Süddeutsche Zeitung

Gemeinwohl-Ökonomie:Gewinn ist nicht alles

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Die Münchner Firma Polarstern will die Energiewende fördern und Gutes für das Gemeinwohl tun. Auch andere Unternehmen zeigen Verantwortung für Gesellschaft und Natur. Das soll mehr als nur schönes Marketing sein.

Von Marcel Grzanna

Wenn der Polarstern-Gründer Florian Henle seiner Mutter erklärt, was eigentlich genau mit dem Begriff Gemeinwohl-Ökonomie gemeint ist, dann bringt er es wie folgt auf den Punkt: "Arschlochfreie Zone!" Mutter und Sohn lachen dann herzlich. Das versteht nun wirklich jeder. Der Dialog ist ein Ausschnitt aus einem Video, das auf der Internetseite des Münchner Energieversorgers Polarstern zu finden ist. Die Beschreibung ist halb scherzhaft, halb ernsthaft gemeint. Denn nicht jedes Unternehmen, das sich der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) entzieht, besteht unweigerlich aus Verantwortlichen, die diese Bezeichnung verdient hätten.

Das weiß Henle auch. Und wenn ihm mehr Zeit bleibt als in einem kurzen Promovideo, dann macht er das auch entsprechend deutlich. "Der Mittelstand in Deutschland ist gar nicht so weit entfernt von der Gemeinwohl-Ökonomie. Einige Unternehmen, die ich kenne, achten sehr auf ihre Mitarbeiter, haben langfristige Kunden- und Lieferantenpartnerschaften, wirtschaften nachhaltig und fühlen sich gesellschaftlich verantwortlich", sagt der 38-Jährige. Er bringt damit bereits viele Aspekte zusammen, doch was noch fehlt zur Erfüllung aller GWÖ-Grundsätze, ist vor allem das Bewusstsein: Gewinnmaximierung ist nicht das Ziel.

Unternehmer sollen also eine Firma betreiben und dabei eben nicht versuchen, größtmögliche Profite zu erwirtschaften. Das klingt wie ein Widerspruch, aber eigentlich ist es nur die konsequente Orientierung beispielsweise an der bayerischen Staatsverfassung. Dort heißt es in Artikel 151, Absatz 1: Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit hat dem Gemeinwohl zu dienen. Der Haken an der Sache ist, dass die Interessen des Gemeinwohls zu selten mit den Interessen der Firmen oder der handelnden Personen übereinstimmen. Unternehmerische und damit oft einhergehend auch die persönliche Profitmaximierung gelten vielerorts als zentrales Ziel. Henle glaubt zu wissen, woran das liegt: "Wer BWL studiert, der lernt an den meisten Universitäten vor allem, dass es um die maximale finanzielle Rendite geht. Erst wenn die erreicht ist, kümmert man sich um Soziales oder Gesellschaftliches."

Beim Unternehmen Polarstern macht man es bewusst anders. Neben der finanziellen Bilanz sind Florian Henle und seinen zwei Mitgründern Simon Stadler und Jakob Assmann die ökologische und soziale Bilanz ihrer Tätigkeit gleichwertig wichtig und werden als Unternehmensziele verfolgt. In der Praxis sieht das so aus, dass Ökostrom und Ökogas nur dann von Polarstern gehandelt werden, wenn sie ihren Namen verdienen. Das Produkt soll keine Mogelpackung sein. Polarstern will die Energiewende vorantreiben in Deutschland und ermöglicht seinen Kunden die Eigenproduktion von Energie durch den Einbau von Solaranlagen, Blockheizkraftwerken oder Wärmepumpen. Der Service soll exzellent sein, Lieferanten partnerschaftlich behandelt, die Mitarbeiter fair bezahlt werden und die Gehälter der Geschäftsführer nicht höher als das Dreifache der Vollzeitangestellten sein. Zusätzlich zahlt die Firma aus eigener Tasche pro Kunde jährlich 20 Euro an Biogas-Projekte in Mali und Kambodscha.

