Süddeutsche Zeitung

Geldverwalter:Völlig fairriestert

Wieso ein Anbieter Aktien im Crash zu Tiefkursen verschleudert, obwohl Experten Privatanleger genau davor immer wieder warnen.

Von Victor Gojdka, Frankfurt

Dass Friedrich Schmitt in die Riesterfalle getappt war, erfuhr er erst im Nachhinein. Als am 20. März gegen 19.00 Uhr eine Mail in seinem Postfach eintrudelt, die das Wichtigste in einem schwurbeligen Nebensatz verkleidet: Sein Riesteranbieter hatte schon eine Woche zuvor, mitten im Coronacrash, alle Aktienanlagen des Mittdreißigers verkauft. Wohlgemerkt, zu Tiefkursen. Und ohne ihn zu fragen. "Ich finde das eine ungeheure Frechheit", sagt Schmitt heute, der seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen will.

Aktien bei kollabierten Preisen zu verkaufen und erst bei neuen Kurshöhen wieder teuer einzusteigen - genau davor warnen Aktienexperten immer wieder. Doch genau das ist nun dem Anbieter Fairriester mit dem Kürzel Fairr passiert. Am 12. März wurden im Hauruck-Verfahren Aktienanlagen aus den Depots der Kunden geworfen - um erst Mitte Juni wieder in den Aktienmarkt einzusteigen. "Das kann ich nicht verstehen", sagt Fairr-Kunde Schmitt. Wie also kann es sein, dass Geldprofis just das unterläuft, was viele Experten einen Anfängerfehler nennen? Der Grund für diese missliche Lage liegt im Wort "Beitragsgarantie". Denn mindestens jeden Euro, den Anleger über die Jahre in ihren Riestervertrag einzahlen, sollen sie am Ende auch herausbekommen, wenn sie in die Rente starten. Egal, wie sehr es an den Börsen zwischendurch ruckelt oder rumpelt. Doch diese gesetzliche vorgeschriebene Garantie scheint sich zu beißen mit manchen Ideen des Anbieters Fairr, der Anlegergelder in großem Ausmaß in die günstigen Aktien-ETF schieben wollte, die Börsenindizes wie dem MSCI World eins zu eins folgen. Denn wenn die Börsen kollabieren, können die Depots der Kunden unter Wasser geraten - im schlimmsten Fall muss der Vermögensverwalter dann selbst die Lücke füllen. Kann der Anbieter das Risiko nicht mehr kalkulieren, verkauft er lieber schnell Aktien, bevor sie noch weiter fallen. "Fairriester zeigt, dass die unausgegorenen politisch gewollten Zwangsgarantien mehr schaden als nutzen", sagt Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten.

Die Entscheidung für den Verkauf der Aktienanlagen traf allerdings nicht das Berliner Start-up Fairr selbst, sondern ein Partner. Fairr ist streng genommen nämlich nur Vermittler der Kundengelder, die Berliner legen das Geld der Kunden nicht selbst an, sondern leiten es weiter an die Hamburger Privatbank Sutor. Das Geldhaus residiert in der Hamburger Hermannstraße, in Sichtweite des historischen Rathauses. Eine der besten Adressen, zumindest in stadtplanerischer Hinsicht.

Weil die Aktienbörsen binnen Tagen heftig gestürzt waren (siehe Grafik) und überdies auch die wichtigen Zinsen an jenen Märztagen hin- und herschossen, handelte der Anlageausschuss der Sutorbank. "Alle Aktienfonds und Aktien-ETF wurden am 12. März 2020 verkauft", teilte der Anbieter Fairr seinen Kunden mit. Das Verhältnis aus Kundendepots und Beitragsgarantie? Konnte von der Bank "nicht mehr verlässlich berechnet werden." Manchen Beobachtern stößt auf, dass die Bank dabei alle Kunden gleich behandelte. Denn Kunden, die wie Anleger Schmitt heute Mitte 30 sind, hätten noch 30 Jahre, um die Kursverluste wieder aufzuholen. Anders als Anleger kurz vor dem Renteneintritt. Warum der Anbieter nicht differenzierte? "Aufgrund der immensen Turbulenzen wurde schnell gehandelt", teilt Fairr mit. Außerdem sei immer klar gewesen, dass die Sutorbank im Zweifel eingreifen könne. Mit der Rückkehr an den Aktienmarkt ließen sich die Hamburger Privatbanker jedoch Zeit. Erst nach drei Monaten, am 12. Juni, griffen die Anlagestrategen wieder zu. Viele Börsenindizes hatten nach dem Kurssturz im März jedoch bereits wieder eine fulminante Aufholjagd hinter sich, befeuert vom billigen Geld der Notenbanken. "Wären die investiert geblieben", sagt Anleger Schmitt, "stünde mein Depot heute mehr als 3000 Euro höher." Anleger bei Fairr haben nun drei Möglichkeiten, mit den Geschehnissen umzugehen. Wer kein Vertrauen mehr zu dem Anbieter hat, kann seinen Vertrag beitragsfrei stellen - also kein neues Geld mehr einzahlen. "Zu Rentenbeginn muss man dann mindestens die eingezahlte Summe herausbekommen", sagt Judit Maertsch vom katholischen Verbraucherservice Bayern. Wenn das eigene Portfolio trotz des Kurssturzes heute höher steht als die eingezahlten Beiträge, können Anleger mit dem Geld auch zu einem anderen Riester-Anbieter umziehen. Wenn Kunden noch Vertrauen haben, können sie theoretisch weiter bei Fairr einzahlen. "Man kann dem Anbieter noch eine zweite Chance geben, wenn er sein Versprechen vom beworbenen Lebenszyklusmodell in der Zukunft wirklich umsetzt", sagt Verbraucherservice-Experte Markus Latta. Egal wie, der Support von Fairr dürfte viel zu tun haben. Mails unterschreiben Mitarbeiter nicht mir Klarnamen, sondern mit der Abteilungsbezeichnung "Customer Happiness", also Kundenfreude. Damit dürfte es bei vielen Klienten derzeit nicht weit her sein.

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SZ vom 30.06.2020
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