Geldwerkstatt:Rendite mit Rezept

In der Pharmabranche genügt manchmal schon ein einziges vielversprechendes Patent, um den Aktienkurs abheben zu lassen. Worauf man achten sollte, wenn man sein Geld in diese Unternehmen stecken will.

Von Elisabeth Dostert

Hoffnung auf Heilung und Aktienkurse liegen manchmal nahe beieinander. Die ersten Studienergebnisse der klinischen Prüfung mit Aducanumab, einem vom US-Konzern Biogen entwickelten Antikörper zur Behandlung von Patienten, die in einem frühen Stadium an Alzheimer erkrankt sind, lasen sich gut. So gut, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) dem Präparat im Sommer 2016 einen Prime-Status verlieh. Das Programm zielt darauf ab, vielversprechende Medikamente für einen noch ungedeckten medizinischen Bedarf schneller verfügbar zu machen. Mitte Februar dieses Jahres teilte Biogen, nach einer Reihe von Fehlschlägen bei konkurrierenden Medikamenten von Wettbewerbern mit, das Design seiner Studie zu verändern und 500 weitere Patienten aufzunehmen. Die Reaktion an der Börse war heftig: Innerhalb nur eines Tages brach der Aktienkurs um fast zehn Prozent ein.

Der Verkauf von Medikamenten ist unabhängig von der Konjunktur

Für Pharmatitel sind solche Kursreaktionen nicht ungewöhnlich. "Ein Pauschalurteil über die Industrie ist kaum möglich", sagt Timo Kürschner, der für die Landesbank Baden-Württemberg den Markt analysiert: "Die Kursentwicklung hängt mehr als in anderen Branchen von der individuellen Lage des Unternehmens ab." Der Markt für Arzneimittel ist zweifelsohne groß. Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens IQVIA hatte er 2016 ein Volumen von gut 1,1 Billionen Dollar. Bis 2021 rechnen die Experten mit einem Wachstum auf 1,4 Billionen Dollar. Mit Abstand größter Markt sind und bleiben die USA. Der Verkauf von Arzneimitteln sei weitgehend unabhängig von der Konjunktur, sagt LBBW-Experte Kürschner. Der Markt sei allerdings reguliert. "Schon wer eintreten will, braucht eine Zulassung für sein Medikament", sagt Kürschner. Ob die Geschäfte gut laufen oder nicht, hänge auch von der Gesundheitspolitik eines Landes ab. Noch vor seinem Amtsantritt wetterte US-Präsident Donald Trump gegen die Pharmakonzerne wegen der hohen Preise, und prompt brachen deren Aktienkurse ein.

Diabetes Insulinpen Injektion von Insulin mit einem Injektor an dem man die Menge des benötigten

Pharmakonzerne wollen Patienten nicht mehr nur Medizin verkaufen, etwa Insulin für Diabetiker, sondern eine Rundumversorgung anbieten. Dazu gehören auch Injektionswerkzeuge wie der Insulin-Pen.

(Foto: Jochen Tack/imago)

Für die individuelle Beurteilung einzelner Unternehmen gibt es ein paar Fragen, deren Antworten Anleger berücksichtigen sollten: Auf welchem Therapiegebiet bewegt sich das Unternehmen? Wie viele umsatzstarke Medikamente hat es auf dem Markt? Wie lange läuft der Patentschutz noch? Wie voll ist die Pipeline, also wie viele Produkte hat ein Unternehmen in der Entwicklung, und wie sind deren Chancen?

Das Unternehmen, das auf einem Therapiegebiet wie etwa Alzheimer als erstes ein Medikament auf den Markt bringt, das nicht nur Symptome behandelt, sondern gar heilt, darf mit hohen Umsätzen rechnen. Sowohl positive als auch negative Studien in der klinischen Phase, also bevor das Medikament auf den Markt kommt, bewegen laut Kürschner die Kurse. Auch nach der Zulassung bleiben Risiken, etwa wenn ein Medikament unerwünschte Nebenwirkungen zeigt, Arzneimittelbehörden wie die EMA oder in den USA die FDA eine Warnung oder Einschränkungen aussprechen, die das Medikament unattraktiver machen und Ärzte vor der Verschreibung zurückschrecken lassen. "Am Ende nimmt es der Hersteller selbst vom Markt", sagt Kürschner. Im schlimmsten Fall entziehen die Behörden dem Präparat die Zulassung. In den USA kommt es häufiger zu Schadenersatzklagen in Form von Sammelklagen, die die Ansprüche vieler Patienten bündeln. Schon die Klage allein kann die Aktienkurse belasten. Solche Rückschläge können nach Einschätzung von Kürschner große Konzerne mit einem breiten Sortiment besser verkraften. Bei kleinen Unternehmen können negative Studien, Warnungen der Behörden oder gar der Entzug der Zulassung verheerende Kurswirkungen haben. In diese Kategorie fallen Kürschner zufolge viele junge Biotechnologieunternehmen. Sie bergen große Kursrisiken für die Anleger, "aber wenn eines ihrer Medikamente oder vielleicht nur ein Wirkstoff Erfolg hat, fliegen die Kurse."