Es wird offen kommuniziert, wenn etwas schiefgeht. Das schafft Vertrauen

Die Bezeichnung Gemeinwohl-Bilanz ist keineswegs eine Worthülse. Die GWÖ-Bewegung, die 2010 vom Österreicher Christian Felber institutionalisiert wurde, um eine Alternative zum bestehenden Wirtschaftssystem zu entwickeln, erstellt bereits unabhängig ermittelte Gemeinwohl-Bilanzen für 400 ihrer Mitglieder. Dazu zählt auch die Sparda-Bank in München, ein Partnerunternehmen von Polarstern. Gemeinsam tauschen sich beide Firmen auf informeller Ebene regelmäßig aus, veranstalten Workshops und treten auch bei Veranstaltungen Seite an Seite auf, um die Gemeinwohl-Ökonomie zu bewerben.

Die Sparda-Bank veröffentlicht seit einigen Jahren ihre Gemeinwohl-Bilanz und verzeichnet durch ihre Nachhaltigkeit sichtbare Erfolge. Seit 2014 ist die Bank klimaneutral, dennoch reduzierte sie seitdem ihre Treibhausemissionen durch die Umstellung auf Ökostrom und ihren Kraftstoffverbrauch durch eine teilweise Umstellung des Fuhrparks auf Elektromobilität noch einmal erheblich.

Der Bank geht es nicht nur um den Erhalt einer Zertifizierung, die ihre Klimaneutralität bestätigt, die dann wieder im Marketing für mehr Kunden sorgen soll. Stattdessen geht es um die tatsächliche Verantwortung für Mensch, Gesellschaft und Natur, um die Veränderung des Bewusstseins und der Neuausrichtung von unternehmerischen Zielen. Helmut Lind, Chef der Sparda-Bank München, spricht von einer "Kultur der Achtsamkeit", nicht nur Klima und Umwelt gegenüber, auch den eigenen Mitarbeitern, den Kunden, den Partnern gegenüber.

Ein anderes Beispiel ist das Unternehmen Vaude aus Baden-Württemberg, ein Produzent von Ausrüstung für Bergsport und Outdoorbekleidung. Um seiner sozialen Verantwortung gerecht zu werden, zog sich das Familienunternehmen 2012 nach Kritik an den von ihm verantworteten Arbeitsbedingungen aus Myanmar zurück, wo Teile der Firmenware gefertigt wurden. Die wachsende Ungleichheit in der Welt mache ihr Angst, sagt Firmenchefin Antje von Dewitz. In der GWÖ-Mitgliedschaft sieht Vaude eine Chance, die Verhältnisse zu verbessern.

Polarstern-Gründer Henle stellt fest, dass die Kunden seinem Unternehmen einen Vertrauensvorschuss gewährten. Wenn mal etwas schiefginge, neigten die Kunden dazu, Fehler schneller zu verzeihen. "Allerdings auch nur, weil wir sehr offen kommunizieren, weshalb etwas nicht funktioniert hat und wir erklären können, wie wir es beim nächsten Mal besser machen wollen", sagt Henle. Denn auch klar ist, dass Kunden gute Arbeit von Anbietern erwarten, Gemeinwohl hin oder her. Denn nur weil ein Produkt einen Firmenchef überzeugt, bedeutet das noch nicht, dass der Kunde daran auch Interesse hat. Die Leistung muss stimmen.

Henle sieht Polarstern zudem in größerer moralischer Verantwortung als andere Firmen der Branche. Wer Gemeinwohl-Ökonomie als Alleinstellungsmerkmal im Energiesektor nutzt, wo die Profitmaximierung in der öffentlichen Wahrnehmung als Kernziel wahrgenommen wird, der lehnt sich weit aus dem Fenster.

Polarstern setzt auf den Begriff "Wirklich", der symbolisch dafür steht, dass Strom und Gas des Unternehmens zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien stammen. Gründer Henle weiß: "Das ist im Markt nicht unbedingt der Fall. Wenn ich so an die Sache herangehe, wie wir das tun, dann kann ich mir kein Feigenblatt erlauben. Dann muss das alles auch so stimmen."

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Quelle:
SZ vom 02.11.2018
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