Entwicklung, argumentiert der Ökonom. Erhole sich die US-Wirtschaft ausreichend stark, könne sie den aufgetürmten Schuldenberg ohne weiteres abtragen. "Nach dem Zweiten Weltkrieg lag die Staatsverschuldung deutlich höher als heute. Damals waren es 125 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, jetzt sind es mit Sicht auf das Jahr 2015 nur 85 Prozent."

Hirotaka Takeeuchi von der Harvard Business School erkennt allerdings ein weiteres Problem mit den Rettungsaktionen des amerikanischen Staates, egal wie teuer diese am Schluss kommen sollten: "Wenn du das mit den größten US-Unternehmen machen kannst, was passiert dann eigentlich bei der nächsten großen Krise? Das könnte ein vollkommen falsches Signal für den Rest der Welt sein", sagte der Ökonom zu sueddeutsche.de.

Jonathan Koppell von der Arizona State University warnt ebenfalls vor der Gefahr eines Paradigmenwechsels: "Wenn der Staat einmal damit anfängt, zugunsten scheiternder Unternehmen zu intervenieren, verändert sich das Marktsystem fundamental. Und zwar auch dann, wenn sich der Staat wieder aus seinen Engagements zurückzieht", erklärte Koppell in der New York Times.

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