In der Regel, so Kürschner, sind die Renditen von patentgeschützten Medikamenten größer als die von Nachahmerpräparaten, sogenannten Generika. Deshalb sei an der Börse die Bewertung von Konzernen mit patentgeschützten Medikamenten und einer gut gefüllten Pipeline höher, wenn nicht Übernahmefantasien die Kurse der Nachahmer anheizen. Fehlen Nachfolger für Präparate, deren Patenschutz ausläuft, hat das Auswirkungen auf den Kurs. Um Lücken im Portfolio zu füllen oder neue Therapiegebiete zu erschließen, lizenzieren die Konzerne Wirkstoffe von innovativen Firmen oder kaufen manchmal auch das ganze Unternehmen. Das ist einer der Gründe für die vielen Übernahmen in den vergangenen Monaten. Als der französische Konzern Sanofi im Januar angekündigte, er wolle Bioverativ für knapp zwölf Milliarden Dollar übernehmen, schoss der Aktienkurs der auf die Behandlung von Blutern spezialisierten Firma in die Höhe.

Siegfried Bialojan, Branchenexperte der Beratungsfirma EY (früher Ernst & Young), hat zwei Trends ausgemacht, die auch die Kursentwicklung bestimmen. "Erstens: Die Pharmakonzerne stärken ihre Stärken." Sie trennen sich, so der Experte, von Produkten oder ganzen Sparten, in denen sie nicht zur Marktführung gehören. Zu einzelnen Firmen will sich Bialojan nicht äußern. Muss er auch nicht, manche Konzerne reden bisweilen ganz öffentlich über ihre Pläne. So kündigte der Darmstädter Konzern Merck im Sommer an, seine Sparte Consumer Health, dazu zählen Produkte wie das Nasenspray Nasivin oder die Schmerzsalbe Kytta, ganz oder teilweise veräußern zu wollen, aber auch strategische Partnerschaften zu prüfen. Aus der Trennung ist bis heute nichts geworden.

Viele Unternehmen wachsen durch Zukäufe - das macht es für Anleger unübersichtlich

Es vergeht kaum ein Tag ohne neue Gerüchte aus der Pharmaindustrie, manchmal genügt es schon, ein altes wieder aufzuwärmen. "Die Konzerne kaufen zu, wo sie wirklich stark sein können", sagt Biajolan. Ein beliebtes "Target", wie die Übernahmekandidaten im Fachjargon heißen, sind Biotech-Firmen, auch weil sich viele von ihnen auf von den großen Pharmakonzernen als lukrativ eingestuften Märkten bewegen, etwa der Onkologie. Häufig, sagt Bialojan, belegen die Zukäufe auch den zweiten großen Trend. "Die Pharmakonzerne entwickeln sich zu Gesundheitskonzernen. Sie wollen den Patienten mehr als nur Pillen bieten, sondern eine möglichst individualisierte Rundumversorgung auf einem oder mehreren Therapiegebieten." Auch dafür gibt es Beispiele. Sanofi versorgt Diabetes-Patienten nicht nur mit Insulin-Präparaten und den zur Verabreichung nötigen Pens, sondern auch mit Messgeräten zur Bestimmung des Blutzuckers oder einem Indikatorpflaster zur, wie es auf der Internetseite heißt, Früherkennung von diabetischen Fußveränderungen. Der Pharmakonzern Roche leistete sich Mitte Februar für 1,9 Milliarden Dollar die US-Software-Firma Flatiron Health. Über eine Kooperation mit Kliniken und Pharmafirmen wertet diese Millionen Daten von Krebspatienten aus. Für Roche nach eigenem Bekunden ein "wichtiger Schritt zu einer personalisierten Medizin".

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Manche Konzerne kaufen gleich zu, andere nähern sich vorsichtiger und schließen auf dem Weg zur Plattform für ein Therapiegebiet erst einmal Allianzen. Im Urteil von Bialojan ist die Entwicklung hin zu Gesundheitskonzernen für Patienten, Pharmakonzerne und Krankenkassen von Vorteil, weil so Synergien gehoben werden könnten - nicht nur in Form von Kostenersparnissen, sondern auch weil Daten und Technologien besser genutzt werden könnten. Schon heute schmücken sich Konzerne der Pharmabranche gerne mit dem Wort Life Science, um zu signalisieren, dass es ihnen nicht nur um Pillen geht, sondern um Lebenswissenschaften im weitesten Sinne.

Wie das Urteil der Investoren über die neuen Konglomerate ausfällt, ist noch nicht ausgemacht. Ihnen falle es in der Regel schwerer, Konglomerate zu beurteilen, sagt Bialojan. Er rechnet damit, dass es in diesem Jahr wieder mehr Übernahmen und Fusionen gibt. 2017 gab es eine "kleine Delle", weil die Unternehmen die Ausgestaltung der Steuerreform in den USA abwarteten. Die steht nun fest. Es kann also weitergehen mit dem Bau von Gesundheitskonzernen. "Wir stehen erst am Anfang", sagt Bialojan. Die Aktienkurse dürften in Bewegung bleiben.

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