Gemeinsamer Aufruf:Bosse gegen Kapitalismus

Amerikanische Konzernchefs prangern einen der wichtigsten Mechanismen des Börsenkapitalismus an. Wie kommen die darauf?

Von Jan Schmidbauer

Von wem stammt dieses Zitat: "Unsere Finanzmärkte sind mittlerweile zu besessen von vierteljährlichen Gewinnprognosen"? Das klingt nach der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht. Oder nach einem Gewerkschaftsfunktionär. Doch zu finden war der Satz am Donnerstag in einer ganzseitigen Anzeige in der Financial Times. Das Blatt gilt nicht gerade als Zentralorgan für Kapitalismuskritik. Erstaunlich ist, wer die Anzeige aufgegeben hat: Es sind Konzernchefs, die zu den einflussreichsten Wirtschaftsvertretern in Amerika gehören.

Die Anzeige bezieht sich auf ein Konzeptpapier, das sie noch an diesem Donnerstag präsentieren wollten. Es enthält weitere Verbesserungsvorschläge für die Unternehmensführung, etwa, mehr Minderheiten in leitende Positionen zu bringen. Besonders spannend ist jedoch die Attacke auf das Quartalsdenken. Ausgerechnet einige der mächtigsten Vertreter des Kapitalismus greifen ein ehernes Prinzip dieses Wirtschaftssystems an.

Unternehmen sollen nicht dazu gezwungen werden, sich jedes Quartal auf einen künftigen Gewinnplan festzulegen, heißt es im Strategiepapier. Würden die Konzernchefs mit einem Spruchband auf eine antikapitalistische Demo gehen, stünde dort wohl: Das kurzfristige Profitstreben macht uns kaputt!

Das Papier unterschrieben haben beispielsweise der Chef der Großbank JP Morgan, Jamie Dimon, der Chef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock, Larry Fink, sowie Mary Barra, die Chefin des Autokonzerns General Motors. Dazu kommen die Chefs des Telekom-Unternehmens Verizon, des Mischkonzerns General Electric und anderer Firmen. Natürlich hat sich auch Warren Buffett der Bewegung angeschlossen. Er ist bekannt dafür, langfristig zu denken und zu investieren; kurzfristiges Zocken lehnt er ab.

Es hat sich inzwischen etabliert, dass große Aktiengesellschaften den selbst gesetzten Gewinnzielen hinterherhecheln. Alle drei Monate urteilen die Investoren. Entweder heißt es dann, der Konzern "übertrifft" die Erwartungen. Oder das Unternehmen "enttäuscht" die Börse. Der Kurs steigt oder sinkt also.

Kurzfristiges Gewinndenken macht uns kaputt - das klingt wie ein linker Schlachtruf

Hinter diesem Ritual steckt zunächst der gute Gedanke, dass Unternehmen regelmäßig über ihre Situation informieren müssen - eben auch über ihre eigenen Gewinnpläne. Wer Aktien eines Konzerns kauft oder besitzt, will schließlich wissen, wie es bei dem Unternehmen gerade läuft. Aber so geraten die Firmen natürlich unter Druck, jedes Quartal erneut gute Zahlen vorzustellen.

Erst kürzlich hatte IG-Metall Chef Jörg Hofmann die Praxis des "kurzfristigen Profitdenkens" angeprangert. Und zwar in Bezug auf den Abgasskandal bei Volkswagen. Es sei dieses Denken, was zu "Betrug am Kunden und der Gesellschaft" geführt habe. Was Hofmann und andere Kapitalismus-Kritiker mit solchen Sätzen sagen wollen: Der Druck, ständig neue Gewinnrekorde zu verkünden, verleite Unternehmen zu unmoralischem Handeln.

Natürlich steckt im Vorstoß der Bosse auch ein Eigeninteresse. Weniger schnelllebige Ziele bedeuten auch weniger Stress für die Manager. Das Papier könnte im Zentrum der Unternehmenswelt nun allerdings eine Debatte anstoßen, ob langfristiges Denken an der Wall Street den Unternehmen nicht helfen könnte, nachhaltiger zu wirtschaften. Fraglich ist natürlich, ob die Börsenhändler auch bereit sind, mal durchzuatmen.

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