General Electric:Die Welt verändern. Mehr nicht

General Electric Co. Chief Executive Officer Jeffrey Immelt Attends Minds + Machines Digital Industry Event

Im Gespräch: Jean-Bernard Levy, Chef des Versorgers EDF, und GE-Vorsitzender Jeffrey Immelt in Paris.

(Foto: Christophe Morin/Bloomberg)

Wer bestimmt die Standards der Digitalisierung? Während in Deutschland oft von der Industrie 4.0 gesprochen wird, wirbt GE für ein anderes Konzept.

Von Christoph Giesen und Leo Klimm, München/Paris

Jeffrey Immelt ist Amerikaner durch und durch - aber seit Kurzem, sagt er, sei er zugleich auch Europäer. Damit ihm das jeder glaubt, lädt der Chef des US-Industrieunternehmens General Electric (GE) zu einer großen Konferenz an einen äußerst französischen Ort, das Mode- und Designzentrum in Paris, direkt am Seine-Ufer gelegen. Wie er da so auf der Bühne steht, verkörpert Immelt zwar eher schwerindustrielle GE-Produkte wie Großturbinen als filigrane Haute Couture. Doch weil er nach einem Bieterkampf mit Siemens den französischen Energiekonzern Alstom übernommen hat, stimmt auch, was er da im Brustton der Überzeugung sagt: "Wir sind ein großes europäisches Unternehmen. Wir haben 100 000 Mitarbeiter auf dem Kontinent." 250 kommen jetzt noch hinzu, denn Immelt hat diese Woche eine Softwareschmiede in Paris gegründet, in der Programmierer, Datenspezialisten und Webdesigner das entwickeln sollen, was GE "Industrial Internet" nennt.

Die Daten von Tausenden Windrädern werden gesammelt und ausgewertet

Beides zusammen - das wachsende Gewicht Europas bei GE und die Entwicklung digitaler Aktivitäten - ist eine kaum verhohlene Herausforderung an den Erzrivalen Siemens: Im großen Zukunftsgeschäft mit der Digitalisierung der Industrie attackieren die Amerikaner die Deutschen auf deren europäischem Heimatmarkt. Im Mittelpunkt steht dabei ein Kampf der Konzepte: Das "Industrial Internet" ist der Gegenentwurf zum deutschen Plan von der "Industrie 4.0". Es geht um die Frage, wie Industrieunternehmen von der Digitalisierung von Produktion und Produkten profitieren können. Und wie sie zugleich die Gefahr abwenden, zu schlichten Zulieferern von Onlineplattformen degradiert zu werden, wie das im Geschäft mit Dienstleistungen für Endverbraucher nach dem Modell der Taxi-App Uber längst geschieht.

In diesem Kampf der Konzepte sieht sich GE selbstredend im Vorteil gegenüber den Deutschen: "Die Industrie 4.0 ist sehr auf das Design und die Fertigung von Maschinen ausgerichtet", sagt Bill Ruh. "Unsere Vorstellung geht weit darüber hinaus." Bill Ruh ist der Mann, der für Immelt den Streit der Konzepte gewinnen soll. In Paris zeigt der Chief Digital Officer, den GE vom IT-Konzern Cisco geholt hat, wie sich der 100 Jahre alte US-Industriekonzern in eine Digitalfirma verwandelt. Das sieht ganz leicht aus: In der Theorie müssen Turbinen oder Lokomotiven nur mit Software und Sensoren vernetzt werden, um geldwerte Vorteile für GE-Kunden zu schaffen - und damit ein großes Geschäft für das eigene. Erste Ansätze gibt es bereits. So wertet GE die Daten von Tausenden Windanlagen aus und verspricht seinen Kunden eine höhere Stromausbeute, wenn sie die Mühlen so betreiben, wie GE es durch die Analyse der Daten vorgibt.

Daten, Analyse, Geschäftsmodell. Das ist der Dreiklang, den Ruh GE verordnet hat. Jede Information, die eine GE-Anlage auf der Welt abwirft, soll gesammelt und interpretiert werden. Benötigt wird dafür neben der Analysesoftware, die aus den Daten Tausender Windräder sinnvolle Muster erkennen kann, auch die richtige IT-Infrastruktur, damit die einzelnen Maschinen auch sicher miteinander kommunizieren können. Pionierarbeit.

Als Ruh vor fünf Jahren bei GE anfing, fand er ein Unternehmen vor, das genauso aussah und funktionierte, wie man sich einen Industriekonzern mit angeschlossener Finanzabteilung vorstellt. Klare Hierarchien, viele Männer, graue Anzüge und Krawatten. Das ist zwar heute in weiten Teilen noch immer so, doch für mindestens 27 500 Mitarbeiter hat sich das geändert. In Bill Ruhs Abteilung gibt es keinen Dresscode, seine Mannschaft residiert auch nicht wie so viele andere GE-Einheiten in trostlosen Vorstädten. Ruh hat ein Stück alte Industrie ins Silicon Valley verlegen lassen. "Das ist teuer, klar. Aber wir müssen da sein da, wo die Leute sind, an den coolen Orten. Nur so kommen wir an die besten Talente. Außerdem können wir im Silicon Valley viel lernen." Ein Spur von Demut beim größten Industriekonzern der Welt.

Der Erzrivale Siemens geht da einen anderen Weg. Zwar sieht man Konzern-Chef Joe Kaeser dieser Tage schon einmal in Jeans im Büro. Doch so groß wie GE ist Siemens nicht im Silicon Valley vertreten, eine Handvoll Mitarbeiter beschäftigen die Münchner dort, sie prüfen vor allem die Ideen von Start-ups und geben dann Investitionsempfehlungen ab. Siemens setzt lieber auf den Verkauf von Steuerungen, das Herz einer jeden Maschine. In diesem Feld sind die Münchner weltweit führend. Außerdem setzt Siemens auf sogenannte PLM-Software. Mit diesen Programmen lassen sich zum Beispiel Windkanaltests für Autos am Bildschirm simulieren. Das sind die unterschiedlichen Philosophien der beiden Konkurrenten. Die richtigen Spezialisten müssen beide natürlich auch anheuern. Wie überzeugt man also Software-Ingenieure, für GE zu arbeiten, und nicht etwa für Google, Facebook oder gar die eigene Firma? "Ich frage natürlich nicht, wollt ihr an einer Gasturbine mitarbeiten", sagt Ruh. Sondern? "Ich erzähle ihnen, dass sie an einem Projekt mitarbeiten können, das die Welt verändert." Kleiner macht es Ruh nicht.

GE hat vor Kurzem eine erste Plattform präsentiert, aber ob das auch wirklich der weltweite Standard wird, mit dem Maschinen künftig miteinander kommunizieren, das zu beurteilen, dazu ist es zu früh. Ein bisschen Prognose lässt Ruh sich dennoch entlocken: Die Digitalisierung der Industrie gehorche nicht denselben Regeln wie bei der Massenprodukten, sagt er. Es sei durchaus Platz für drei oder vier Industrieplattformen. Wie beruhigend für die Konkurrenz.

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